Joe Biden als US-Präsident vereidigt: Beschwören der Einigkeit
Bidens Antrittsrede war eine Selbstvergewisserung, dass die USA noch funktionieren. Und ein Gegenentwurf zum Ethno-Nationalismus der letzten Jahre.
Was zu anderen Zeiten eine einfach nur kitschige Wie-toll-ist-Amerika-Rede gewesen wäre, war an diesem Tag, nur Stunden, nachdem Donald Trump am Morgen das Weiße Haus und die US-Hauptstadt verlassen hatte, das Eingeständnis, wie sehr die letzten Jahre die Grundfesten der US-amerikanischen Demokratie erschüttert haben.
Es gebe viel zu reparieren, wiederherzustellen und zu heilen, sagte Biden. Politischer Extremismus und White Supremacy – der Gedanke der Überlegenheit der Weißen – werde besiegt werden. Mit Rassismus, Ungleichheit und der Pandemie gebe es große Herausforderungen. Und: Aus Gier nach Macht und Profit verbreitete Lügen müssten bekämpft, der Wahrheit zum Durchbruch verholfen werden.
Die Rede, genau wie die begleitenden Worte der anderen Redner*innen und der jungen Schwarzen Dichterin Amanda Gorman im Anschluss, standen klar unter dem Eindruck der Ausschreitungen vom 6. Januar, als ein von Präsident Trump aufgeheizter Mob just jene Tribüne und die Hallen des Kapitols in Washington stürmte, wo jetzt die Amtseinführung stattfand. Der Mob habe „geglaubt, er könne durch Gewalt den Willen des Volkes zum Schweigen bringen. Aber das ist nicht geschehen, und es wird auch nicht geschehen, nicht heute nicht morgen, niemals!“ rief Biden. Die Demokratie habe sich durchgesetzt.
Schweigeminute in der Antrittsrede
Die Zeiten, in denen er sein Amt antritt, beschrieb Biden als eine „Kaskade von Krisen“: Spaltung, Wirtschaftkrise, Pandemie. Die Lösung, die er fast flehend anbot: Unity, Einigkeit. Nicht jede Meinungsverschiedenheit dürfe zum Krieg untereinander führen, und die Umsetzung eines politischen Programmes dürfe keine Schneise von Zerstörung hinterlassen. Biden sprach über Trump, erwähnte ihn aber kein einziges mal.
Die Rede war wie eine Selbstvergewisserung, dass die USA doch noch funktionieren. Und der Versuch, „Amerika“ zu definieren – mit einer Show multikulturellen, multiethnischen weltoffenen Patriotismus als Gegenentwurf zum weißen „America First“-Ethnonationalismus der letzten vier Jahre.
Man kann es kitschig finden, wenn die als Tochter puertoricanischer Eltern geborene Jennifer Lopez „This land is your land“ singt, den alten Song des Hobo-Folksängers Woody Guthrie – aber das Zeichen, was damit gesetzt werden sollte, war stark. Und dann rief sie in ihrem Medley noch auf spanisch „justicia para todos!“ aus, Gerechtigkeit für alle!
Mehr als deutlich machte Biden, dass er einen grundsätzlich anderen Umgang mit der Coronapandemie vorhat als sein Vorgänger. Und er war vermutlich der erste Präsident, der in seiner Antrittsrede, diesem Moment von Aufbruch und Freude für die eigenen Anhänger*innen, um eine Schweigeminute bat – ein stilles Gebet für die über 400.000 US-Amerikaner*innen, die bislang im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben sind, mehr als im gesamten Zweiten Weltkrieg.
Der historische Moment war ohne Zweifel die Vereidigung der ersten Schwarzen, asiatisch-amerikanischen weiblichen Vizepräsidentin Kamala Harris. Und die Einführung des ersten „Second Gentleman“, ihres Mannes Douglas Emhoff. Wann immer auf diesem Umstand hingewiesen wurde, brach großer Jubel auf der Tribüne aus, wo die üblichen Honoratioren, Kongressmitglieder und Ex-Präsidenten saßen.
Donald Trump hatte seine Teilnahme abgesagt und damit erneut mit einer Tradition der friedlichen Machtübergabe von einer Regierung zur nächsten gebrochen. Aber sein Vizepräsident Mike Pence samt Ehefrau waren erschienen. Etwas verloren standen sie in einer Ecke der Tribüne, applaudierten aber doch bei der Vereidigung seiner Nachfolgerin. Und für einen kurzen Moment konnte man glauben, dass die Heilung, die Joe Biden sich auf die Fahne geschrieben hat, doch funktionieren könnte.
Er, dieser Moment, wird nicht lang anhalten. „Wir werden in irgendeiner Form zurückkehren“, hatte Trump am Morgen auf dem Militärflugplatz Andrews im Bundesstaat Maryland nahe Washington bei seinem Abschied aus der Hauptstadt gesagt. Er dürfte Recht haben.
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