Die „PostKultur“-Box im Selbstversuch: Neues aus der Kiste
Mit ihrer „PostKultur“-Box möchte die Hamburger Kulturmanagerin Kathleen Alder einen Corona-konformen Zugang zu Kulturangeboten schaffen. Ein Test.
Das Konzept erinnert an die Grüne Kiste vom Bauernhof des Vertrauens: Nur ist die „PostKulturBox“, die an die Haustür geliefert wird, schwarz und statt Blumenkohl und Rettich befindet sich darin eine handverlesene Auswahl unterschiedlicher Kulturerlebnisse. Gründerin Kathleen Alder verspricht einen Mix von Produkten wenig bekannter Künstler*innen bis hin zu Beigaben von großen Häusern, alles aus der Region. Dann heißt es: ab auf die Couch, auspacken, loslegen.
Die in Berlin produzierte Box macht optisch etwas her und fühlt sich hochwertig an. Alder setzt auf Nachhaltigkeit: Versand über „GoGreen“ von DHL, Kooperationen mit einer Umweltdruckerei und einer Behindertenwerkstatt, selbst das Seidenpapier ist aus Gemüseresten gefertigt. Der erste Eindruck stimmt schon mal.
In einem kleinen Beiheft erklären Alder und ihre Mitstreiter*innen, warum es welches Produkt in die Box geschafft hat. Gespickt sind die kurzen Einführungstexte mit persönlichen Empfehlungen der teilnehmenden Künstler*innen zu Veranstaltungen, hörenswerten Podcasts oder online ausleihbaren Filmen.
Als Erstes fallen mir zwei CDs in die Hände: Einen CD-Player besitze ich zwar nicht, aber mein Laptop ist zum Glück so alt, dass er noch über ein CD-Laufwerk verfügt. Ich lege das kürzlich erschienene Debüt-Album „Why Why“ der Indie-Pop-Sängerin Catt auf. Im Beiheft lese ich, dass sie in einem Drei-Häuser-Dorf im Wendland aufgewachsen und Multiinstrumentalistin ist. Für ihr erstes Album hat sie sich im Gartenhaus einer Künstlervilla mit all ihren Instrumenten eingerichtet. Herausgekommen sind Songs voller Sehnsüchte und Hoffnung. Das Album ist eine tolle Entdeckung, die ohne Post-Kultur an mir vorbeigegangen wäre.
Auch über die CD des Ensembles Resonanz mit Schauspieler Charly Hübner freue ich mich. Vor allem, weil Erinnerungen an eines der letzten tollen Konzerterlebnisse vor dem Lockdown wach werden. Bei dem außergewöhnlichem Projekt „Mercy Seat – Winterreise“ trifft Schubert auf den australischen Sänger und Lyriker Nick Cave. Für solche experimentellen Arrangements von alter und neuer Musik wird das Ensemble Resonanz weltweit gefeiert. Ich kann mir vorstellen, dass der Zugang für „Einsteiger“ etwas sperriger sein mag – würde aber jedem Kulturjunkie einen Konzertabend mit dem Ensemble Resonanz vorbehaltslos ans Herz legen.
Als Nächstes hole ich fünf eigens gedruckte Postkarten der Hanseatischen Materialverwaltung aus der Box. Die Motive: liebevoll arrangierte Lampenschirme, Orientteppiche und alte Reisekoffer. Die kommen sofort in meine Sammelkiste mit Geburtstagsgrußkarten. Von der Einrichtung habe ich noch nie zuvor gehört, doch das Konzept fasziniert mich sofort: Die Hanseatische Materialverwaltung rettet Gegenstände, die nach Theaterinszenierungen, Messen oder Filmdrehs im Müll landen würden und sammelt diese in einem zentralen Lager.
An diesem Fundus können sich Museen und öffentliche Einrichtungen bedienen und alle möglichen Materialien und Gegenstände ausleihen oder für eigene Projekte weiterverwenden. Auf Instagram sehe ich, dass die Materialverwaltung über ein schönes Sonnendeck verfügt und regelmäßig Kulturveranstaltungen anbietet. Für den Sommer plane ich fest einen Besuch dort ein.
Schön auch ein handsignierter Druck der Hamburger Künstlerin Ellen Sturm, der exklusiv für die Box angefertigt wurde. Nach einer schnellen Google-Recherche finde ich sogar ein kurzes „Making Of“-Video. Gerahmt wird es einen Platz an meiner Wohnzimmerwand finden.
Neugierig macht mich eine Karte mit einem QR-Code zu einem Tanzprojekt von Kampnagel. Einer der Kulturorte in Hamburg, an die ich es aus unterschiedlichsten Gründen so gut wie nie schaffe. Zu sehen bekomme ich eine Choreografie, an der 70 Hamburger*innen beteiligt waren, die sich teils eng aneinander reiben. Ein Projekt eindeutig aus präpandemischen Zeiten, es fühlt sich fast falsch an, dass sich so viele Menschen auf so engem Raum bewegen. Hilfreich ist ein begleitendes Interview der Choreografin Patricia Carolin Mai, das Nicht-Tanz-Expert*innen wie mich an die Hand nimmt. Eine vollständige Sichtung des einstündigen Tanzvideos schiebe ich erst mal auf.
PostKultur-Box: Die limitierte Hamburg- Box kostet 150 Euro, dann geht es im Quartals-Abo weiter für 75 Euro.
Die erste Hamburger Abo-Box soll Ende März auf den Markt kommen. Für Bremen lässt sich eine Box bereits vorbestellen: https://post-kultur.com
Ein paar Stunden bin ich schon mit der Box beschäftigt und noch lange nicht fertig: Darin befinden sich noch ein Gutschein für zwei Personen für das Bucerius-Kunstforum, das Buch „Schlaflos“ des norwegischen Autors Anders Bortne, das im Marisch-Verlag erschienen ist. Außerdem eine Art Pixie-Buch für Erwachsene mit einer Kurzgeschichte der Autorin Nora Gomringer und Teil 1 einer Essay-Reihe von Nikolai Blaumer, der sich als Programmdirektor am Thomas Mann House in Los Angeles mit Hoffnung und Versöhnung der US-amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzt.
Unterm Strich: eine willkommene Ablenkung – in Anbetracht der Tatsache, dass ich sonst zwischen Netflix und Spazierengehen wählen kann. Die Künstler*innen und Kultureinrichtungen bekommen eine Chance, sich zu präsentieren, werden dadurch finanziell unterstützt und für mich gibt es einiges Neues zu entdecken.
Langfristig wären für mich als Spotify-Jüngerin zwei CDs pro Box ein K.O.-Kriterium – seit ich in Marie-Kondo-Manier meine CD-Sammlung erst mal auf den Dachboden verbannt habe. Aber am Ende ist es eben wie mit der Bio-Kiste: Natürlich kann man nicht mit jedem Produkt viel anfangen. Natürlich mag ich Blumenkohl (oder Theater) viel lieber als Rettich (oder zeitgenössischen Tanz). Aber immerhin gibt man dem Rettich dann gelegentlich eine neue Chance. Und vielleicht stößt man dann irgendwann auch noch auf ein Rettich-Rezept, das ganz in Ordnung schmeckt!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!