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Soziales Grün

Was die gärtnerische Gestaltung des öffentlichen Raums mit Natur zu tun hat, was nicht – und welche Impulse Nachkriegs-Ideen heute setzen könnten

Nachkriegsmoderne Grünkultur an der Außenalster: Max Bills „Rhythmus im Raum“ (1947–48) kam 1953 als eines von insgesamt 50 Exponaten der Ausstellung „Plastik im Freien“ nach Hamburg Foto: Otto Rheinländer/Hamburgisches Architekturarchiv/Dölling und Galitz Verlag

Von Bettina Maria Brosowsky

Schuld war die immer leistungsfähigere Artillerie: Wie in anderen kontinentaleuropäischen Städten wurden um 1800 auch Hamburgs barocke Befestigungen mit ihren Bastionen, Wassergräben und Glacis obsolet. Weil sie zudem kostspielig in der Instandhaltung waren, rückte das mehrere hundert Meter breite Terrain dieser Fortifikationen ins Blickfeld städtebaulicher Überlegungen. Heute zähle „Planten un Blomen“ im Zentrum der Stadt „zu den bekanntesten Parkanlagen in Deutschland“, werde „als Synonym für ein gepflegtes grünes Hamburg wahrgenommen und prägt die Identität der Stadt in hohem Maße“.

So steht es ganz zu Beginn im Band „Die Hamburger Wallanlagen“, erschienen 2020, da war die Umwandlung der Hamburger Festungs- in eine Grünanlage 200 Jahre her. Leipzig war bereits 1790 vorangegangen, hatte Bastionen schleifen lassen, Wälle einebnen, aus hygienischen Gründen die Wassergräben zuschütten: Man wollte alles in einen städtischen Landschaftspark verwandelt sehen.

Bremen folgte 1802, mit weniger radikalen Mitteln: Die von Bebauung fast vollständig freigehaltene, die vorherige Topografie behutsam modellierende Wallpromenade um die Altstadt ist ein Kleinod bürgerschaftlicher Gartenkultur von allererster Güte. In der Neustadt allerdings gelang durch die vollständige Einebnung kaum prägnantes Grün.

Noch mal später, dafür mit imperialem Ehrgeiz, ging Wien nach 1850 seine Entfestigung an: Die Ringstraße wurde zum urbanistischen, stadtbild- wie baustilprägenden Erneuerungsprojekt. Sie gestattete repräsentativen Verkehrsräumen und monumentalen Architekturen reichlich Platz, dem Grün aber immerhin auch noch 20 Prozent Flächenanteil.

Politik der kleinen Schritte

Hamburg unternahm viele kleinere Schritte. Eine erste, teilweise Entfestigung ab 1804 sollte die Neutralität der Stadt in den Napoleonischen Koalitionskriegen unterstreichen; die gestalterischen Ambitionen tendierten hier zum Bremer Vorbild. Allerdings verlor Hamburg seinen Nimbus als nie eroberte Stadt, wurde 1806 von französischen Truppen eingenommen und blieb, mit Unterbrechungen, bis 1814 besetzt. Die komplette Entfestigung folgte dann ab 1816, zerstörerisch wirkten nach 1840 mehrere Bahntrassen, etwa zum heutigen Hauptbahnhof oder ins westlich benachbarte Altona.

Beliebt waren die zahlreichen Ausstellungen mit Volksfestcharakter in den sich transformierenden Wallanlagen. So fand 1863 eine Landwirtschaftsschau statt, 1869 die erste Internationale Gartenausstellung als Freiluftveranstaltung, 1895 ein Kuriosum namens „Italien in Hamburg“ – mit nachgebildetem Markusplatz und Capri-Grotte – sowie 1897 eine Allgemeine Gartenbauausstellung; deren Novum war die elektrische Beleuchtung.

1895 beherbergten die Wallanlagen ein Kuriosum namens „Italien in Hamburg“ – mit nachgebildetem Markusplatz und Capri-Grotte

Wegen des gastronomischen Aufgebots vorrangig als „Zwölf-Kneipen-Ausstellung“ wahrgenommen, sollte sie eigentlich, ganz seriös, 13 Städten zur Vorstellung ihrer neu geschaffenen Grünanlagen dienen. Zu funktionalen wie gestalterischen Nachlässen dieser Ausstellungen gehörten ein zoologischer und ein botanischer Garten. In diese Tradition reihte sich dann 1935 die „Planten un Blomen“ ein: eine nationalsozialistische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, unter anderem zur Umnutzung des insolventen Zoos.

Diese für eine Dauer von zwei Jahren konzipierte niederdeutsche Gartenschau umfasste auch Vorschläge für die private Grüngestaltung: Gustav Lüttge (1909–1968), später bedeutend für eine Hamburgische Gartenkultur der Nachkriegsmoderne, steuerte einen „Liebhabergarten“ bei. Mit weiträumiger Terrasse zum Ruhen, einer freien Rasenfläche zum Spielen, zwangloser Bepflanzung und einem Wasserbecken für Fisch und Seerose stellte er einen kontemplativen Naturraum vor, der die Jahreszeiten verstehen und erleben lehren sollte. Man mag hierin eine größtmögliche Distanzierung sehen – vom NS-Ideal der eigenen Scholle, die vorrangig der agrarischen Selbstversorgung dienen sollte.

Jenem Lüttge hat das Hamburgische Architekturarchiv ein eigenes Buch gewidmet. Es rekonstruiert sein über 400 Objekte umfassendes Werksverzeichnis, seine Gestaltungstheorie und die eigene Rhododendron-Zucht. Und es weicht auch der Frage nicht aus, wieweit die NS-Zeit Lüttges Werk und Haltung mitgeprägt haben mag.

Gemüsezucht und „Sieben Jahreszeiten“

In Hamburg geboren und aufgewachsen, galt Lüttges Interesse schon während der Schulzeit dem Gärtnern und der Pflanzenzucht. Er mietete wechselnde Parzellen, versorgte so auch während der Weltwirtschaftskrise um 1930 die Familie mit Gemüse. Einer kaufmännischen Lehre folgte ab 1929 eine Ausbildung in einer Hamburger Baumschule sowie, 1931, eine für den weiteren Berufsweg prägende Tätigkeit bei Karl Foerster (1874–1970) in Potsdam. Dieser legendäre Züchter und Gartenschriftsteller formulierte in seiner Theorie der „Sieben Jahreszeiten“ einen erweiterten, ganzjährig im Garten erlebbaren Vegetationszyklus mit standorttypischen und aufgabenbezogenen Pflanzengemeinschaften.

Bei Foerster lernte Lüttge nicht nur seine spätere Ehefrau Erika von Delius kennen, sondern auch den Landschaftsarchitekten Heinrich Wiepking (1891–1973), bei dem er kurze Zeit arbeitete. Wiepking, ab 1934 Professor in Berlin, gilt als prominenter Wegbereiter nationalsozialistischen Gedankenguts in der Garten- und Landschaftsarchitektur, unter anderem war er nach 1941 für die „Landschaftspflege der eroberten Ostgebiete“ zuständig. Er präferierte formale, eher repräsentative denn aktiver Betätigung dienende Gartenanlagen.

Die überflüssig gewordene Befestigungs- zur Parkanlage gemacht: Planten un Blomen im Hamburger Zentrum nach wiederholter Umgestaltung Foto: Heino Grunert

Ohne einschlägiges Studium machte sich Lüttge 1933 in Hamburg selbstständig, schnell wurden seine Aufträge vom Ausbau der Hafen- zur „Führerstadt“ bestimmt: ein Volkspark mit HJ-Heim oder Tarnpflanzungen für eine Werft in Finkenwerder, die Hansische Universität in Klein Flottbek, landschaftliche Einbindungen von Wehrbauten. Parallel entwickelte Lüttge für aufwendigere, private Gärten sein immer weiter differenziertes formales Repertoire: Orthogonale Strukturen aus Wegen und Terrassen, architektonische Elemente wie Pergolen, Wasserbecken oder Stützmauern in Bruchstein um leicht abgesenkte Partien kontrastierte er mit frei gesetzten Bepflanzungen dauerhafter Stauden und Gehölze, die sich an den Grundstücksrändern verdichteten. Zeichnet diese frühen Realisierungen eine zeittypische, gebundene Gartenkunst aus, durchaus im Sinne Wiepkings, so bot Lüttge dieser Entwurfskanon nach dem Zweiten Weltkrieg eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit für freiere Kompositionen, auch im öffentlichen Raum.

Zu der ersten von drei Internationalen Gartenbauausstellungen, die der Wiederherstellung kriegsbeschädigten Hamburger Stadtgrüns dienen sollte, richtete Lüttge 1953 den fünf Hektar großen zentralen Bereich des Alstervorlands – heute Alsterpark genannt – für 50 internationale Exponate der Begleitschau „Plastik im Freien“ ein. Eine lange, leicht geschwungene Promenade an der stadtseitigen Flanke des Parks wird von einer niedrigen Mauer mit Sitzbänken begleitet. Sie ist das gebaute Rückgrat der Gesamtanlage, herausgezogene kleine Pflasterplätze nehmen raumgreifende Plastiken auf und lenken den Blick über eine freie Rasenfläche, offen platzierte Werke sowie alten Baumbestand in Richtung Außenalster. Diese Schau rückte nicht nur vormals verfemte Kunst in die Öffentlichkeit, sondern auch Lüttges nach wie vor architektonischen, aber gelockerten Nachkriegsstil.

Neben Parkanlagen, so dem Kneipp-Kurpark in Mölln, Gedenkorten für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und vielen privaten Gärten wurde soziales Grün im Kontext verdichteten Wohnens sein großes Thema. Mehreren Hochhäusern des Demonstrativbauvorhabens im Berliner Hansaviertel (1957) gab er über Wegefolgen mit Rankgittern, Pergolen und runden Sitzplätzen eine menschliche Dimension im Freiraum. In Hamburg waren es bereits 1946 ein – in dieser Form allerdings nicht realisierter – Vorschlag einer modellierten Rasen- und Baumlandschaft um die Grindelhochhäuser, später Maßnahmen in Großsiedlungen wie Bramfeld, Horn oder Groß Flottbek: Die Einheit von Haus und Garten, ihre funktionale und formale Kongruenz konnte Lüttge in zwei, für die frühen 1960er-Jahre noch neuartigen, kompakten Bungalow-Siedlungen des österreichisch-amerikanischen Architekten Richard Neutra demonstrieren.

In Quickborn, unter anderem, erweitern sich die Innenräume über breite Glasfronten in kleine Gärten, finden erst dort ihre Umgrenzung in gebauten und gepflanzten Strukturen aus Wandscheibe, Rankwand oder Hecke. Die Symbiose von Architektur und Grün folgte Lüttges Generalmaxime: Gärtnerische Gestaltung sei „Menschenwerk“ und niemals „Natur“, eine Bepflanzung habe aber stets den Kontrast zur Architektur zu suchen. Dass dieses anspruchsvolle Vermächtnis durchaus Impulse in aktuelle Planungsdiskurse zu setzen vermag, versteht sich – ebenso, dass seine heute noch vorhandenen Realisierungen qualifizierte Unterhaltungs- und Denkmalpflege verdienen.

Heino Grunert (Hg.): Die Hamburger Wallanlagen. Von der Festung bis Planten un Blomen. 360 S., 560 Abb., 39,90 Euro

Frank Pieter Hesse: Gärten sollen keine Geschwätz sein. Gustav Lüttge. Gartenkunst der Nachkriegsmoderne, 448 S., 640 Abb., 49,90 Eurobeide im Verlag Dölling und Galitz, Hamburg/München

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