Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“: Im Hier und Gestern
Das Remake bringt den Mythos „Christiane F.“ zurück. Die Amazon-Serie wabert erfolgreich zwischen Neuinterpretation und Werktreue.
Vor ziemlich genau 40 Jahren startete Uli Edels „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ mit der damals erst 13-jährigen Natja Brunckhorst in der Hauptrolle in den deutschen Kinos. Drei Jahre zuvor, im Jahr 1978, war die Buchvorlage der beiden Stern-Journalisten Kai Hermann und Horst Rieck erschienen.
Seither hat sich „Christiane F.“ als ein Schlagwort etabliert, das besonders eindrücklich vor den Gefahren des Drogenmissbrauchs mahnt. Die Jugend der mittlerweile 59 Jahre alten Berlinerin und der Bahnhof Zoo sind längst zum Mythos avanciert. Da ist die Frage, was eine Amazon-Prime-Serie dem heute noch hinzuzufügen hat, ganz unvermeidlich.
Dass die Serienschöpfer*innen ihre weiterhin unter dem Titel „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ firmierende Produktion unbedingt über die Aktualität des Stoffes gegen eine solche Frage schützen wollen, lässt sich an zahlreichen Interview-Äußerungen erkennen: Head-Autorin Annette Hess („Ku’damm“-Reihe) hebt das „Universelle“ der Geschichte hervor, Regisseur Philipp Kadelbach („Parfum“) betont die „Zeitlosigkeit“ des Themas.
Unter anderem durch einen jungen Soundtrack wurde versucht, der Serie einen heutigen Anstrich zu verleihen. In der legendären Berliner Disco „Sound“ spielt man anachronistisch Techno, während einer der zahlreichen Szenen in einer verdreckten Bahnhofstoilette untermalt ein Hip-Hop-Track den nächsten „Schuss“.
„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, acht Episoden, ab 19.2. bei Amazon Prime Video
Heroin als Schreckensdroge
Durch Zeitgeistigkeit tun sich die acht jeweils einstündigen Episoden allerdings trotzdem nicht hervor – nicht nur weil Heroin weiterhin als größte Schreckensdroge fungiert. Die gezeigten Milieus sind klar im Kontext der Siebziger verhaftet. Und auch, wenn die Krisen, die die Jugendlichen in die Sucht treiben, bis zu einem bestimmten Grad global sein mögen, treffen sie doch nicht den Kern des Lebensgefühls der Generation Z. Dass die künstliche Verjüngung nicht ganz aufgeht, tut dem Unterhaltungswert der Serie jedoch keinen Abbruch – im Gegenteil: Es bewahrt sie davor, ein schlechtsitzendes Lehrstück zu sein.
Durch inszenatorische Kniffe, die sich aus dieser ständigen Gratwanderung zwischen Werktreue und Neuinterpretation ergeben, kann sie sich eigenständig positionieren. Trotz einiger Querverweise – manche Einstellungen rund um den Akt des Konsumierens erinnern sehr an den Kultfilm „Trainspotting“ – tut sie sich durch eine gestalterische Finesse hervor, wie es sie in der deutschen Serienlandschaft noch viel zu selten gibt.
So kommt der Berlin-Hymne „Heroes“ und ihrem Schöpfer David Bowie wie in der Vorlage eine tragende Rolle zu, nicht jedoch ohne ganz eigenen Bruch: Das erste Mal Heroin konsumiert Christiane (Jana McKinnon) während eines seiner Konzerte, serviert von einem Wolf auf dem sprichwörtlichen Silbertablett. Traum, Wirklichkeit und Halluzination verschwimmen immer wieder und machen „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ausgerechnet aus ästhetischen Gesichtspunkten so sehenswert.
Eine weitere Besonderheit der Serie ist, dass sie sich den Raum nimmt, die Perspektive von Christiane allein auf besagten Freundeskreis auszuweiten. Nach Klassenkameradin Stella (Lena Urzendowsky), die ihrer alkoholabhängigen Mutter regelmäßig in der Kneipe aushelfen muss, kommen bald die suizidale Babsi (Lea Drinda) und der bereits Heroin-konsumierende Axel (Jeremias Meyer) mit seinen Kumpels Michi (Bruno Alexander) und Benno (Michelangelo Fortuzzi) in ihr Leben.
Der unvermeidbare Absturz
Bereits am Ende der ersten Folge verlieren sie das erste Mal gemeinsam buchstäblich die Bodenhaftung, als sie „high“ unter der Decke des „Sound“ schweben. Zum Fall kommt es erst wesentlich später. Bis dahin lässt sich „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ausreichend Zeit, um ein spannendes Netz an Figuren zu weben und die einzelnen Charaktere und ihre mannigfaltigen Beziehungen umfassend vorzustellen.
Es ist wohl auch dem durchweg hervorragend aufspielenden Cast und der sich so einstellenden Sympathie zu verdanken, dass die einzelnen Handlungsstränge trotz einer gewissen Vorhersehbarkeit interessant bleiben. Der unvermeidbare Absturz der Teenager*innen ist gerade wegen der zeitweise lichten, unbeschwerten Momente in der ersten Hälfte der Staffel dann umso drastischer: Ein Kreislauf aus verstörenden Anfällen auf „Turkey“ und „Anschaffen gehen“ auf dem „Kinderstrich“ in der Kurfürstenstraße entsteht, der für manche im Gefängnis und andere im Grab endet. An der Heftigkeit des Niedergangs der Kinder ändert selbst das bestechend stylische Kostüm- und Szenenbild nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos