Wirtin über ihr Kneipenleben: „Ich könnte heulen“
Zwei Drittel ihres Lebens stand Sylvia Herold hinter Hamburgs Tresen, die letzten 16 Jahre im Katz & Kater. Ein Gespräch über Liebe, Wut und Trauer.
taz: Frau Herold, wie viel Zeit Ihres Lebens haben Sie ungefähr hinter der Theke hier verbracht?
Sylvia Herold: Oh, eine Menge schon. Seit ich den Laden am 4. November 2006 übernommen habe, mehr als irgendwo anders. Besonders weil ich das hier in den letzten sechs Jahren ganz allein gemacht habe.
Sechs Tage die Woche bis tief in die Nacht?
Genau. Wobei wir früher auch tagsüber offen waren, das hatte sich irgendwann nicht mehr gelohnt. Als ich wegen Corona um zehn dichtmachen musste, kam deshalb kaum noch was rein, und die Genehmigung zur Öffnung des Außenbereichs kam auch erst kurz vorm zweiten Lockdown. Deswegen könnte es sein, dass demnächst zum ersten Mal seit Ende des 19. Jahrhunderts in diesem Haus keine Kneipe mehr drin ist.
Hatten Sie das Katz & Kater vor 15 Jahren so übernommen, wie es jetzt aussieht?
Ganz genau so. Die Stammgäste wollten damals, dass alles bleibt, wie es ist. Jede Kneipe ist ja ein zweites Zuhause, das darf man auch nicht so einfach ohne Einwilligung der Bewohner umdekorieren.
Ist es auch Ihr Zuhause oder am Ende eher ein Arbeitsplatz?
Beides. Ich wohne ja direkt nebenan. Um nach Hause zu kommen, muss ich nicht mal auf die Straße, sondern kann durch den Garten gehen. Mir kann auf’m Heimweg nichts passieren.
Es klingt ungeheuer warm, wenn Sie von dieser Zeit erzählen. Waren es hier ausschließlich gute Zeiten?
Nein. Zwischendurch, als meine Kinder noch im Haus waren, gab es auch mal schlechte – gerade finanziell. Das hatte sich zuletzt aber zum Positiven geändert. Ich liebe den Laden. Ich liebe den einfach und will ihn auch nicht hergeben.
Das klingt kämpferisch.
Bin ich auch, erst kürzlich habe ich wieder mal mit meinem Anwalt telefoniert. Noch ist der Untergang nicht besiegelt, auch wenn es eng wird. Aber weil mir die Konten gesperrt wurden, konnte zuletzt weder die Coronahilfe noch die Miete überwiesen werden.
Was überwiegt da gerade bei Ihnen – Traurigkeit, Wut, Resignation?
Im Moment bin ich vor allem wütend, man fühlt sich so allein gelassen, ich könnte jetzt schon wieder heulen. Zugleich aber gab es auch viel Unterstützung. Ein paar Stammgäste rufen dauernd an oder kommen vorbei und fragen, wie’s läuft. Irgendwer hat sogar so ein Crowdfunding gestartet, das kannte ich vorher gar nicht. Ich habe zwar schon einiges von meinem Ersparten hergegeben, aber das gespendete Geld nehmen wir erst, wenn wirklich Land unter ist. Denn verlieren darf ich das Ding hier nicht, dann gehe ich zugrunde.
63, ist gelernte Altenpflegerin. Sie ist in Hamburg geboren und lebt dort heute immer noch – direkt neben dem Katz und Kater in Altona-Altstadt.
Geht das der Nachbarschaft ähnlich, spürt man darin die Bedeutung solcher Nachbarschaftskneipen fürs Viertel?
Langsam schon. Im Grunde genommen bin ich ja die letzte richtig alte Kneipe auf der Ecke, das weiß zumindest ein Teil der Leute hier wirklich zu schätzen. Früher gab’s noch was am Bahnhof, aber jetzt konzentriert sich doch alles im Ortskern von Ottensen. Wir haben hier weniger Laufkundschaft.
Trotzdem sind die Gäste aber doch ziemlich gemischt, oder?
Das ist so was von gemischt. Hier kommen Punker rein, Väter und Mütter, Berufstätige, auch Penner. Wenn die stundenlang an einem Bier festhängen, kriegen sie halt mal von anderen einen ausgegeben; das ist wie ’ne große Familie, von der man ja auch nicht alle Verwandten gut kennt. Ich kenne nicht alle Namen, aber die meisten Gesichter.
Gab es da auch welche dieser uralten Tresengewächse, die schon hier waren, als Sie gekommen sind, und bestenfalls raussterben?
Ja, da sind allerdings sogar einige mittlerweile rausgestorben – besonders in den letzten zwei, drei Jahren. Mit vielen von denen habe ich am Wochenende geknobelt, dafür waren wir dann auch morgens offen, ausnahmsweise.
Frühschoppen.
Und zwar für einen guten Zweck, das Kinderhospiz. Da kam oft ganz schön was zusammen, bis zur Schließung. Das war immer schön. Früher gab’s auch einen Sparclub, der ist aber eingeschlafen. Ein paar der jüngeren Gäste fragen mich manchmal, ob man das nicht wiederbeleben könnte. Aber mittlerweile wäre mir das vermutlich zu viel Bürokratie, das ist ja alles vereinsrechtlich geregelt. Und dann sparen die Leute doch wieder nicht regelmäßig; dabei tut man das ja, um am Jahresende einen Ausflug zu machen oder ein schönes Fest. So was liebe ich!
Das klingt alles, als wären Sie eher ein nostalgischer als ein pragmatischer Typ.
Ich bin schon nostalgisch, weiß aber auch, dass man in meinem Geschäft stets nach vorne blicken muss, damit es weitergeht. Denn es muss ja weitergehen, was bleibt uns übrig. Trotzdem trauere ich den alten Zeiten manchmal nach. Ich mache seit meinem 20. Lebensjahr Gastronomie und habe auch neben der Arbeit als Altenpflegerin immer am Tresen gestanden.
Warum?
Ich liebe das. Ich liebe es, mit Menschen zusammen zu sein. Auch mit solchen, die man noch gar nicht kennt. Ich liebe dieses gemeinsame Labern über alles und nichts. Hinterm Tresen ist man schließlich alles: Schwester, Freundin, Mutti – manche sagen sogar Mutti zu mir, und so fühle ich mich dann auch oft. Ich sehe ja, wie meine jüngeren Gäste älter werden, Kinder kriegen, und wie die dann aufwachsen. Wenn man eine Gastwirtschaft führt, erlebt man so vieles, das man nie mehr vergisst – Gutes genauso wie Schlechtes.
Zum Beispiel?
Ach, von den guten Sachen gibt es zu viele, um einzelne rauszupicken. Aber die erste Schlägerei hier drin – das war zum Beispiel ich selber (lacht). Damals gehörte mir der Laden noch gar nicht.
Weil Ihnen einer doof gekommen ist?
Nicht einer: eine. Die war irgendwie eifersüchtig, ich weiß gar nicht mehr, warum. Da ging’s dann mal rund.
Und wer hat gewonnen?
Na, wer schon?! Obwohl ich einen Kopf kleiner bin, hab ich ihr das Nasenbein gebrochen, dabei aber auch meinen Daumen. Ich blühe ohnehin auf, wenn es Ärger gibt. Als mir mal einer das Spendenschiff auf dem Tresen für die Seenotrettung klauen wollte etwa, wenn auch vergeblich, das ist ja angekettet. Geschafft hatten sie das allerdings beinahe mit dem uralten Taucherhelm da drüben im Fenster. Kann man sich gar nicht vorstellen, so klobig, wie der ist. Und das auch noch am 1. April.
Was heißt beinahe?
Hier war eine Geburtstagsfeier, von der ich nicht einen einzigen kannte. Und dann hatten die auch noch Drogen dabei, das mag ich mal gar nicht. Als im Billard-Raum weiße Bahnen auf der Fensterbank lagen, habe ich das daher kurz mal weggewischt. Von wegen: ‚Uups, das ist aber nicht ganz sauber hier.‘ Ich glaube, deshalb waren die so angesäuert, dass sie mir den Helm geklaut haben. Aber ich habe ihn wiedergekriegt.
Wie das denn bitte?
Weil ich ein schlaues Mädchen bin, der Gastgeber aber eher nicht so ein schlauer Junge war. Ich hatte von dem überhaupt keine Daten – bis er am nächsten Tag anrief und nach seiner Flasche Whisky fragte, die angeblich auf der Fensterbank stehen sollte. Als ich sie gesucht hatte, sah ich die Lücke, wo der Helm stand, und hab gesagt, er solle seinen Leuten besser raten, mir den Helm zurückzugeben; ich hätte da oben in der Ecke nämlich eine Kamera. Die ist zwar Fake, aber das wusste er nicht. Wenn der Helm nicht bald wieder da ist, meinte ich, gehe ich zur Polizei. Nach ein paar Wochen war der Helm zurück und steht jetzt wieder da, wo er hingehört.
Haben Sie abseits der Theke einen Lieblingsort im Katz & Kater?
Habe ich, aber nicht abseits der Theke, sondern ganz vorne davon, wo wir immer knobeln. Da habe ich den besten Überblick – obwohl die Leute hier in der Regel ja alle ehrlich sind. Mein Billardtisch zum Beispiel ist seit Ewigkeiten kaputt, das Ersatzteil gibt es nicht mehr, deswegen funktioniert der Geldeinwurf nicht und die Klappe ist offen. Trotzdem zahlen die Spieler am Ende immer ganz freiwillig für jede Partie. Wo gibt’s so was sonst noch? So viel verdiene ich daran gar nicht, aber mir ist wichtig, dass Leute im Laden sind, weil Leute andere Leute anziehen. Wer will schon in leere Läden? Ich nicht!
Sind Sie denn guter Dinge, dass sich Ihr Laden wieder füllt?
(atmet tief durch)
Ist das Glas bei Ihnen halb voll oder halb leer?
Eigentlich immer halb voll, auch wenn das zuletzt manchmal schwerfiel. Das wird wieder, die Leute lauern ja alle schon vor der Tür. Allerdings kann man sich hier zwar ganz gut verteilen, aber mit maximal vier Personen auf Abstand am Tresen und zumachen um zehn wird es selbst dann schwer. Und Bundesliga kann ich auch nicht mehr zeigen, dafür wollte Sky zum Schluss 700 Euro im Monat, das kriegt man mit den paar Bier beim Spiel kaum wieder rein. Falls wir das doch irgendwann wieder machen, müssen aber ohnehin erst mal Rollos an die Fenster, das kann ich nicht allein.
Geht man als Wirtin auf Lebenszeit wie Sie eigentlich auch mal in andere Kneipen?
Klar, gerne sogar.
Um zu gucken, wie die Konkurrenz das so macht?
Eher schon, um zu gucken, wie man sich selbst so als Gast verhält (lacht). Manchmal gehe ich sogar mit meinen eigenen Gästen ein paar Häuser weiter in die nächsten Läden. Weil ich am Sonntag nach dem Frühschoppen immer dichtmache, bin ich mit meinen Dart-Spielern noch ins Nachbarn. Aber wie gesagt: die Kneipen sterben langsam aus, selbst in St. Pauli gibt es kaum noch welche. Manchmal war ich noch im El Brujito, schon weil die da einen Espresso mit Likör haben, den ich bei mir nicht machen kann. Da bin ich öfters rüber und hab ein Tablett davon zu mir geholt.
Haben Sie selber auch Spezialitäten, so einen Kopf-ab-Kurzen?
Mein Mexicana ist berühmt, ohne Tabasco, weil ich niemandem was ausschenke, das ich selber nicht mag. Und einmal im Jahr gibt’s bei mir „Gehängten“.
Wodka mit Sardelle.
Da treffen sich dann extra Leute aus verschiedenen Städten bei mir. Die meisten hier stehen aber auf Cuba Libre.
Champagner gibt’s keinen?
Doch, natürlich. Aber nur anlassbezogen. Letztes Jahr, glaube ich, zwei Flaschen, einmal wegen Fußball. Wenn wir wieder öffnen, hole ich die nächste raus. Obwohl ich dann gar keinen Schampus brauche, dann glüht mein Herz auch so. Ohne meine Kneipe verblöde ich langsam, immer allein in der dunklen Kellerwohnung, mein Lebensgefährte ist nach einem Schlaganfall ja im Heim. Ich brauche Leute um mich.
Haben Sie denn einen Plan B?
Nee, mit einer anderen Kneipe funktioniere ich, glaub ich, gar nicht mehr. Ich bin Katz & Kater – obwohl wir hier eigentlich immer zwei Kater und noch nie Katzen hatten.
Ach, der Name ist wörtlich gemeint?
Natürlich, die stromern hier schon immer durch und werden von allen geliebt. Auf Instagram gibt’s sogar Fotos davon. Hier kommen auch fremde Katzen rein, so kuschelig ist das. Wenn er jetzt käme und würde Sie hier mit mir sehen, denkt er bestimmt, ich habe wieder auf. Der spürt auch, dass gerade was nicht stimmt. Er braucht seine Streicheleinheiten von den Gästen. Die brauche ich auch. Also seelisch.
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