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Fall Alexei NawalnyLogik der Autokraten

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Der Umgang mit Oppositionellen wie Nawalny ist keine russische Spezialität. Auf lange Sicht schwächen sich autokratische Regimes damit.

Der Umgang mit Regimekritikern wie Nawalny ist für Autokraten langfristig betrachtet eine Bedrohung Foto: Dmitri Lovetsky/ap

D as Vorgehen Russlands gegen Alexei Nawalny spricht nicht nur rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn. Es widerspricht auch den eigenen Interessen der Regierenden. Denn nichts vergrößert die Wirkmächtigkeit einer Opposition mehr als ihre rücksichtslose Verfolgung. Diese Verfolgung mag politische Opponenten kaltstellen und zum Schweigen verurteilen. Doch jeder Tag, den ein offensichtlich Unschuldiger hinter Gefängnismauern verbringt, macht ihn mehr zu einem Märtyrer – und damit zu einer noch größeren Bedrohung für die Herrschenden.

Das Dilemma, in das sich Russland begibt, ist freilich systemimmanent. Ein autokratisches Regime darf nicht so handeln wie eine gefestigte parlamentarische Demokratie. Letztere hält eine systemimmanente Opposition gut aus. Ein Machtwechsel an ihrer Spitze erschüttert nicht die Grundfesten des Staates, sondern gehört zu den Spielregeln.

Ein autokratisches System hingegen darf es nicht zulassen, wenn die eigene Führung in Frage gestellt wird. Es schlägt so unbarmherzig zurück, weil ein Machtwechsel nicht zum Spiel gehört, sondern die Autokratie selbst in seinen Grundfesten erschüttert und damit staatsgefährdend ist.

Deshalb ist die Verfolgung Nawalnys auch keine russische Spezialität. Es gibt Hunderte und Tausende Frauen und Männer vom Schlage Nawalnys – in Belarus, in China, in Usbekistan und anderen Ländern, aber auch in einigen formal demokratisch verfassten Staaten, deren Regierungen durch Korruption und Vetternwirtschaft gekennzeichnet sind. Machtentzug ist für die hier Regierenden gleichbedeutend mit ihrem Untergang.

Kurzfristig wird die Inhaftierung von Regimekritikern diesen Staatsführern immer von Nutzen sein. Aber auf lange Sicht betrachtet schaufeln sie sich so ihr eigenes Grab. Die Administration von Wladimir Putin kann Alexei Nawalny für zehn Jahre in den Knast stecken. Das Einzige, was sie damit erreichen wird, ist, ein Vorbild kreiert zu haben. Das Ergebnis werden Hundert neue Nawalnys sein, die seinen Weg fortsetzen.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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4 Kommentare

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  • Ich habe nicht den Eindruck, dass das System in Großbritannien sich auf lange Sichte wegen des Umgangs mit den Oppositionellen Assange schwächt. Im Gegenteil. Es ist eine Warnung, die Regimekritiker noch vorsichtiger macht.

  • Theoretisch eine schöne Idee. Theoretisch.



    Man könnte das Beispiel Südafrika und Nelson Mandela anbringen.



    Praktisch bringt das nicht viel. Wie lange schon unterdrückt China seine Opposition? Wie lange konnte Saddam Hussein so weitermachen wie er es tat?



    (kleine Erinnerung, so lange bis Baby Bush seine Truppen im Irak einmarschieren ließ weil die Mehrheit der Terroristen vom 11. September Saudis waren.)



    Solange das jeweilige Regime keinen Druck von außen bekommt, außer bösen Blicken und ein kurz genuscheltes „Menschenrechte“ bevor man Handelsverträge schließt,



    haben Oppositionelle nichts davon wenn sie als Märtyrer „gefeiert“ werden.

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Das Verhalten von Diktatoren und Autokraten, Monarchen etc. pp. wird in einem Kinder-/Jugendbuch fein erklärt: J. K. Rowling in einem der Harry-Potter-Romane, aus der Erinnerung "zitiert": "Gewaltherrscher wie Voldemort ziehen ihre Gegner selbst heran, ... Voldemort wurde zugetragen, ein neugeborenes Kind sei sein Gegner. Es gab mehrere neugeborene Kinder. Er tötete die Eltern eines Kindes und wollte dann das Kind ermorden, dies überlebte und wurde dadurch zum Gegner bestimmt und gewann am Ende.".

    Jedes Verbrechen, dass Diktatoren etc. pp. begehen bzw. beauftragen tötet vielleicht einen Feind, aber es entstehen dadurch neue Feinde, nicht immer Nachkommen, sondern Beobachter ...

    Neben Harry-Potter fällt mir dann noch ein: Abraham Lincoln soll gesagt haben: "Man kann das ganze Volk eine Zeit lang täuschen und man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, aber man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täuschen."

    Putin wird fallen! Erdogan genauso, und hoffentlich auch noch viele weitere Menschen, die sich als Feinde der Menschheit herausstellen.

    Und zuletzt: Das letzte Hemd hat keine Taschen!

    • @91655 (Profil gelöscht):

      Wirklich? Sie zitieren jetzt Harry Potter um ein ernstgemeintes Argument zu untermauern? Ein Buch dessen Darstellung von Faschismus nicht über Faschisten sind Böse hinausgeht. Ist ein Kinderbuch, von daher ist das auch okay...

      Ja, autoritäre Systeme neigen dazu ziemlich schnell instabil zu werden, wenn sich genügend Missgunst akkumuliert hat. Aber wer sich mal mit sowas beschäftigt hat sieht auch, dass am Ende so eines Prozesses mitnichten eine Demokratisierung stehen muss. Nach einer Zeit innerer Unruhe will ein Teil der Bevölkerung einfach wieder Ruhe und Stabilität und dann wird das Regime durch ein Neues ersetzt. Erstmal mag das einen Fortschritt darstellen (wobei auch das nicht so sein muss), es werden ein paar Zugeständnisse gemacht, wobei sich dann aber häufig schnell zeigt wie wenig sich wirklich geändert hat. 20 Jahre später geht dann unter Umständen das Spiel von vorne los.

      Die Mär des sich selbst abschaffenden Autoritarismus kann ich einfach nicht mehr hören. Genauso wie aus einer Diktatur eine Demokratie entstehen kann, so kann auch eine Demokratie zu einer Diktatur verkommen. Es gibt keinen Automatismus nachdem Gesellschaften automatisch nach mehr Freiheit streben. Wobei der Begriff "Freiheit" sowieso oft ideologisch zweckentfremdet wird.