piwik no script img

Coronazahlen in DeutschlandForderung nach schärferem Lockdown

Die Zahl der Coronatoten steigt, auf den Intensivstationen bessert sich die Lage dagegen. Der RKI-Chef drängt auf weniger Kontakte am Arbeitsplatz.

Ab ins Homeoffice: RKI-Chef Lothar Wieler fordert noch weniger Kontakte am Arbeitsplatz Foto: Jan Woitas/dpa

Auch rund vier Wochen nach Inkrafttreten des verschärften Lockdowns gibt es noch keine Klarheit, wie sich dieser auf die Neuinfektionszahlen auswirkt. Wegen der verringerten Testzahl und der Meldeverzögerungen über die Feiertage seien die Zahlen „immer noch nicht einfach zu interpretieren“, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, am Donnerstag.

Die Zahl der neu gemeldeten Corona-Toten erreichte mit 1.244 einen neuen Tages-Höchstwert. Der Mittelwert über 7 Tage stieg auf knapp 900 Tote pro Tag, ebenfalls ein neuer Höchststand. Bei den Todesfällen gibt es aber größere Verzögerungen, sodass Effekte des Lockdowns hier zum jetzigen Zeitpunkt allenfalls teilweise zu erwarten wären.

Bei den täglich gemeldeten Neuinfektionen lag das 7-Tage-Mittel am Donnerstag bei rund 20.500 – etwa 25 Prozent mehr als vor einer Woche, aber 20 Prozent weniger als beim bisherigen Höchststand vor drei Wochen. Wirklich aussagekräftig sind diese Vergleiche derzeit aber nicht, denn die Zahl der durchgeführten PCR-Tests lag auch letzte Woche noch rund 20 Prozent niedriger als vor Weihnachten.

Am verlässlichsten dürften momentan die Angaben von den Intensivstationen sein. Dort war die Zahl der behandelten Corona-Patient*innen zuletzt rückläufig: Mit 5.125 liegt sie aktuell 11 Prozent niedriger als beim bisherigen Höchststand am 3. Januar. Auch die Zahl der neu aufgenommen Corona-Patient*innen nimmt ab.

Unklarheit über das mutierte Virus

Die jüngste Entwicklung auf den Intensivstationen sei „ein schönes Zwischenergebnis“, sagte RKI-Präsident Wieler, aber keinesfalls ein Grund zur Entwarnung. Insgesamt sehe es nach einer Stabilisierung der Fallzahlen aus, aber noch nicht nach einem Rückgang.

Gleichzeitig wächst auch im RKI die Sorge vor der neuen, zunächst in Großbritannien nachgewiesenen Virus-Mutation, die deutlich ansteckender ist. Laut Wieler wurden in Deutschland bisher 16 Infektionen mit der neuen Variante nachgewiesen, die in allen Fällen Reisende aus Großbritannien betrafen. Sehr aussagekräftig ist auch diese Zahl aber nicht, denn bisher wird nur vereinzelt nach dem neuen Virus gesucht: Im ganzen Dezember fanden laut Wieler nur 200 bis 250 genetische Analysen des Virus-Materials statt.

Inwieweit die Infizierten weitere Menschen angesteckt haben, blieb offen. Darum sei bisher nicht abzuschätzen, wie stark die britische Variante und eine weitere aus Südafrika das Infektionsgeschehen in Deutschland bisher beeinflusse. „Sie könnten sich aber auch hier durchsetzen und zu noch mehr Fällen in kürzerer Zeit führen“, warnte Wieler.

Der RKI-Präsident drängt darum auf eine weitere Verschärfung des Lockdowns. Vor allem müsse Homeoffice in weitaus stärkerem Maß umgesetzt werden. Es gebe viele zu viele Betriebe, in denen die Mitarbeitenden noch im Büro aufeinander träfen, obwohl sie auch von zu Hause arbeiten könnten. „Wir brauchen noch mehr verantwortungsvolle Arbeitgeber“, sagte Wieler.

Zudem appellierte er an die Bevölkerung, noch stärker auf Reisen zu verzichten. Datenauswertungen zeigten, dass die Mobilität während des ersten Lockdowns im Frühjahr deutlich stärker gesunken ist als während der derzeitigen Beschränkungen. „Bleiben Sie zu Hause, wann immer möglich“, sagte er.

Fortschritte gibt es derweil beim Impfen: Die Zahl der täglich gespritzten Dosen erreichte am Mittwoch mit knapp 80.000 den bisher höchsten Wert. Insgesamt haben laut RKI bisher rund 842.000 Menschen die erste Impfdosis erhalten, also rund 1 Prozent der Bevölkerung.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Die neue Mutation ist zwar viel ansteckender. Sie ist aber auch viel harmloser.



    Die prozentuale Quote hospitalisierter Infizierter ist nur gut halb so hoch wie bei dem Vorgänger. Absolut bleiben die Hospitalisierungen in etwa gleich hoch, da die Mutation eben zu mehr Infektionen führt.



    Die Mutation entwickelt sich also weiter in Richtung eines harmlosen Erkältungsvirus. Daher verstehe ich diese ganze Panikmache nicht.



    Einer liebt Sport, ein anderer seinen Kneipengang, doch nur Oma und Opa knuddeln weiterhin ihre Enkel auf Kosten anderer und auf Kosten der Gesundheit ihrer eigenen Hochrisikogruppe. Dann sollen die das unter sich aus machen und mich nicht weiter belästigen.

    assets.publishing....iefing_2_FINAL.pdf

    • @05653 (Profil gelöscht):

      Hier noch ein netter Datenpunkt dazu:

      www.bbc.co.uk/news/health-55586994

      Die über 85 jährigen landen da zwar noch am häufigsten im Krankenhaus. Aber sie landen deutlich seltener auf der Intensivstation als die Gruppen der 65 bis 74 jährigen, und der 74 bis 85 jährigen. Und das sicherlich leider nicht, weil sie öfter gesund und heil wieder aus dem Krankenhaus raus kommen.

      Was man auch nicht vergessen darf: Die jetzige Situation in London, und absehbarerweise auch hier, setzt die Pflegekräfte posttraumatischen Belastungsstörungen aus. Denen geht es nicht besser als dem Lokführer, dem jemand vor den Zug springt, oder dem Feuerwehrmann, der ein Kind nur noch tot bergen kann. Es ist nicht nur unfair sondern es ist eigentlich Körperverletzung, diese Pflegekräfte dem absichtlich und unnötig auszusetzen.

    • @05653 (Profil gelöscht):

      > Die neue Mutation ist zwar viel ansteckender. Sie ist aber auch viel harmloser.

      Das ist nicht wahr. Nach bisherigen Erkenntnissen verursacht sie eine höhere Virenlast aber etwa gleich schwere Symptome. Die südafrikanischen Behörden haben außerdem davor gewarnt, dass Kinder und junge Menschen stärker betroffen zu sein scheinen - dazu gibt es aber noch keine verlässlichen Befunde.

      > Die prozentuale Quote hospitalisierter Infizierter ist nur gut halb so hoch wie bei dem Vorgänger.

      Das kommt durch den raschen Anstieg, und dadurch dass die erste Welle der Mutation durch gesunde jüngere Leute rein kommt, die reisen können und das auch tun.

      Bis zur Hospitalisierung dauert es in der Regel eine Weile, deswegen sind in der Phase des exponentiellen Wachstums Kennwerte wie Rate der Hospitalisierungen kleiner im Verhältnis zu Neuinfektionen.

      Und an die, die meinen, die Knappheit bei den Intensivbetten werde sie nicht betreffen, weil sie unter achtzig sind: Nicht so oft berichtet, aber die ganz Alten schaffen es gar nicht oft bis zur Intensivstation. Die bekommen eher nur Palliativpflege. Mit anderen Worten, die Knappheit bei Intensivbetten (und vor allem bei Intensivpflegekräften) betrifft sehr wohl auch Jüngere. Und das wird um so mehr werden, je weiter man mit den Impfungen kommt....

      • 0G
        05653 (Profil gelöscht)
        @jox:

        Wie sie bestimmt nicht gelesen haben, schlüsselt die o.g. Studie der Public Wealth England sehr gut nach Altersgruppen, Geschlecht und sogar nach Ethnien auf. Davon ab glaube ich nicht, Bewegungen innerhalb Londons als "Reisen" bezeichnen zu können.



        Im Übrigen war die Zahl der Hospitalisierungen gerade zu Beginn der Pandemie in der ersten Phase des exponentiellen Wachstums mit über 30% aller Infizierten wirklich beängstigend hoch. Aber keine Panik, die neue Mutation ist nur eine von vielen, vielen Entwicklungsschritten.

        Sicher erkranken auch Jüngere, aber die geringe Anzahl wird unser Gesundheitssystem verkraften. Dafür ist unser Gesundheitssystem schließlich da.

  • Tja, die auch so tollen Feiertage. Aber die mussten ja unbedingt stattfinden.



    Familientreffen kann man verschieben, z.B. auf ein "Bye Bye - Corona" - Sommerfest. Inkl. 3 Tagen Bonusurlaub für alle.

  • Es gibt einen ganz entscheidenden, pur rationalen Grund für eine Zero-Covid oder "Auslöschungs" - Strategie:

    Da die Pandemie ein selbstverstärkender Prozess ist, gibt es um so mehr Ansteckungen, je höher die Zahlen sind. Das ist wie bei einem Brand. Ein unkontrollierter Zustand ist nicht tragbar, da dies mit der Mutation einen völligen Zusammenbruch des Gesundheitssstems bedeutet. Der unaufwendigste und *billigste* kontrollierte Zustand ist, wie beim einem Brand, dass das Feuer aus ist, also null neue Ansteckungen und und jede importierte Infektion wird sofort, massiv, und wirksam unterdrückt. Es macht *weit* mehr Sinn, ohne Lockdown auf eine einzige Infektion in Deutschland 10000 Gesundheitsbeamte anzusetzen, die Kontaktverfolgung machen, und 1000 Leute mit Kontakten in vorsorgliche Quarantäne zu stecken, als auf 1000 Infektionen dieselben 1000 Beamten anzusetzen, und 1000 Leute in Quarantäne zu stecken - ersteres ist mit einer Wahrscheinlichkeit nahe 100% erfolgreich, letzteres ist absehbar zum Scheitern verurteilt.

    Und das erklärt auch, warum Neuseeland, Taiwaan, Australian, Thailand, Südkorea und so weiter ohne dauerhaften Lockdown auskommen - sie setzen effektiv Ressourcen an der richtigen Stelle ein. Der Lockdown ist nur der verspätete, und deswegen brachial und eben auch brachial ineffiziente erste Schritt der Brandbekämpfung.

    Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Virologen oder Epidemiologen - nicht den BWLer von KMPG.

    • @jox:

      Ah, und noch was, die Australier machen jetzt Gensequenzierung bei jeder einzelnen eingeschleppten Infektion. Die können also bei einer Infektion ohne bekannten Kontakt immer noch sagen, woher das kam, denn die Viren in verschiedenen Übertragungsketten unterscheiden sich leicht.

      Und dies wiederum erlaubt solide und sehr hilfreiche Rückschlüsse, ob die Übertragung in einem Flugzeug, einem Bus, einem Geschäft oder einer Schule erfolgte.

      • @jox:

        Richtig so! Die australische Regierung ist die positivste Überraschung; bis Covid hat sie ja durch sagenhafte Inkompetenz und Korruption aufgefallen.

  • Wieso wir bei Ansteckungen in Betrieben immer Home Office als Loesung genannt? Die berichteten Ansteckungen kommen immer aus verarbeiteten Betrieben, insbesondere den kaltverarbeitenden. Die einzige Loesung dafuer sind Klimaanlagen mit Virenfiltern.



    Das ist seit Toennies im Juni 20 bekannt, getan wurde nichts.



    Und die weiteren, seit Monaten vom RKI aufgelisten Ansteckungsherde sind auch bekannt, aber getan wird wenig: Alten/Pflegeheime, Gemeinschaftsunterkuenfte, Freikirchen, Schulen/Kitas.

  • > Zudem appellierte er an die Bevölkerung, noch stärker auf Reisen zu verzichten.

    Sehr viele Menschen sind guten Willens und stellen ihre Bedürfnisse hintenan. Aber zu viele von wenigen verbleibenden machen alles, was nicht direkt verboten ist. Appelle werden da nicht weiter helfen, da diese Minderheit dummerweise zu stark das Gesamtgeschehen bestimmt - das ist wie eine Kette, bei der ein paar Prozent der Glieder brüchig sind. Oder ein Boot, das eigentlich recht dicht ist, aber doch ein paar Löcher hat.

    Also brauchen wir im Interesse aller klare und möglichst humane Regeln, die auch wirklich durchgesetzt werden. Wenn die meist überaus relaxten und entspannten Australier das können, sollten wir das auch können.

  • Ich habe inzwischen das Gefühl, dass etliche Arbeitnehmer ihre Sozialkontakte mangels Alternative vermehrt auf der Arbeit suchen und gar nicht ins Homeoffice wollen. Verständlich, aber so bringt das natürlich nichts. Maske im Supermarkt, aber dann zu fünft ohne Maske zusammenhocken und quatschen ist absurd.

    • @Mustardman:

      Es ist sogaer noch viel schlimmer.



      Wer 8 Stunden täglich im Büro hockt und dort sich alles anfühlt "wie immer" - der verliert schnell das Bewusstsein, dass es überhaupt ein Problem gibt und sieht sich auch sonst weniger bis gar nicht vor.