Roman von Esther Becker: Die Wut und die Ohnmacht
In ihrem Roman „Wie die Gorillas“ erzählt Esther Becker von jungen Frauen und der nicht einfachen Suche nach einem passenden Selbstentwurf.
Es ist selten, dass die Protagonistin eines Romans und die Form sich durch Ähnlichkeiten auszeichnen. Bei dem Roman „Wie die Gorillas“ von der Berliner Autorin Esther Becker aber kann es passieren, dass man zunächst zur Unterschätzung neigt, sowohl dem Buch gegenüber, weil die Kapitel kurz sind und mit leeren Seiten voneinander getrennt, als auch der Erzählerin und Protagonistin gegenüber, weil sie mit Momenten aus der Kindheit beginnt, die zunächst harmlos erscheinen, wie der Widerstand gegen Augentropfen und ein rutschender Bikini.
Am Ende des Romans aber hat man begriffen, dass Sich-schmal-zu-machen und den Körper zum Verschwinden zu bringen, eben das Drama ist, mit dem die Erzählerin kämpft. So schnell und vermeintlich leicht sich die einzelnen Abschnitte auch lesen, langsam dringt schleichend das Unheimliche und das Beängstigende ein, das die Erzählerin als Kind, als Mädchen, als junge Frau und schließlich Studentin der Medienwissenschaften bedrängt.
Während ihre Freundinnen Svenja und Olga, die sie schon seit der Schule kennt, zu wissen scheinen, welchen Ausbildungsweg sie einschlagen und wie sie ihr Äußeres gestalten, kann die namenlos bleibende Erzählerin lange zu keinem Entwurf von sich selbst finden. Sie lehnt sich ab, allein ihre Hände findet sie selbst schön.
Zusteuern auf eine Krise
In den letzten Kapiteln hat sie sich zu einer Abschlussarbeit über Horrorfilme entschieden, schaut die drastischsten Bilder von der Malträtierung der Körper an und verlässt ihre Wohnung nicht mehr. Für die Leserin wäre das zwar vorhersehbar gewesen, das Zusteuern auf eine Krise, aber vielleicht hat man sich täuschen lassen vom Spielerischen und oft auch Komischen der erzählten Episoden.
Da gibt es zum Beispiel die Geschichte, wie die Erzählerin mit ihrer Freundin Svenja, die Schauspielerin werden möchte, einen Job als Hostess annimmt, bei einer Preisverleihung. Sie müssen unangenehm kurze Kleider tragen und in Stöckelschuhen laufen, mit denen sie kaum die Treppe zum Moderator hochkommen. „Wir können uns kaum ansehen, ohne zu lachen. Unsere Haare sind wüst toupiert, unsere Augen dick beschichtet. Die falschen Wimpern kitzeln, wenn wir blinzeln.“ Was glamourös wirken soll, ist nur albern, künstlich und aufgesetzt.
Das ist eine von vielen in den Roman eingestreuten Geschichten, in denen die jungen Frauen, obwohl ihre Leben der jüngsten Vergangenheit angehören, mit sehr stereotypen Erwartungen an ihre Rolle als Frau konfrontiert werden. Schmückendes Beiwerk, immer noch. Die Erzählerin bekommt Wutanfälle, wenn sie erlebt, wie Regisseure später ihre Freundin Svenja als barbusigen Blickfang einsetzen.
Esther Becker, „Wie die Gorillas“, Berlin 2021, Verbrecher Verlag, 154 Seiten, 19 Euro
Buchpremiere: 3. Februar 2021 um 20 Uhr, im Literaturforum im Brecht-Haus – Livestream. Moderation: Chris Möller
Esther Becker hat selbst Schauspiel studiert, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. Bisher waren es meist Theaterstücke, die sie herausbrachte, auch für Jugendliche und Kinder. Im Grips Theater kam im letzten September ihr Stück „Das Leben ist ein Wunschkonzert“ heraus, in dem ein Mädchen, dessen Eltern in den Alkohol abgetaucht sind, ganz auf sich gestellt ist. Niemand soll zu ihr nach Hause kommen, um nicht die leeren Flasche zu sehen. Aber dieser kindlichen Heldin gelingt, was die Hauptfigur aus „Wie die Gorillas“ nicht schafft: sich aus der Isolation herauszuarbeiten und neue Kontakte zu knüpfen.
Die Last des Nicht-Gesagten
Was den Roman mit den Theaterstücken darüber hinaus verbindet, ist die schnelle Übertragung von Emotionen. Esther Becker beschreibt keine Gefühle und analysiert sie nicht; sondern sie baut mit wenigen Sätzen Situationen, aus denen sich schnell erschließt, was die Teilnehmenden empfinden.
Mit Svenja und Olga fühlt die Erzählerin sich stark. Ihre übrigen Beziehungen sind von Unausgesprochenem belastet: zu ihrer Mutter, die wieder heiraten will, zum Vater, der erst der erwachsenen Tochter gesteht, als gehe das nur als Geständnis, dass er schwul ist. Sie schämt sich dafür, dass er Schuldgefühle hat. Die Aussprache, die beide ersehnen, findet nicht statt. Stattdessen schneidet die Tochter sich vor Wut, dass die falschen, verletzenden Worte gegenüber dem Vater aus ihrem Mund springen, in den Finger.
Es ist ein Puzzle aus vielen Einzelteilen, die für sich genommen gar nicht so viel hermachen, aus denen sich nach und nach aber ein Bild des Unglücks zusammensetzt, ein Nicht-zu-Hause-Sein in der eigenen Haut. So wächst beim Lesen des Romans die Empathie mit der Erzählerin.
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