: „Ich segle im Windschatten der neuen Mitte“
Götz Alsmann, 48, war früher Teenager-Maoist. Heute legt er Wert auf Stil und Etikette, lebt mit Familie in seiner Heimatstadt Münster, spielt Musik aus den 50ern und fühlt sich trotzdem links. Ist der Musiker und Entertainer die Speerspitze eines neuen linken Wertkonservatismus?
INTERVIEW SUSANNE LANG UND THOMAS WINKLER
taz: Herr Alsmann, angenommen, Sie müssten eine Ihrer vielen Auszeichnungen zurückgeben – lieber den Grimme-Preis oder die Putte der Kaufmannschaft Münster?
Götz Alsmann: Eine hinterhältige Frage!
Warum?
Die Putte wird nur alle paar Jahre verliehen, das ist schon eine außergewöhnliche Leistung. Nein – ich würde mich weigern, etwas zurückzugeben. Welchen Anlass hätte ich auch?
Die Frage zielte auf Ihre Heimatverbundenheit.
Jetzt verstehe ich. Ich will Ihnen was sagen: Wenn sie sehr lange und relativ erfolglos diesen Beruf ausüben, und plötzlich nimmt Sie Ihre Heimat wirklich wahr, das konnte ich erstmal gar nicht fassen! Jeder trägt doch so ein Gefühl mit sich rum: ‚Irgendwann zeig ich’s euch allen‘.
Der späte Triumph des Außenseiters?
Des alten Sacks, ja. Als es mir gelungen war, in der Berichterstattung der Heimatzeitung von der Lokalen Popmusikseite ins Feuilleton zu wechseln, hat mir das gefallen! So viel Eitelkeit muss sein.
Wie erklären Sie sich die Diskrepanz in der Figur Alsmann? Einerseits heißen in Ihrer Welt Frauen noch Damen, Sie tragen stets edle Anzüge, Sie bezeichnen sich als häuslich und bieder.
Aber ja.
Andererseits waren sie als Schüler Maoist, sogar im Blickfeld des MAD.
Ja ja, das ist alles wahr.
Warum lachen Sie?
So war das halt damals. Jeder druckte sein eigenes Spiritkarbon-Umdruckblättchen, legendäre Printerzeugnisse, die ich fast alle noch habe. Aber das war nicht mehr als eine temporäre Mode. Ich habe das Gefühl, diejenigen, die den Streber durchgezogen haben, sind nach Berlin gegangen und taz-Redakteure geworden.
Dann sind Sie der erste Repräsentant eines neuen linken Wertkonservatismus?
Oh ja, darauf habe ich gewartet …
In unsere Zeit passen Sie ziemlich gut, man verortet sich links, weiß aber nicht genau, was das heißt.
Man ist selbstverständlich links, aber doch deshalb, weil die rechts Gesinnten zumindest in meiner Jugend total doof waren. Aber diesen Typus gibt es heute nicht mehr. Und die damaligen Maoisten? Mensch, was haben wir schon gemacht, wir haben Schulungsabende besucht, Anleitung zum Staudammausgraben mit den Fingernägeln oder so, danach ging man auf ne Vietnamdemo. Man fühlte sich zugehörig.
Was war der Reiz? Ein Held der Revolution zu sein?
Bei mir hat es nahtlos das Pfadfindertum abgelöst. Dieses Jungsbündische, Verheißungsvolle. Ich muss dazusagen, ich habe Uniformen ja immer bewundert. Ich wollte zwar selber keine tragen, aber fand sie immer sehr schick. Das ist aber eine ästhetische Frage.
Das linke Projekt hat Sie ästhetisch fasziniert?
Wenn ich die Phase in der Rückschau betrachte, ja. Ich habe geglaubt, ich sei sehr politisch, aber in Wirklichkeit habe ich Politik ästhetisch betrachtet.
Wie ist das heute?
Ich finde schon, dass Gerhard Schröder besser angezogen ist als Angela Merkel.
Es heißt, Rot-Grün habe einen ästhetischen Habitus geprägt. Stimmen Sie zu?
In der ersten Regierungsphase war das zutreffend. Aber auch dieser Habitus hat sich dem Mainstream angenähert. Viele, die nicht dem rot-grünen Umfeld angehören, sehen mittlerweile genauso aus.
Was haben wir stilmäßig von einer schwarz-gelben Regierung zu erwarten?
Nicht viel.
Ist das vielleicht der Grund für die Glaubwürdigkeit, die Schwarz-Gelb beigemessen wird?
Ich glaube, dass Schröder vielen Leuten unheimlich war. Vielen, die nicht in den Medien arbeiten, die nicht in einem urbanen Umfeld Feuilletons lesen, die nicht wissen, ob der jetzt Brioni-Anzug trägt oder einen Quattro-Stagioni-Anzug.
Dann lieber die Inszenierung „Strickjacke“, Typ „bodenständiger Macher“?
Es ist doch eine vollkommene Verkennung der Realität, zu glauben, wenn einer seine alte Jacke anbehält, dann bleibt er auch bodenständig. Wenn Schröder den alten Pullover von der Wackersdorf-Demo anbehalten hätte, dann wäre er sich treu geblieben, ja? Das ist doch Blödsinn.
Also, wen wählen?
Nach meiner Befindlichkeit würde ich lieber einer mit einer gewissen natürlichen Autorität ausgestatteten Respektsperson meine Stimme geben als einem schenkelklopfenden Stammtischbruder. Ehrwürdig natürlich der Versuch, sich urban zu gerieren, man weiß genau, das ist schön beraten, aber …
… jetzt sprechen Sie von Angela Merkel?
Ich fühle mich ihr nicht nahe, aber ich habe keine Lust, Witze über ihre Optik zu machen. Das ist durch, glaube ich. Wo sie doch so neu auftritt, so gut gecoacht, willensstark für Deutschland, wie bei Shakespeare …
Empfinden Sie sich heute politischer als damals?
Ich glaube schon, dass ich politisch bin, ja. Ich bin immer gut informiert, ich pflege gelegentlichen Kontakt zu Politikern, habe mich 2002 sogar im Wahlkampf engagiert, für Gerhard Schröder.
Was Sie diesmal aber nicht machen, wie viele Künstler?
Da bin ich mir nicht so sicher. Ich warte erstmal den Spruch des Bundespräsidenten ab, dann entscheide ich.
Ist es möglicherweise sogar subversiv, so wie Sie, wertkonservativ aufzutreten, aber links zu wählen und zu denken?
Als ich noch in Clubs gespielt habe, habe ich sehr viele Leute sehr verunsichert und fühlte mich dadurch automatisch auf dem richtigen Weg. Der wurde als konservativ betrachtet. Besser als „konservativ“ gefallen mir Begriffe wie „altmodisch“ und „zeitlos“, auch wenn das nicht genau dasselbe ist.
Was wäre konservativ?
Ein konservativer Mann trägt Jeanshosen. Das war mal das Beinkleid des Aufstandes, aber wie können sich heutzutage Jugendliche noch Jeans anziehen? Die Kleidung der Erdkundelehrer, der Dixieland-Trompeter! Das ist noch nicht mal mehr konservativ, das ist reaktionär.
Der Vorwurf an die Linkspartei ist auch, sie sei konservativ.
Die Linke war spätestens 1981 konservativ, als die Neue Deutsche Welle zum Mainstream wurde und Alt-68er-Bashing an der Tagesordnung war. Aber es ist schon spannend, Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat der SED in Nordrhein-Westfalen zu sehen. Obwohl das nicht links ist, das ist tragisch.
Was ist dann heute links?
Ich weiß es nicht. In Münster war früher alles links, was am Sonntag nicht in die Kirche ging. Heute sind die meisten historischen Forderungen der Linken, zumindest der gemäßigten, Mainstream: Kinderarbeit ist abgeschafft, die 5-Tage-Woche durchgesetzt. Gewerkschaften haben ihre historische Aufgabe als Massenorganisation erfüllt.
Eine These von Ihnen lautet, die 68er seien an ihrer Optik gescheitert. Sie kamen prompt an die Macht, als sie sich Ihren Ratschlag zu Herzen nahmen: „Revolutionäre müssen gut aussehen“.
Einer der Sätze, die ich noch lange austragen muss, ich weiß. Was ich damit sagen wollte: Die Leute, die 1981 immer noch in ihrem Verweigerungslook herumliefen, mit Vollbärten, langen Haaren, und sich über die jungen Leute mit ausrasiertem Nacken und Tollen aufregten, benutzten exakt das gleiche Vokabular wie ihre Väter. Das ist bis heute so. Dreiviertel all derer, die eine Einstellung vertreten, tun dies unreflektiert. Sie wollen sich nur nicht von den lieb gewonnenen Moden ihrer Jugend trennen.
Im Gegensatz zu Ihnen. Wo stehen Sie nun?
Ja, ich bin wahrscheinlich ein Windschattensegler der Neuen Mitte. Obwohl ich nicht so genau weiß, wo die momentan ist. Aber ich fand den Ansatz gut: Pragmatismus, außerpolitische Fachleute und das alles mit dem geschichtlichen Bewusstsein der Sozialdemokratie.
Sie sind in Wirklichkeit ein romantischer Sozialdemokrat?
Auf jeden Fall würde ich mich als Romantiker bezeichnen.
Repräsentieren Sie damit den Mainstream?
Wäre ich Mainstream, wäre mein Album nicht auf 55 in die Charts eingestiegen, sondern auf 5.
Sie haben aber ein großes Publikum auf Ihren Tourneen.
Ich glaube, es gibt zwei Arten von Mainstream: den verordneten und den gelebten. Ersterer ist durch seine mediale Präsenz auch der gefühlte, das ist das Prinzip Format-Radio: Ein Computer wird mit 120 Rockklassikern gefüttert, mit denen wir einen Monat auskommen müssen.
Sie sind mit Ihrem Erfolg Teil des gelebten Mainstreams?
Ich glaube ja. Der gelebte Mainstream sieht ganz anders aus: Auch junge Leute gehen zu Volksmusikveranstaltungen, auch junge Leute gehen zu Götz-Alsmann-Konzerten. Die sind es leid, ständig von Joe Cocker angeschrien zu werden, die schalten Klassikradio ein, auch wenn sie mit Klassik nichts am Hut haben, aber es tut nicht so weh.
Bieten Sie einem Land in der Krise eine Möglichkeit zum Eskapismus?
Natürlich. Jeder, der auf der Bühne steht, selbst der Leader einer Hardcore-Vegetarier-Band bietet Eskapismus. Wir machen Unterhaltung. In einer Zeit wie dieser ist das wie Truppenbetreuung. Ich halte der Gesellschaft ja nicht den Spiegel vor. Heiliger Strohsack, das sind steinalte Lieder und ich versuche dazu halbwegs passabel Klavier zu spielen.
Es gibt auch Musik, die einen politischen Anspruch erhebt.
Ich glaube nicht an das politische Lied. Jemand, der populär ist, kann sich einbringen, indem er eine Haltung artikuliert. Aber kein einziges Lied von Bob Dylan hat den Vietnamkrieg auch nur um einen einzigen Tag verkürzt. Man predigt zu den Bekehrten. Es gibt nur ein einziges Lied in der gesamten Popmusikgeschichte, das politisch etwas bewirkt hat. Und auf das kommt kein Mensch.
Helfen Sie uns weiter.
„Free Nelson Mandela“ von den Specials. Vor diesem Lied wusste niemand – außer vielleicht den Mitgliedern eines Dritte-Welt-Komitees in Marburg –, wer Nelson Mandela ist.
Das zeigt doch, dass es funktionieren kann.
Wie Anton Karras so schön sagt: So etwas gibt einem der Herrgott nur einmal ein.
Bleibt nur noch eine Frage: Fiel Ihnen auf, wonach wir nicht gefragt haben?
Ja, ist mir aufgefallen. Den Haartollen-Talk haben Sie mir erspart. Danke.
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