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Sanifair nimmt viel ein mit der NotdurftDas Ding mit den Wertebons

Auf Autobahnraststätten kostet einmal aufs Klo gehen 70 Cent bei Sanifair. Dafür gibt es einen Wertbon von 50 Cent. Ein gutes Geschäft. Für Sanifair.

Also 70 Cent reinstecken und 50 Cent als Wertbon zurück und äh … Foto: dpa/Federico Gambarini

D ie Indiepopgruppe „Blond“ singt: „Sanifair Millionär hat den Highway-Flair“. Ich ha­be zwei Sanifair-Bildwitze aufbewahrt: Ein Typ geht an einem Mercedes-Geschäft vorbei, an dessen Schaufenster ein Plakat hängt: „We accept Sanifair“, dazu das Logo der Firma, der alle Toiletten auf den Autobahnraststätten gehören. Sanifair ist die Tochterfirma des Autobahn-Raststätten-Betreibers Tank & Rast. Der Konzern war einst staatlich und wurde dann für 1,3 Milliarden DM verkauft (nachdem er alle Einrichtungen der MITROPA übernommen hatte): an den Finanzinvestor Terra Firma und einen Fonds der Deutschen Bank.

2015 verkaufte Tank & Rast an ein Konsortium „um den Versicherungsriesen Allianz. Zu der Käufergruppe gehören daneben der kanadische Infrastruktur-Fonds Borealis, der Staatsfonds von Abu Dhabi, ADIA, und die Münchener-Rück-Tochter MEAG,“ meldete die „Tagesschau“. Der Kaufpreis für die 390 Raststätten, 350 Tankstellen und 50 Hotels betrug 3,5 Milliarden Euro. Jährlich muss Tank & Rast dem Staat Konzessionsgebühren um 17 Millionen Euro zahlen, dieser hält dafür die Anlagen für 110 Millionen Euro im Jahr instand.

Im Privatisierungsvertrag hieß es 2016: „Die Tank & Rast wird sich bemühen, die unentgeltliche Benutzung von sanitären Einrichtungen ganzjährig durchgehend sicherzustellen.“ Sie bemühte sich aber nicht. Gegen die Kostenpflicht bei Benutzung der Toilettenanlagen ist der Kabarettist Rainald Grebe juristisch vorgegangen – jedoch erfolglos. Unterdes hat sich der Abgeordnete Victor Perli (Linke) zu einem weiteren Sanifair-Gegner profiliert.

Benzin ist ausgenommen

Die Tochterfirma von Tank & Rast, Sanifair, verwendet statt Toilettenfrauen oder -männern, denen man 50 Cent für die Benutzung der Toiletten bezahlte, elektronisch gesteuerte Drehkreuze, die sich nur mit dem Einwurf von 70 Cent öffnen lassen. Dafür bekommt man einen „Wertbon“ in Höhe von 50 Cent wieder. Da man diesen nur an den Raststätten einlösen kann, es dort jedoch so gut wie keine Waren zu diesem Preis gibt, kauft man notgedrungen irgendetwas teureres aus ihrem Angebot und verrechnet den Sanifair-Bon damit beim Bezahlen (Benzin ist davon ausgenommen).

„Branchenschätzungen zufolge generiert jeder Sanifair-Bon knapp dreieinhalb Euro Umsatz,“ schreibt der Berliner Schriftsteller Florian Werner. Auch auf den großen Bahnhöfen sowie in Österreich und in Ungarn gibt es seit einiger Zeit Sanifair-Toiletten. Ebenso in Ketten wie McDonald´s, WMF, Nordsee und Backwerk.

Schätzungen zu­folge generiert je­der Sanifair-Bon knapp dreieinhalb Euro Umsatz, schreibt Florian Werner

Mein zweiter Sanifair-Bildwitz mit dem Titel „Tod eines Handlungsreisenden“ zeigt eine Frau, die einem Notar gegen­übersitzt, der ihr mit wenigen Worten ein Testament vorliest: „Ihr Vater hat Ihnen 3.197 Sanifair-Bons hinterlassen.“ Auf Wikipedia ist zu erfahren: „Eine repräsentative Befragung des Marktforschungsinstituts INSA ergab, dass fast die Hälfte der Deutschen diese Gutscheine selten oder nie einlöst.“

Raststätte Garbsen Nord

Florian Werner hat in seinem neuen Buch über die Raststätte Garbsen Nord – „eine Liebeserklärung“ natürlich auch ein Kapitel über die üblen Machenschaften von Sanifair eingefügt. Ich mochte schon seine Bücher „Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung“ und „Schnecken. Ein Porträt“, und kenne die Raststätte Garbsen Nord, in der eine Familie bereits in der dritten Generation den Geschäftsführer stellt.

Weil ich auch dieses Buch von Florian Werner mit Vergnügen gelesen habe, hier einige seiner Überlegungen und meine Einwände: Für ihn sind die Autobahn-Rast- und Tankstellen „Nicht-Orte“, die jeder Kunde oder Gast so schnell wie möglich wieder verlässt. Der Autor hat sich dort für seine Recherche allerdings im Autobahn-Motel einquartiert. Er hat nur einen Flaschensammler getroffen, der fast täglich kommt – mit dem Fahrrad, Garbsen Nord ist sein „Revier“.

Es gibt jedoch etliche Jugendliche in Sachsen und in den niedersächsischen Dörfern der Umgebung der Raststätte Allertal West (nicht weit von Garbsen Nord auf der A7), die nachts, wenn die Kneipen schließen, auf die Raststätte fahren, wo eine nette Frau aus einem der Dörfer arbeitet. Sie nennt sie ihre „Dauergäste“.

Auf einer anderen Raststätte in Hessen, Pfefferhöhe, arbeitete der Verleger Werner Pieper als Koch und der Schriftsteller Uwe Nettelbeck durfte dort in der Küche, jedesmal wenn er nach oder von Frankfurt aus unterwegs war, für seine Frau „Porridge“ zubereiten. Auch er war eine Art Dauergast.

Und von mir und von vielen Freunden weiß ich, dass wir, egal welche Autobahn wir von Berlin aus nehmen, dort immer die selben Autobahn-Raststätten anfahren. Die Pfefferhöhe wurde nebenbei bemerkt 1983 von einer Familie übernommen, es war „das erste privat geführte Rasthaus an deutschen Autobahnen“, wie es auf seiner Internetseite heißt.

Mit dem Ende der „Petromoderne“ …

Den schönsten Satz in dem Autobahn-Raststätten-Buch sagt „die Rechte Hand“ des Geschäftsführers von Garbsen Nord, die trotz Radiomusik in ihrem Büro ständig die Autobahn hört: Wenn das nicht mehr wäre, dann sei es, glaube sie, vorbei.

Man wird sie noch einige Jahre hören, aber mit dem Ende der „Petromoderne“ werden auch wohl ihre einst stolzesten Stützpunkte an den Autobahnen notgedrungen als vegane Radfahrer-Treffs enden. Der Autor selbst isst schon kein Fleisch und hat auch kein Auto mehr.

Der diesem Ende vorausgegangene Umschwung der Moderne in die Postmoderne wurde übrigens von dem Philosophen Jean-Francois Lyotard erstmalig erfahren, als er in das Urinal der Universität von Aarhus pinkelte, das dann automatisch mit Lichtstrahl spülte.

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Autor
geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.
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