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Musik und Literatur im RadioSparkultur beim Rundfunk

Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender ihr Programm reformieren, geht das immer häufiger zulasten der klassischen Kultursendungen.

Radio hören und Kluges erfahren über Gegenwartskultur? Nicht mehr ganz so einfach Foto: Hubert Starke/Westend61/iamgo

Hamburg taz | „Musik aus sämtlichen Genres und abseits des Mainstreams“, lautet das Markenversprechen des „Nachtclubs“ im Norddeutschen Rundfunk (NDR). Stefan Gerdes, der verantwortliche Redakteur, sagt: „Was wir da machen, ist ein bisschen Autorenkino, und genau das soll auch so bleiben.“ Aber das Autorenkino hat aufmerksamkeitsökonomisch schon bessere Zeiten gesehen, und das lässt sich nun auch über den „Nachtclub“ sagen. Seit Anfang des Jahres läuft er hauptsächlich online bei NDR Blue – und nicht mehr linear im Spätprogramm von NDR Info. Das hat Nachteile: Der Name „NDR Blue“ ist abschreckend betulich, der Bekanntheitsgrad bescheiden, ein Konzept nur schwer auszumachen. Hinzu kommt: Die Spezialsendungen laufen nun weniger häufig als bei NDR Info.

Die schlechteren Rahmenbedingungen für den „Nachtclub“ haben mit zwei Trends zu tun. Spiegel Online konstatierte schon 2016, die „Sendeplätze für Autoren-Musikradio“ seien „rar geworden“. Anlass damals: Beim WDR-Programm „Funkhaus Europa“ (heute: „Cosmo“) verschwanden auf einen Schlag 17 musikjournalistische Sendungen.

Kürzlich endete bei Radio Eins (RBB) die Sendung „Roots“, in der der Journalist Wolfgang Doebeling auf einmalige Art ursprüngliche Spielarten populärer Musik vorstellte. Im Forum des Magazins Rolling Stone sprach Doebeling von einem „unfreiwilligen Ruhestand“.

Auch die klassische Kultur kommt bei öffentlich-rechtlichen Reformen stets unter die Räder: RBB Kultur hat im September haufenweise Magazinsendungen gestrichen. Der WDR versucht gerade mit aller Gewalt, seine Kulturwelle WDR 3 zu einem Programm umzumodeln, das tendenziell jedem gefallen soll, aber bloß nicht der kulturinteressierten Kulturradio-Zielgruppe.

„Veraltetes Kulturverständnis“

Die Veränderungen beim „Nachtclub“ haben zwei Gründe: Auf dem alten Sendeplatz bei NDR Info läuft seit Anfang des Jahres die „ARD-Infonacht“, deren Produktion der NDR vom MDR übernommen hat. Und der NDR will innerhalb von vier Jahren 300 Millionen Euro einsparen. Ein freier Mitarbeiter lobt, die „Nachtclub“-Redaktion habe sich bemüht, die Honorar-Einbußen bei Moderatoren – teils über 50 Prozent – gleichmäßig zu verteilen.

Immerhin kündigt Norbert Grundei, Leiter der „Audio-Strategie“ bei NDR, für März ein „neues Nachtclub-Format mit dem Schwerpunkt deutscher Musik“ an. Bei N-Joy, der Welle für die Jüngeren.

Bald nicht mehr beim „Nachtclub“ ist Ruben Jonas Schnell, sein Rahmenvertrag läuft aus. Er konzentriert sich auf das von ihm gegründete Onlineradio Byte FM, wo 24 Stunden „Nachtclub“-artiges läuft. Er kritisiert am NDR ein „veraltetes Kulturverständnis“. Klassik und Jazz werde über das gestellt, was im „Nachtclub“ abgebildet wird: „HipHop, Techno, Rock, Indie, R’n’B, Outernational – das ist kulturell relevanter als die meiste klassische Musik und auch der meiste Jazz“, sagt Schnell. „Musikjournalismus à la ‚Nachtclub‘ hätte einen prominenten Sendeplatz auf NDR Kultur verdient.“

NDR-Stratege Grundei sagt dazu, NDR Kultur habe sich in den vergangenen Jahren „mit großer Offenheit für einen erweiterten Kulturbegriff“ weiterentwickelt. Im Moment sei das „sehr engagierte neue Leitungsteam dabei, das Programm für die Zukunft aufzustellen“. Es sei vorstellbar, dass „Nachtclub“-Angebote auch dort zum Zuge kämen.

Manche Menschen schätzen zwar den „Nachtclub“, zucken aber ob der Veränderungen mit den Achseln: Musikjournalismus sei aus der Zeit gefallen, wegen Spotify müsse niemand auf neue Musik hingewiesen werden. Ruben Jonas Schnell findet: im Gegenteil. „Gerade weil jederzeit so viel Musik zugänglich ist wie nie zuvor, ist Einordnung wichtig – jedenfalls für jene, die sich nicht auf einen Algorithmus verlassen wollen.“

Transparenzhinweis: Die taz kooperiert mit Byte FM bei der Sendung taz.Mixtape.

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3 Kommentare

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  • „HipHop, Techno, Rock, Indie, R’n’B, Outernational – das ist kulturell relevanter als die meiste klassische Musik und auch der meiste Jazz“, sagt Schnell.

    Wir sprechen uns in 200 Jahren, verehrter Herr Schnell.

    • @Brian Cooper:

      In ganz ähnlich despektierlicher Weise haben die Vertreter der bildungsbürgerlichen Schicht vor nicht einmal 100 Jahren auch dem Jazz die kulturelle Relevanz abgesprochen. Was sie dabei nicht sehen, oder zumindest nicht laut sagen, ist der Umstand, dass die von ihnen präferierten, musealisierten und intellektualisierten Sparten, zwar fraglos im besten Sinne Kunst, etwas Artifizielles also, sind, nicht aber Kultur als eine authentisch gelebte und im Alltag verwurzelte Praxis ist.

  • Der ör-Rundfunk kam schon von Anfang nicht seinem ursprünglichen Auftrag nach, einen inhaltlichen Gegenpol zu den Privatsendern zu bieten.



    Das kann allein darum nicht gelingen, weil die Politik [und damit die Lobbyisten der Medienkonzerne] zu großen Einfluß auf die Besetzung der Rundfunkräte und der Intendanzen haben.

    Das Versagen des örR sieht man aktuell am Besten daran, dass selbst nach einem knappen Jahr Coronakrise noch immer so gut wie keine schulfähigen Unterrichtsvideos produziert werden.

    Unis und private Akteure haben da deutlich mehr auf die Beine gestellt wie die durch Zwangsabgaben finanzierten Konzerne des örR !!

    Aber auch das würde ich der zersetzenden Lobbyarbeit der großen Medienhäuser anlasten - denn grade die sehen dort ein großes "Marktpotential" - zu unser aller Schaden.

    Unter'm Strich: Funtionsunfähig und wirkungslos.



    Also besser abschaffen.