Prozess gegen Gelbwesten in Frankreich: Stunde der Abrechnung
Beim Gelbwesten-Prozess in Frankreich können die Angeklagten nicht mit Nachsicht rechnen. Denn dem Staat geht es darum, ein Exempel zu statuieren.
E s war kein glorreicher Tag für die Staatsmacht, als am 1. Dezember 2018 die Gilets jaunes (Gelbwesten) bei ihrer Demonstration am Ende zuerst die Avenue der Champs-Élysées und dann den Étoileplatz mit dem monumentalen Triumphbogen besetzten. Blamabel war vor allem für die massiv aufgebotenen Ordnungstruppen, dass eine Handvoll besonders aufgebrachter und zur Konfrontation entschlossener Demonstranten in das Innere von Napoleons Siegesmal vordringen konnten, um sich anschließend triumphierend auf dem Dach zu postieren.
Nun schlägt die Stunde der Abrechnung. Irgendwer muss doch für die Schmach der Staatsmacht bezahlen, die vor den laufenden Kameras desavouiert wurde. Der damalige Innenminister, Christophe Castaner, musste wenig später sogar zurücktreten, weil er trotz des harten polizeilichen Durchgreifens gegen die Demonstrierenden die Lage nicht unter Kontrolle brachte.
Niemand soll sich ungestraft am Triumphbogen vergreifen. Ein paar Plünderungen und Sachbeschädigungen liefern den Vorwand für einen Prozess. Der Schaden ist geringfügig, doch hier soll ein Exempel statuiert werden.
Die zehn Angeklagten sollen Postkarten oder andere Souvenirs aus dem geplünderten Laden im Triumphbogen entwendet haben, sie wurden auf Videos erkannt oder haben ihre Fingerabdrücke hinterlassen. Die Staatsanwaltschaft musste selbst einräumen, dass „die Anstifter sowie die Haupttäter“ des Vandalenakts nicht identifiziert werden konnten. Mit Nachsicht können die zehn Angeklagten trotzdem nicht rechnen. Seit Beginn der Protestbewegung der „Gelben“ reagiert die Polizei brutal und die Justiz streng.
Selbst wenn sich die Verhandlungen als Prozess gegen „kleine Fische“ entpuppen sollten, wie es sich die Verteidigung wünscht, haben sie für den in seiner Autorität verletzten Staat nicht nur eine abschreckende Bedeutung. Mit der gerichtlichen Aufarbeitung soll die heterogene, unkontrollierbare und immer noch brandgefährliche Bewegung der Gilets jaunes ein für alle Mal in die Vergangenheit verbannt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“