heute in hamburg: „Man hat dann einen Sündenbock“
Michael Butter
43, ist Professor für Amerikanistik an der Uni Tübingen. 2018 erschien sein Buch „Nichts ist, wie es scheint“ über Verschwörungstheorien.
Interview Andrea Maestro
taz: Herr Butter, an deutschen Unis sind angeblich 80 Prozent der Professor:innen mit menschlicher Haut überzogene Echsenwesen. Sie auch?
Michael Butter: Darüber darf ich nicht sprechen.
Wusste ich es doch! Aber sagen Sie, wie kommt es, dass Menschen so etwas glauben?
Menschen glauben an Verschwörungstheorien, weil sie die Welt bedeutsam machen. Da gibt es keinen Zufall. Alles ist das Ergebnis von absichtsvollen Handlungen. Offensichtlich ist es für viele Menschen leichter zu glauben, dass eine Gruppe von Bösewichten – und seien es außerirdische Reptiloide – die Geschicke der Welt lenken, als dass niemand die Welt lenkt.
Warum?
Man hat dann einen Sündenbock, den man für alles verantwortlich machen kann und muss sich selbst nicht fragen, ob man Verantwortung trägt für Dinge. Zudem hat man immer die Aussicht, dass sich die Dinge zum Guten kehren könnten. Ein bekannter deutscher Verschwörungstheoretiker sagte, man müsse Bill Gates nur in den Arm fallen und der ganze Spuk mit Corona wäre vorbei.
Also glaubt er nicht an Corona?
Ken Jebsen ist überzeugt, dass das Lug und Trug ist. Zu Corona gibt es viele unterschiedliche Verschwörungstheorien. Was die Menschen, die im Moment auf die Straßen gehen, verbindet, ist, dass sie alle der Überzeugung sind, dass das Virus nicht existiere oder komplett harmlos sei. Es sei ein Vorwand, um andere Dinge durchzudrücken. Etwa einen globalen Impfzwang.
Kriegen Sie manchmal Lachanfälle, wenn Sie sich durch diese Seiten klicken?
Also über die Reptiloiden kann man natürlich toll lachen, aber diese ganzen Coronasachen sind zu nah an einem selbst dran. Wir wünschen uns alle, dass Corona vorbeigeht. Die Leute, die infrage stellen, ob es diese Pandemie überhaupt gibt, tragen in ihrem Verhalten nicht dazu bei.
Online-veranstaltung „Verschwörungstheorien: Formen, Funktionen, Folgen“: 19 Uhr, Anmeldung unter dresden@rosalux-sachsen.de
Was macht man, wenn man in seinem Umfeld jemanden hat, der solche Sachen glaubt?
Das kommt darauf an. Wenn das jemand ist, der da noch nicht so richtig tief drin steckt, aber offen ist und vielleicht etwas weiterschickt, das er im Internet gefunden hat, lohnt es sich, auf die Fakten zu verweisen. Es gibt online ja tolle Faktencheckseiten, da wird das alles auseinandergenommen. Wenn jemand aber so richtig tief drin ist, kommt man mit Fakten nicht weiter, sondern macht es im Zweifel noch schlimmer, weil man deren Identität angreift.
Und dann?
In diesen Fällen sollte man offen rangehen und sagen: „Ich möchte verstehen, warum du das glaubst. Warum hältst du den für einen verlässlichen Experten, aber den nicht?“ Das geht aber nur, wenn Sie ein persönliches Verhältnis zu den Menschen haben. Das Ziel wäre immer, einen Prozess der Selbstreflektion auszulösen. Nur das hilft den Leuten, da rauszukommen.
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