Testpflicht an deutschen Schulen: Endlich ist sie da
Wenn nach den Osterferien die Schulen wieder starten, gilt in vielen Klassen eine Testpflicht. Bei einer anderen Frage sind sich die Länder uneins.
Die Testpflicht an Schulen ist da. Vor den Osterferien galt sie nur in Sachsen und dort nur an weiterführenden Schulen. Mittlerweile haben sie zwölf Bundesländer beschlossen, Sachsen weitete sie noch auf Grundschulen und Kita-Personal aus. Am Montag, wo vielerorts wieder die Schule beginnt, gilt die Testpflicht damit bereits in sieben Ländern: neben Sachsen auch in Bayern, Hamburg, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Im Saarland, Berlin, Bremen, Baden-Württemberg und Brandenburg dann die Woche drauf.
Rechtliche Bedenken, die viele Ministerien vor Ostern noch hegten, nahm ihnen eine Gerichtsentscheidung: Ende März lehnte das Sächsische Oberverwaltungsgericht Bautzen mehrere Eilanträge gegen die Testpflicht an sächsischen Schulen ab.
Dass verpflichtende Tests für Schüler:innen und Lehrkräfte bei den aktuellen Inzidenzzahlen unumgänglich sind, glaubt mittlerweile die Mehrheit der Bildungsminister:innen. Niedersachsens Bildungsminister Grant Hendrik Tonne (SPD) nannte die Testpflicht einen „weiteren sinnvollen Baustein, um die Sicherheit in der Schule zu erhöhen“. Laut Bremens Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) sei die Testpflicht im Präsenzschulbetrieb notwendig, um infizierte Kinder, Jugendliche und Beschäftigte möglichst früh zu identifizieren.
Und NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) ist überzeugt: „Verpflichtende Selbsttests als zusätzliche Sicherheit tragen dazu bei, das Dunkelfeld von symptomfrei Erkrankten aufzuhellen und die weitere Ausbreitung der Pandemie zu verhindern.“ Auch aus der Hamburger Schulbehörde hieß es nach den Osterfeiertagen, die Testverpflichtung sei „unausweichlich“ gewesen, um die Schulen „trotz allgemein deutlich steigender Inzidenz“ offen lassen zu können.
Mehr Sicherheit ist fraglich
In NRW stehen die Tests zunächst nur in den Abschlussklassen zur Verfügung. Am Donnerstag teilte die dortige Schulministerin mit, dass sie alle andere Klassen sicherheitshalber noch bis 19. April im Distanzunterricht belassen wolle. Ähnliche Vorsichtsmaßnahmen verkündeten vergangene Woche auch Brandenburg, Baden-Württemberg und Berlin. Auch dort dürfen diese Woche wegen der hohen Inzidenzwerte noch nicht alle Jahrgangsstufen wieder zurück in die Schule, in Baden-Württemberg bleiben die Schulen bis kommende Woche sogar ganz zu. Ab dem 19. April dann soll wieder Präsenzunterricht für alle möglich sein. Bis dahin sollen auch ausreichend Tests zur Verfügung stehen.
Ob die Schulen mit Tests viel sicherer werden, ist fraglich. Eine umfassende Schulstudie aus Österreich ergab, dass flächendeckende und verbindliche Schnelltests nur etwa ein Fünftel bis ein Viertel der infizierten Schüler:innen erkennen. Virolog:innen warnen, dass negative Testergebnisse Schüler:innen in falscher Sicherheit wiegen – und dass sie dadurch nachlässig bei Abstandsregeln werden könnten.
An Grundschulen wiederum zweifeln Eltern und Lehrkräfte, ob die Kinder die Tests alleine überhaupt hinbekommen. Offen ist auch, wer die Testergebnisse kontrolliert, wenn Schüler:innen die Tests zu Hause machen dürfen wie in Sachsen oder Niedersachsen.
Am aktuellen Kurs der Bildungsminister:innen ändert das alles nichts. Sie setzen auf flächendeckende Tests, um Schulschließungen zu vermeiden. Mit der neuen Testpflicht rechtfertigen sie zum Teil sogar weitere Lockerungen. So kündigte beispielsweise der Hamburger Senat gleichzeitig mit der Testpflicht an, Schulen künftig nur mehr bei einer 7-Tage-Inzidenz von über 200 zu schließen.
Umstrittene Schulschließungen
Das Saarland will mit der Testpflicht Unterricht in voller Klassenstärke zulassen. Und in Sachsen-Anhalt, wo die Osterferien schon vergangene Woche endeten, durften sogar Schulen bei Inzidenzen jenseits der 200er-Marke öffnen. Dafür erklärte Bildungsminister Marco Tullner (CDU) den Burgenlandkreis kurzerhand zur „Modellregion zur Einführung von Schnelltests“ an Schulen. Zu dem Zeitpunkt lag die Inzidenz in dem Kreis über 300. „Ich bin natürlich immer bereit, nach Möglichkeiten zu suchen, Schulöffnungen aufrechtzuerhalten in so schwierigen Bedingungen“, rechtfertigte Tullner im MDR die kreative Umschiffung der Notbremse.
Doch damit könnte bald Schluss sein. Geht es nach den Plänen der Bundesregierung, müssen alle Schulen im Land künftig ab einer Inzidenz 200 schließen. So steht es in dem Entwurf zur Bundesnotbremse, der noch diese Woche von Kabinett und Bundestag beschlossen werden könnte. Bislang entscheidet weiter jedes Land selbst, nach welchen Regeln es Schulen öffnet – oder wieder schließt. Auf einheitliche Regeln konnten sich die Bildungsminister:innen auch bei ihrem jüngsten Treffen am vergangenen Donnerstag nicht einigen, auch nicht auf eine bundesweite Testpflicht.
Konsens gibt es dagegen beim Thema Abiturprüfungen, die in jedem Fall stattfinden sollen. Dario Schramm von der Bundesschülerkonferenz bezeichnete die Ergebnisse Bildungsminister:innen-Konferenz als „Riesenchaos“. Auch Lehrergewerkschaften kritisierten die fehlende bundesweite Linie.
Käme die Notbremse, könnten Schulen immerhin nicht mehr unabhängig von Inzidenzzahlen öffnen, sagte der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, am Samstag. Und Lehrerverbandschef Heinz-Peter Meidinger forderte wie schon vor Wochen eine bundesweite Testpflicht für alle Schüler:innen.
Nicht alle sind überzeugt
Bemerkenswert ist, wie schnell viele Länder bei der Testpflicht ihre Meinung geändert haben. So hatte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) vor den Osterfeiertagen noch an die „Einsicht und Vernunft der Beteiligten“ appelliert, die Testangebote zu nutzen. Zwei Tage drauf verordnete der Senat die Testpflicht. Begründung: Zu wenige Schüler:innen lassen sich freiwillig testen. Dabei lag die Quote in Hamburg mit 89 Prozent noch deutlich höher als beispielsweise in Bremen (44 Prozent) oder im Saarland (rund 50 Prozent).
Dass so eine Beteiligung bei stark steigenden Inzidenzwerten nicht mehr reicht, musste auch die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) einsehen. Vor Ostern hatte sie verpflichtende Tests noch explizit ausgeschlossen und dies mit dem Recht auf Bildung begründet. Um rechtliche Probleme zu vermeiden, kündigte Streichert-Clivot an, für Testverweigerer Distanzunterricht anzubieten.
Doch nicht alle Länder sind von der Testpflicht überzeugt: Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz setzen derzeit noch auf Freiwilligkeit. Auch Thüringen – obwohl der Freistaat bundesweit die höchsten Inzidenzwerte hat und seinen Landkreisen lediglich nahelegt, ab der Inzidenz 150 weitere Schritte „zu prüfen“. Auf eine verbindliche Notbremse hat der Freistaat auch auf Wunsch der Landrät:innen verzichtet.
Für Aufsehen sorgte am Wochenende auch eine Gerichtsentscheidung aus Weimar. Medienberichten zufolge hatte das Amtsgericht der Stadt die Anordnung zur Maskenpflicht an zwei Schulen aufgehoben. Es galt jedoch als wahrscheinlich, dass die Entscheidung in der höheren Instanz wieder kassiert würde.
Thüringens Bildungsminister Helmut Holter sträubt sich bislang gegen eine Testpflicht – auch eine bundesweite Notbremse für Präsenzunterricht sieht er skeptisch. Die Testbereitschaft sei zwar bislang nicht überall so hoch, wie er sich das wünsche, so der Politiker von der Linkspartei zur taz. Thüringen stelle nach Ostern aber auf Laientests um, die die Schüler:innen dann selber machen können.
Widersprüche in der Teststrategie
Diese seien dann auch deutlich angenehmer als die bisherigen Schnelltests. Holter hofft, dass sich die Testbereitschaft dadurch erhöhe. „Falls sich diese Hoffnung nicht erfüllt, kann ich mir auch eine Verpflichtung vorstellen“, so der Bildungsminister.
Ute Lukasch hält das für die falsche Strategie. Die 59-Jährige sitzt für die Linkspartei im Thüringer Landtag – und hätte sich schon nach den Osterferien eine Testpflicht an Thüringer Schulen gewünscht. Vergangene Woche unterzeichnete sie einen offenen Brief an ihren Parteigenossen Holter. Was Lukasch aber noch mehr empört als Holters fehlende Entschlossenheit: dass die Behörden dem Roman-Herzog-Gymnasium in ihrer Heimatstadt Schmölln verwehren, eine Testpflicht für die eigenen Schüler:innen einführen zu dürfen. In der Mail des zuständigen Schulamtsleiters, die der taz vorliegt, heißt es: Der Antrag der Schule sei „nicht genehmigungsfähig“.
Es könne nicht sein, dass man zum Einkaufen ein negatives Testergebnis vorweisen müsse, aber in der Schule nicht, sagt Lukasch. An der Testpflicht führe ohnehin kein Weg vorbei. „Die Frage ist nur, ob sie dann nicht zu spät kommt.“ Am Wochenende lag der Inzidenzwert in 10 der 23 Kreise in Thüringen über dem Wert 200. Noch dürfen dort die Schulen öffnen. Zumindest so lange noch, bis das neue Bundesgesetz anordnet, worauf sich Bund und Länder im März nicht einigen konnten: eine verbindliche Notbremse an Schulen.
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