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Aktion #allesdichtmachenUnklares Motiv

Was bringt die Aktion außer Spaltung? Das scheinen die Beteiligten bei teilweise berechtigter Kritik an der Coronapolitik selbst nicht zu wissen.

Mosaik der Aktion #allesdichtmachen Foto: Youtube/dpa

Ob es ein bisschen um Zerstörung geht? Um „I bring you fire / I’ll take you to burn“, um Zündeln, um „Hurra Hurra, die Schule brennt“ – und damit um die Idee, aus Chaos könne etwas Besseres erwachsen?

Vielleicht verspüren einige, vielleicht sogar die etwaigen Initiatoren des #allesdichtmachen, zu denen sich bislang offiziell niemand erklärte (man sei einfach eine Gruppe, heißt es aus den Reihen derer, die zu ihren Videos stehen) tatsächlich Lust am Spalten der Gesellschaft. Denn das tut die Aktion: Durch die Aufmerksamkeit, die sie qua Bekanntheit ihrer Mitglieder und deren professionelle Performancekraft erreicht, zwingt sie die Öffentlichkeit dazu, sich zu stellen. Sogar das Kollegium, jene Tausende, die nicht mitgemacht haben – weil sie entweder nicht gefragt wurden oder ablehnten – sind mitgemeint. Schließlich begrüßt sich die Branche überall gerade mit: „Und wie findest du das?“

Nun ist „Haltung“ wichtig und richtig. Doch wozu stellt man sich: Kritisiert man, wie wahrscheinlich viele der 53 annahmen, tatsächlich „nur“ die Regierung und deren als unangemessenen empfundenen Maßnahmen? Gibt man tatsächlich denen (Künstler:innen, Kritiker:innen) eine Stimme, die zu wenig zu hören sind? Oder klagt man, wenn man – entgegen der Erfahrung mit deutlicher Kritik in sämtlichen Medien – die Unabhängigkeit der Presse anzweifelt, und wenn man sich über Sicherheitsverhalten lustig macht, indem man es satirisch überhöht, auch die Gesellschaft an? Eine Gesellschaft, die anscheinend nicht mal merkt, dass und wie sie von „denen da oben“ verarscht wird?

Über die Gründe, mit #allesdichtmachen die momentane Situation in einer durch Ironie derartig verschleierten Art zu kritisieren, kann man nur spekulieren – bestimmt sind es neben dem überall gleich empfundenen Unmut über verwirrende Regelungen auch kollektiv nachvollziehbare Ängste: Was ist mit meinem Job? Wird mein Kind irre? Werden wir uns nach der Krise noch in die Augen schauen?

Kein reinigendes Feuer

Woher allerdings die Überzeugung auch anderer Em­pö­re­r:in­nen stammt, genau zu wissen, welche Ansprüche man in dieser weltweit einmaligen Situation zu stellen hat, ist und bleibt rätselhaft: Hat da jemand Pandemie-, Impfungs- und Verhaltenserfahrungen, die wir anderen nicht haben? In einigen Fällen haben die Beteiligten also bestimmt nicht genug nachgedacht, haben sich eventuell ohne Konsultation (eine Schauspielagentur scheint sich distanziert zu haben) in etwas „hineinreden“ lassen – so klingen zumindest ihre nun nachdenklicheren Statements.

Viele der Social-Media-Reaktionen zur „Coronaleugnung“ (davon ist in keinem der Beiträge die Rede), die Verortung in einem rechten Umfeld und auch eine verantwortungslose und katastrophale Aufforderung eines WDR-Rundfunkrats zu einem Berufsverbot für Jan-Josef Liefers bestätigen zudem in der Aktion inkriminierte Vermutungen über den nicht ausreichenden Diskussionsraum. Denn Diskurse müssen leidenschaftlich und sachlich geführt werden, und bei einem komplexen Thema wie Coronapolitik gilt nicht mehr das Tocotronic-Statement. Hier muss leider pure Vernunft siegen.

Das reinigende Feuer ist also Quatsch: Nein, ein Shitstorm bedeutet nicht, dass man etwas richtig gemacht, oder „den Finger auf die Wunde“ gelegt hat. Er bedeutet auch nicht, dass man notwendigerweise etwas falsch gemacht hat. Er ist schlichtweg ein Zeichen dafür, dass eine Diskussion sich vom Faktengrund weg in Richtung Verletzung, persönliche Angriffe bewegt. Dass sie ungerecht wird – für sämtliche Beteiligten. Schade, dass die Energie nicht in etwas weniger Destruktives geflossen ist. Zum Beispiel in die gute alte konstruktive Kritik.

Man sollte dennoch die Signale lesen, wenn sie auch (noch) subtil sind: Meret Becker, die sich als eine der ersten kritisch mit ihrer Teilnahme auseinandergesetzt hat, ist am Sonntag als Schauspiel-Vorstand der Deutschen Filmakademie bestätigt worden – ein Anhaltspunkt, dass die Kol­le­g:in­nen den „change of heart“ annehmen, ihre Gründe für beides – Teilnahme und Rückzug – akzeptieren können. Liefers wird seinen Job beim Tatort nicht verlieren. Und weiterhin werden hoffentlich gemeinsam Filme produziert werden. Übrigens mit umfassenden Hygienemaßnahmen, die der Grund dafür sind, dass alle noch leben.

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10 Kommentare

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  • Das Ziel war klar: Die Politik soll sich Gedanken machen und auch nach anderen Wegen (Alternativen z. B. TÜBINGEN) suchen. Und nicht immer nur Lock Down...

  • Nach offizieller Lesart leben wir in einem Lockdown light! Je nach Beruf hat der aber mitunter sehr harte Folgen für den Einzelnen. Sie Frau Zylka oder auch ich können unsere Berufe weiter ausüben und im Wesentlichen einen Großteil unserer sozialen Kontakte weiter fortsetzen. Wir befinden uns damit in einer privilegierten Position!

    Kurz und knapp wir sind nicht in die Untätigkeit verbannt und nicht jeder Künstler ist reich. Dass es dem ein oder anderen in dieser sozialen Isolation schon mal die Feder raushaut, dafür habe ich durchaus Verständnis und ich finde man sollte in der Lage sein das zu tolerieren. Das Schauspieler sich für Ihren Protest der modernen Kanäle und auch ihrer beruflichen Fähigkeiten bedienen finde ich bei einem Protest durchaus passend.

    Das öffentliche Leben zum erliegen zu bringen ist durchaus eine mögliche Maßnahme, aber sollten Coronawellen die neue Normalität werden, dann kann unser bisheriger Lösungsansatz nicht die neue Realität bleiben!

    Ich halte die Presse durchaus für unabhängig, aber ich halte Reporter für keineswegs neutral!

    • @insLot:

      "Ich halte die Presse durchaus für unabhängig, aber ich halte Reporter für keineswegs neutral!"



      Was Sie hier beschreiben, ist die Gewähr für maximale Meinungsvielfalt. Also ziemlich genau das Gegenteil dessen, was die #allesdichtmachen Aktion behauptet. Oder sehe ich das falsch?

  • "Was bringt die Aktion außer Spaltung?...".

    Tja - wohl wieder ein bißchen Aufmerksamkeit für diese armen, unbeklatschten, nach Wichtigkeit lechzenden TV-Stern:chen.

    • @Jürgen aus Nürnberg:

      Nein, für die abertausenden Künstere*innen, die seit einem Jahr nicht mehr arbeiten können, die nicht im Homeoffice sitzen und 100% iher Bezüge erhalten, egal wie schlecht oder gut sie sind. Künstler sind erfolgsorientiert, Ein Politiker, Polizist was auch immer bekommt sein Geld für gut oder schlechte Arbeit. Der Künstler MUSS gut sein, wenn er Folgeengagements haben möchte. Wsa die 53 gemacht haben nennt man "SOLIDARITÄT" und nicht nur mit Kollegen der Schausspilebranche, auch die Restaurants und unzählige andere Soloselbstständige profitieren von der Aktion, von der sie sich abgestoßen fühlen. Die Politik hat reagiert, heute 14Uhr setzt sich Frau Merkel mit Künstlern an einen online-Tisch. Ergebnis offen, aber es gibt Gespräche! Das ist wichtig! Nicht Stimmungsmache wir ihr Kommentar.

  • 0G
    04369 (Profil gelöscht)

    Danke für den Beitrag und an die Kommunarden, aber mir ist das alles noch viel zu nebulös. Das der Coronaleugner Brüggemann dahinter steckt, scheint sich heraus zu kristallisieren, aber wie steht es den nun mit der Haltung der, von öffentlich rechtlichen Geldern hochsubventionierten, KünstlerInnen. Ein Ulrich Tukur und eine Meret Becker und andere, wissen sehr genau den Unterschied von Satire, feiner Ironie und der Sprache des Protest und können hervorragend mit Worten hantieren. Das sie nicht wissen was mit solchen Mist anstellen, halte ich für absoluten Mumpitz. Drum bitte ich um mehr Aufklärung. Spaltung gibt es zur genüge in dieser Gesellschaft, dass sich nun auch noch ihre Stars daran beteiligen, bereitet mir Sorge.

  • Auch hier noch weitere aufschlussreiche Einblicke, das Motiv wird immer klarer:



    netzpolitik.org/20...en-auf-die-fresse/

  • Ich empfehle diesen Artikel.



    www.swr.de/swr2/le...chtmachen-100.html



    Da wird ersichtlich, welcher Geist bzw. wieviel Geist hinter dieser Aktion steckt.

    • @Lesenundschreiben:

      Danke für die Info, sehr aufschlussreich.

      Ich hatte auch was gelesen von einer Firma "Wunder am Werk" eines Herrn Wunder, den ich nicht kannte, hat die zufällig auch irgendeine Beziehung zur Luca-App?

  • Schauspieler/innen haben eben nur e i n e Sorge: „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“ (F.K. Waechter).