: Raum schaffen für die Farbe
Der Schwede Peter Dorén gestaltete in Hamburg Wohnräume in Villen, Innenräume der Hotels Vier Jahreszeiten und Atlantic, des Schauspielhauses, des Thalia-Theaters und des Michels. Eine Ausstellung erinnert erstmals an den fast unbekannten Raumkünstler
Von Bettina Maria Brosowsky
Hamburg im Ausgang des 19. Jahrhunderts: Trotz eines gut betuchten, international orientierten Bürgertums herrschte in der Stadt kaum Begeisterung für den gerade aufkommenden Jugendstil. Dessen Hochburgen wurden Paris, Brüssel, Wien, München oder auch Darmstadt und Weimar mit so bekannten Protagonisten wie Bruno Paul und Richard Riemerschmid in Bayern, dem Belgier Henry van de Velde im Thüringischen sowie dem gebürtigen Hamburger Peter Behrens und dem Wiener Joseph Maria Olbrich in der hessischen Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe.
In Hamburg mangelte es an derartigen Künstlerpersönlichkeiten und so bedurfte es erst des zugezogenen Schweden Peter Gustaf Dorén (1857–1942), bis auch in der Hansestadt private wie öffentliche Innenräume ihre konservative Diskretion ablegten, um mit durchkomponierten Interieurs in delikater Farbigkeit dem zeitgenössischen Ideal des „Gesamtkunstwerks“ nachzueifern.
Jenem Peter Gustaf Dorén, der selbst in der Fachwelt kaum bekannt ist, widmet das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe derzeit eine online, nun aber auch wieder tatsächlich zu besichtigende Ausstellung, zu der im April eine umfangreiche Publikation erscheint. Erstmals wird sein Schaffen durch rund 200 Objekte, zumeist aus dem Privatbesitz seines Urenkels Peter Nils Dorén, aufgefächert: Farbmusterkarten, detailgetreue Entwurfsskizzen, kolorierte Raumbücher mit Angaben zu Maßnahmen und Materialien, Einzelmöbel und Textilien sowie Fotografien der fertiggestellten Räume gewähren Einblicke, wie die zahlreichen Aufträge von der Akquise über erste Ideen bis zur Ausführung geplant und vollendet wurden.
Die florierenden „Werkstätten für Wohnungskunst“, wie Dorén sein 1887 gegründetes Unternehmen später nannte, beschäftigten zu ihren besten Zeiten über 200 Mitarbeiter:innen, residierten seit 1908 in einem fünfgeschossigen, repräsentativen Geschäftsgebäude am Hamburger Pulverteich. Zu den prominenten Aufträgen wie auch Hinterlassenschaften der Firma zählen Innenraumgestaltungen der Hotels Vier Jahreszeiten und Atlantic, des Schauspielhauses und Thalia-Theaters, der Hochschule für bildende Künste sowie im Rahmen des Wiederaufbaus des Michels – überfällig also, das Phänomen Dorén in Hamburg einmal zu würdigen, besser: neu zu entdecken.
Raum für Farbe
In Südschweden in eine alte Bauernfamilie geboren, galt bereits das Interesse des Heranwachsenden dem künstlerischen Gestalten mit farbigem Utensil. Dorén absolvierte eine Ausbildung als Dekorationsmaler, legte 1875 die Gesellenprüfung ab. Um Meister zu werden, musste er, wie damals üblich, mindestens zwei Jahre Erfahrung und Wissen in auswärtigen Werkstätten sammeln. Statt zwei gestattete sich Dorén dann zwölf Lehr- und Wanderjahre, legte vorher aber noch den väterlichen Allerweltsnamen Andersson ab und sich den klangvollen Künstlernamen Dorén zu – in Anlehnung an den französischen Illustrator Gustav Doré, so erzählt es der Urenkel.
Ab 1877 arbeitete er für zwei Jahre in Hamburg, belegte zudem Weiterbildungskurse, unter anderem an der neuartigen Gewerbeschule: dekoratives Malen, Freihand-, Möbel- und Baufachzeichnen. 1880 ging es über das Rheinland und Straßburg nach Paris, zurück nach Schweden und 1883 neuerlich nach Hamburg, wo Dorén vier Jahre später, mittlerweile künstlerisch anerkannt und gut vernetzt, seine eigene Firma gründete. Der Zeitpunkt war glücklich gewählt, denn in Hamburg begann durch den Zollanschluss ans Deutsche Reich ein ökonomischer wie auch baulicher Aufbruch: die Speicherstadt entstand, das Kontorhausviertel wurde konzipiert, ebenso die Mönckebergstraße als repräsentative Verbindung zwischen Hauptbahnhof und Rathaus, auch sie Neubauten. Und der private Sektor erblühte. Allerdings waren hier noch viele Hilfestellungen von Nöten, bis der hanseatisch obligatorische „Weißanstrich für Decken, Türen und Fenster und höchstens da, wo es angebracht schien und bezahlt wurde, sparsamste Vergoldung“, so Dorén zum vorherrschenden Geschmack, der Farbe im Raum Platz machte.
Das für Hamburg am Beginn des 20. Jahrhunderts so wichtige Dreigestirn aus Justus Brinckmann, Gründungsdirektor des Museums für Kunst und Gewerbe, Alfred Lichtwark, Kunsthistoriker, Pädagoge und Direktor der Kunsthalle, sowie Oberbaudirektor Fritz Schumacher leistete bedeutende Reformarbeit für die lokale Bau- wie Raumkultur und ihre handwerklichen Disziplinen.
Zu den geschmackserzieherischen Maßnahmen gehörten Publikationen und Ausstellungen, deren Saat recht frühzeitig in der Architektur und Innenausstattung Hamburger Kontor- und Geschäftshäuser aufging, verzögert und nicht mehr mit der „Jugendfrische“, so Brinckmann, in Privatwohnungen. Dorén gelang das Kunststück, für seine Klientel ein Amalgam aus intensiven, aber gedeckten Farbkombinationen und schablonierter Ornamentik des Jugendstils mit Rückgriffen auf Klassizismus, Biedermeier, englischem und schwedischem Landhausgefühl zu entwickeln, in dem auch so manch alter Orientteppich oder ererbtes Möbelstück zu neuen Ehren kam. Nicht Stilreinheit war die Maxime, sondern vornehm behagliche Bürgerlichkeit, ein „Wohnraum von einladender Traulichkeit“, wie ein zeitgenössischer Rezensent die geglückte Harmonie bezeichnete.
Eine bunte Stadt
Firma Dorén lieferte ganzheitliche Raumkonzepte: Malerarbeiten, Möbel, Stoffe, Beleuchtungskörper bis hin zu keramischen Erzeugnissen, Kleinkunst und grafischen Kunstblättern, sie verfügte dafür über ein Netzwerk qualifizierter Zulieferer. Unverkennbar waren Einflüsse der „Wiener Werkstätte“, deren Textilien und kunsthandwerkliche Einzelstücke Dorén verwendete: eine gedankliche Inspiration, die sich durch die Berufung des wichtigen Entwerfers der „WW“, Carl Otto Czeschka, 1907 an die Kunstgewerbeschule weiter verfestigte. Dorén schwebte zudem ein farbiges Stadtbild vor, er entwarf entsprechende Fassaden – eine Idee, die im „Neuen Bauen“ der 1920er-Jahre viele Architekten beschäftigte, wenngleich vorrangig als relativ preiswertes aber optisch effizientes Experimentierfeld in wirtschaftlich prekärer Zeit.
Der gute Ruf der neuen Hamburger Raumkunst erreicht auch die internationale Presse. Die englische Kunstzeitschrift The Studio bezeichnete Dorén als „a vigorous disciple“, einen tatkräftigen Schüler, der modernen Bewegung in Deutschland. Der erste Weltkrieg und anschließende Inflationen setzten der Firma zu, dem Zweiten Weltkrieg fiel der Geschäftssitz zum Opfer, sodass die auf einen konventionellen Malereibetrieb zurückgefahrene Firma Dorén in den 1960er-Jahren aufgab. Im Jahr 2000 rückte sie noch einmal ins öffentliche Bewusstsein, als Schümanns Austernkeller, ein frühes Werk Doréns im Heine-Haus am Jungfernstieg, das Schicksal der Zwangsräumung ereilte. Dessen thematische Séparées – eine Holländische Stube, das Heine-Zimmer inklusive Dichterporträt oder eine mit Korbmöbeln ausgestattete Zeppelin-Koje – lassen sich jetzt als Entwürfe und Fotografien in Erinnerung rufen.
Peter Gustaf Dorén. Ein Hamburger Raumkünstler um 1900: bis 5. Mai im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg; Das Museum kann ab Fr, 12. März nach vorheriger Online-Anmeldung über tickets.mkg-hamburg.de wieder besucht werden. Die Terminbuchung für den Museumsbesuch ist ab Do, 11. März, möglich; gleichnamige Publikation im Verlag Hatje-Cantz, ISBN 978-3-7757-5050-9 (erscheint im April), 48,00 Euro
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