Jazzmusiker*innen ohne Perspektive: „Jazz lebt vom Austausch“
Keine Konzerte und kein Miteinander: Die Berliner MusikerInnen Pechlof, Neuser und Rupp sprechen über den Jazz in der Pandemie.
taz: Frau Pechlof, eine eben veröffentlichte Umfrage des Landesmusikrats Berlin hat ergeben, dass fast ein Drittel der Berliner Musiker und Musikerinnen aufgrund der Coronakrise keine Zukunft mehr in ihrer künstlerischen Tätigkeit sehen und mit dem Gedanken spielen, etwas anderes zu machen. Sind Musikerinnen und Musiker aus dem Bereich Jazz und Improvisierte Musik von den Folgen der Pandemie noch stärker betroffen als andere, vor allem weil sie finanziell besonders stark von Liveauftritten abhängen, die immer noch nicht stattfinden können?
Kathrin Pechlof: Gerade wird vieles im Brennglas sichtbar, was seit Jahrzehnten in unserer Szene schiefläuft. Die Honorare sind zu gering, wir haben eine unterfinanzierte und fragile Spielstättenstruktur, man muss sich ständig von Projektförderung zu Projektförderung hangeln. Im Jazz gibt es diese Probleme sicherlich im besonderen Maße, weil wir nicht institutionell angebunden sind. Aber ich würde da ungern ein Ranking vornehmen, wem es am schlechtesten geht. Es geht gerade allen freischaffenden Musiker*innen aller Genres schlecht.
Olaf Rupp: Ich kann gar nicht sagen, wie es den anderen geht, auch nicht im Bereich des Jazz und der Improvisierten Musik. Man sieht sich ja gar nicht mehr. Jeder sitzt in seiner Kiste und versucht sich zu isolieren, ein Austausch findet nicht mehr statt. Ich würde aber auch sagen, dass die Krise alle Freiberufler*innen ähnlich trifft, nicht einmal nur besonders die Künstler*innen. Hätten wir ein vernünftiges Sozialsystem, ein bedingungsloses Grundeinkommen, dann wäre die Situation für alle gar kein Problem.
Nikolaus Neuser: Im Bereich Jazz und Improvisierte Musik sind fast alle Freelancer, nur wenige sind bei Big Bands angestellt oder arbeiten als fest angestellte Musiklehrer oder Musiklehrerinnen. Es herrschen sehr hybride, sehr individuelle Arbeitsformen. Das macht es besonders schwer, mit speziellen Förderinstrumenten punktgenau die Arbeitswirklichkeiten von Jazzmusikerinnen und Jazzmusikern zu erfassen.
Sie meinen Förderinstrumente wie Stipendien? Sie alle haben gerade eines. Das ist doch immerhin schon mal etwas.
Pechlof: Man muss unterscheiden zwischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen wie beispielsweise den Sofort- und Überbrückungshilfen für Soloselbstständige – die Einkommensverluste abfedern sollen, aber trotz Nachbesserungen vielfach bei freischaffenden Musiker*innen immer noch nicht ankommen –, und speziellen Förderprogrammen mit Kulturgeldern, wie sie von Bund und Land schnell und wirksam mit unbürokratischen Sonderstipendienprogrammen aufgelegt wurden. Diese erreichen aber nur eine bestimmte Klientel der Szene. Nämlich diejenigen, die eigene Projekte machen, Bandleader sind, Komponist*innen, Leute, die bisher auch gut im Fördersystem unterwegs waren.
Sidemen oder Musiker*innen, die bisher nicht als innovative Projektinitiatoren aufgefallen sind, aber in ihrem Segment erfolgreich und genauso relevant für die Vielfalt und Diversität der Musiklandschaft sind, fallen da eher unter den Tisch und finden dann häufig mit ihren hybriden Arbeits- und Einkommenssituationen – die aber typisch für Musiker*innen sind – bei den November- und Dezemberhilfen sehr hohe Antragshürden vor. Zudem waren die Programme völlig überzeichnet, der Bedarf also viel höher als Mittel vorhanden.
Neuser: Stipendien sind ein tolles Instrument, um die Gelder direkt in künstlerische Arbeit fließen zu lassen, aber es gibt einfach Ausschlussmechanismen bei der Stipendienvergabe, die Teile der Szene im Regen stehen lassen.
Aber auch ohne Stipendium kann man als Jazzmusikerin und Jazzmusiker doch überleben und auf bessere Zeiten hoffen. Dafür gibt es ja die Grundsicherung.
Pechlof: Bevor man die Grundsicherung in Anspruch nimmt, werden lieber Instrumente verkauft, werden die Ersparnisse aufgebraucht und wird die Altersvorsorge aufgelöst. Wer kann, vermeidet es, ins ALG II zu gehen. Die Regularien beim ALG II stehen selbstständigem Unternehmertum auch völlig entgegen, und Musiker*innen haben trotz geschlossener Spielstätten ja nicht aufgehört, unternehmerisch tätig zu sein. Im Gegenteil, sie müssen jetzt proaktiv und kreativ handeln.
ALG II bringt Menschen mit bisher gut funktionierenden Erwerbsbiografien in eine Situation, in der sie weder proaktiv handeln noch vielleicht investieren können, um sich aus eigener Kraft aus der Krise wieder herauszumanövrieren. Zu den bekannten Problemen mit ALG II kommen auch noch spezifische Besonderheiten wie Probleme mit zeitversetzten Honorarflüssen, Tantiemenausschüttungen und langfristigen Zyklen von Produktions- und Präsentationsphasen.
Neuser: Außerdem existieren noch immer Webfehler in der Konstruktion der sogenannten November- und Dezemberhilfen wie beispielsweise die Einstufung von soloselbstständigen Kunst- und Kulturschaffenden als bloß „indirekt Betroffene“, wodurch auch hier der Großteil der Betroffenen durchs Raster fällt. Der Zugang wird insgesamt an vielen Stellen erschwert, und das erklärt dann die geringe Inanspruchnahme, wie auch aus der Umfrage des Landesmusikrats hervorgeht.
Rupp: Ich kenne auch niemanden, der die Soforthilfen bekäme. Ich habe die Bazooka-Rede von Finanzminister Olaf Scholz live im Fernsehen gesehen, und mir ist da schon die Kinnlade runtergefallen. Ich habe mir gedacht, das kann doch nicht wahr sein. Da tauchte irgendwann das Wort Grundsicherung auf, keiner kannte es, ich auch nicht. Ich dachte mir, das gibt’s doch nicht, dass die jetzt alle selbstständigen Musiker*innen in Hartz IV schicken wollen. Dann beruhigte ich mich: Ach komm, der sagt ja Grundsicherung, das ist bestimmt was Tolles. Aber dann habe ich gemerkt, dass die einfach nur den Namen geändert haben. Das heißt jetzt nicht mehr Hartz IV, sondern Grundsicherung.
Für mich ist klar: Ich gehe nicht in diese Grundsicherung. Du kannst in die ja auch nur dann gehen, wenn du dich arbeitslos meldest. Es ist aber keiner von uns Musikern arbeitslos. Wir haben alle Arbeit genug. Ein Musiker arbeitet ja nicht nur, wenn er Konzerte gibt. Nur die Monetarisierung kommt halt zum Großteil daraus. Mit dieser Grundsicherung sind einfach auch viel zu viele unbeantwortete Fragen verbunden. Da wird so getan, als sei die ganz toll, weil die Vermögensprüfung weggelassen wird. Als sei die das einzige Problem bei Hartz IV. In Wahrheit musst du jeden Job annehmen, den sie dir vorlegen, darfst deinen Wohnort nicht verlassen, nichts ansparen, der ganze Käse halt.
Die „Bazooka“ von Olaf Scholz war und ist also keine echte Hilfe. Was hat Sie stattdessen finanziell durch das letzte Jahr gebracht?
Pechlof: Ich habe Glück gehabt mit einem Stipendium des Bundes und Soforthilfe II des Landes. Und ich habe im Herbst mit Rundfunkaufzeichnungen und digitalen Festivalauftritten noch etwas verdient. Dazu habe ich neben der Musik immer schon ein zweites Standbein gehabt – zurzeit ist das die kulturpolitische Arbeit bei unserer Interessenvertretung IG Jazz Berlin. In der Summe hat das letztes Jahr hingehauen. Ich bin damit privilegiert, das geht nicht allen so.
Rupp: Ich bin hauptsächlich mit den 5.000 Euro Soforthilfe von Klaus Lederer über den Sommer gekommen, das war das Einzige, was mir wirklich geholfen hat. Und jetzt habe ich eben das Stipendium. Ich bin aber beispielsweise auch unfassbar enttäuscht vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das Einzige, was ich von dem kriege, sind die Zahlungsaufforderungen für den Beitragsservice. Aber dort hat sich keiner mal hingesetzt und gesagt: So, jetzt übertragen wir mal zusätzlich ein paar Konzerte oder laden Musiker ins Studio ein.
Es ist ja auch gar nicht so einfach, als Musiker woanders was dazuzuverdienen. Wenn das mehr als 400 Euro im Monat sind, gibt es gleich Probleme mit der Künstlersozialkasse. Es gibt trotzdem aber auch ein paar schöne Sachen. Gerade komme ich von der Post. Ein Fan hatte mir eine Mail geschrieben, er habe vier E-Gitarren aus dem Nachlass eines Freundes. Und die hat er mir nun geschenkt, jetzt habe ich vier weitere Gitarren in meiner Wohnung stehen. Und es gibt Fans, die einfach alle CDs von mir kaufen, die ich online anbiete. Auch Bandcamp war eine riesige Hilfe mit ihrem Bandcamp-Friday, an dem sie auf alle Gebühren beim Verkauf deiner Musik verzichten.
Wenn die Coronapandemie vorbei ist, wie wird es dann nach dem langen Stillstand um die Jazzszene in Berlin bestellt sein?
Pechlof: Es gehört zu unserem Beruf, dass wir täglich viel üben. Wenn man jetzt als Jazzmusikerin oder Jazzmusiker aber Einkommen in anderen Jobs erwirtschaftet, kann man nicht mehr üben, nicht produzieren, nicht kreativ sein. Ganz zu schweigen von denen, die jetzt zu Hause ihre Kinder beschulen. Und wenn man monatelang nicht üben kann, dann kann man nach der Pandemie nicht einfach auf dem Level weitermachen, auf dem man vorher war.
Dazu kommt: Jazz und Improvisierte Musik leben vom Austausch. Das passiert jetzt alles nicht. Natürlich kann man stattdessen zu Hause üben und ein Soloprogramm erarbeiten, was auch viele tun. Es werden wahrscheinlich so viele Solo-CDs wie nie zuvor in diesem und im nächsten Jahr erscheinen. Gleichzeitig werden aber auch viele den Beruf wechseln oder sich später ganz langsam wieder reinarbeiten müssen. Es ist zu befürchten, dass da einige Akteure auf der Strecke bleiben werden.
Neuser: Vielleicht hilft die Krise, dass unsere Szene adäquater wahrgenommen wird. Unternehmertum etwa bedeutet bei uns nicht Gewinnmaximierung. Wenn ein Jazzclub Geld übrig hat, fließt das sofort zurück in den Betrieb – etwa in Form von Musikergagen oder Instrumenten. Bei uns Musiker*innen ist das ähnlich. Wenn ich Musik mache, dann nicht die, von der ich mir die höchsten Gewinne verspreche, sondern ich wende mich dem zu, was mir der lohnendste künstlerische Diskurs zu sein scheint und inhaltlich Sinn macht. Für die Gesellschaft ist es sehr wichtig zu sehen, dass hier in einer Vorstellung von Unternehmertum gearbeitet wird, die nicht auf Gewinn, sondern auf lohnenswerte Inhalte abzielt.
Und die Jazzclubs, die nach dieser Logik kaum über Rücklagen verfügen, werden die Krise überleben?
Pechlof: Bei uns gibt es die Problematik, dass wir keine institutionell geförderten Spielstätten haben. Die Clubs, die in Berlin Jazz und improvisierte Musik präsentieren, sind formal Wirtschaftsunternehmen und wie Restaurants kategorisiert. Es sind aber hybride Betriebe mit Kulturprogramm und Gastronomie, sie funktionieren nicht wie Restaurants. Man muss sagen, dass die Kulturverwaltung in Abstimmung mit der Wirtschaftsverwaltung schnell reagiert und geholfen hat, unter anderem mit der Soforthilfe IV und entsprechenden Kriterienkatalogen. Man hat sich da extrem reingehängt in Berlin – für alle Kulturorte. Somit gab es bisher auch noch keine Geschäftsaufgabe im Jazzbereich. Die Clubs können ihre Fixkosten und Mieten bezahlen und werden hoffentlich noch da sein, wenn sie irgendwann wieder aufmachen können.
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