: „Alles nicht so schlimm“
Im Bauwagenprozess wird ein Polizeizeuge der falschen Darstellung überführt. Einsatzleiter Mülder versucht eigene Vernehmung zu verhindern
VON KAI VON APPEN
Im Prozess um die Bauwagendemo „Einmal im Leben pünktlich sein“ am 24. April 2004 ist der Verteidigung gestern ein Coup gelungen: Sie konnte dem Hauptzeugen der Anklage – im Raum steht der Vorwurf der massiven Nötigung von AutofahrInnen – einen „knock out“ verpassen.
Nachdem zunächst der damals für die Verkehrslenkung zuständige Polizeibeamte, Heinz Nepper, ausführlich über das „Verkehrschaos“ und „kilometerlange Staus“ berichtet hatte, zog Verteidiger Andreas Beuth den Abschlussbericht des damaligen „Einsatzabschnitts Verkehr“ aus der Tasche. Und zitierte: „Bis auf kleinere Störungen verlief der Verkehr reibungslos“ – gezeichnet: „Nepper“.
In den Musterverfahren gegen drei Besitzer von Wohn-Lastern geht es – wie berichtet – um Nötigung. Die Anklage behauptet, dass die unangemeldete Demo mit 99 Wohn-Lkw auf der Hafenstraße nicht vom Versammlungsgesetz gedeckt, sondern eine Nötigung gewesen sei. Der damalige Polizei-Einsatzleiter Thomas Mülder hatte die Demo trotz nachträglicher Anmeldung nicht genehmigt, sondern stattdessen die Fahrzeuge beschlagnahmen, demolieren und abtransportieren lassen. Das brachte ihm ein Strafverfahren wegen Sachbeschädigung ein: Auf Antrag der Betroffenen soll das Verwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit der Aktion feststellen.
Zur Rechtfertigung des Polizeivorgehens indes wurde Nepper im August 2004 von der Rechtsabteilung aufgefordert, einen Bericht über die Verkehrsbeeinträchtigungen anzufertigen. Er beauftragte die eingesetzen Beamten, dramatische Vermerke zu schreiben, die er in seinem Gesamtbericht nochmals verschärfte. So wurde etwa aus einem zunächst notierten „erschwerten“ Zugang zu Häusern ein „unmöglicher“. Insgesamt kam Neppers Bericht zu dem Ergebnis, es habe „erhebliche Verkehrsbehinderungen“ gegeben. Das Papier ging auch an den Staatschutz und bildet den Kern der Anklage in diesem Prozess.
Die Vorlage des Vermerks durch Beuth, der aus der Ermittlungsakte gegen Mülder stammt, sorgte gestern für Konfusion. „Dann kann das alles nicht so schlimm gewesen sein“, so der spontane Kommentar von Richter Lutz Nothmann. Nepper stammelte mehrfach, dass er sich dass „nicht erklären“ könne – und kam zu dem Schluss, dass jemand anders den Bericht unter seinem Namen gefertigt haben müsse. Erst auf das Insistieren von Richter Nothmann räumte er ein, dass es sich damals um ein „normale durchschnittliche Verkehrslage“ gehandelt habe. Dies führte bei Nothmann zur Schlussfolgerung: „Es wäre nicht wesentlich anders verlaufen, wenn die Veranstaltung angemeldet worden wäre.“
Streit gibt es um die Aussage von Einsatzleiter Mülder, der für die Ereignisse des 24. April verantwortlich zeichnet. Nachdem er bereits zwei Vernehmungen wegen wichtiger Termine abgesagt hatte, erklärte er sich nun wegen einer Knieoperation für drei Monate „vernehmungsunfähig“. Die Verteidigung vermutet dagegen, Mülder wolle einen peinlichen Auftritt vermeiden, bei dem er die Aussage verweigern müsste, um sich nicht selbst zu belasten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen