piwik no script img

Was Briten nach dem Brexit blüht„Bleiben faktisch im Binnenmarkt“

Die Briten haben wichtige Ziele erreicht. Dennoch wird ihr Finanzsektor um 30 Prozent schrumpfen, erwartet die Ökonomin Dorothea Schäfer.

Lkw-Schlangen in Dover – und doch sind die Aussichten für die Briten sonnig Foto: Peter Cziborra/ reuters
Ulrike Herrmann
Interview von Ulrike Herrmann

taz: Frau Schäfer, sind Sie überrascht, dass es einen Handelsvertrag zwischen der EU und Großbritannien gibt?

Dorothea Schäfer: Ja. Ich hatte mit einem „No Deal“ gerechnet. Der Schwenk von Premier Johnson dürfte damit zu erklären sein, dass es LKW-Staus vor Dover gab, weil die Franzosen wegen der neuen Covid-Variante ihre Grenze geschlossen hatten. Bei einem harten Brexit wären die Staus noch länger gewesen.

Im Interview: Dorothea Schäfer

Dorothea Schäfer ist Forschungsdirektorin in der Abteilung Makroökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Die Briten sagen, sie hätten sich in 43 Prozent der Streitfragen durchgesetzt, die EU nur in 17 Prozent. Stimmt das?

Die Briten haben tatsächlich wichtige Ziele erreicht. Sie können faktisch im Binnenmarkt bleiben, müssen dafür aber nichts mehr zahlen. Sie sparen jährlich etwa 6,8 Milliarden Euro netto.

Gibt es keine Nachteile für die Briten?

Ein Problem wird sein, dass sie die Zollunion verlassen. Der neue Handelsvertrag legt zwar fest, dass es keine Zölle gibt – trotzdem sind Zollformulare nötig. Das ist viel Bürokratie für die britischen Exporteure.

Die Schweiz ist auch nicht in der Zollunion und lebt prächtig damit.

Aber die Schweiz übernimmt alle wichtigen Regeln der EU – was die Bürokratie extrem reduziert. Die Briten hingegen bestehen darauf, künftig eigene Gesetze zu erlassen.

Die EU hatte panische Angst, die Briten könnten Dumping betreiben, um Wettbewerbsvorteile zu erschleichen. Ist diese Gefahr gebannt?

Ich glaube nicht, dass es zu echtem Dumping kommt. Da aber die Briten von den EU-Regeln abweichen wollen, wird es permanentes Gefeilsche geben, was den vereinbarten Standards entspricht – und was nicht. Man wird ständig neue Kommissionen brauchen, das wird eine unglaubliche Bürokratie.

Ein wichtiges Streitthema waren die Fischereirechte. Der Kompromiss gilt 5 ½ Jahre. Was passiert danach?

Die Briten sind erpressbar: 80 Prozent ihres Fischfangs exportieren sie in die EU. Die Europäer können also immer mit Zöllen und Quoten drohen, falls ihre Fangflotten künftig gar keinen Zugang zu den britischen Gewässers bekommen sollten.

Der neue Vertrag deckt nur den Handel mit Waren ab. Dienstleistungen sind nicht erfasst. Was bedeutet das für den Finanzplatz London?

Viele britische Banken haben bereits Tochterfirmen in der EU gegründet. Sie haben Vermögenswerte verlagert – und auch einen Teil ihrer Beschäftigten. Denn die EZB hat klargestellt, dass es nicht reicht, nur „Hüllen“ auf dem Kontinent zu etablieren.

Aber in London schrumpft die Finanzbranche bisher fast gar nicht.

Dies liegt an den Übergangsfristen. Die EU hat zugestimmt, dass das Derivate-Clearing, also die Abwicklung von Wettgeschäften, bis Mitte 2022 in London bleiben kann. Aber langfristig dürfte der britische Finanzsektor um 30 Prozent schrumpfen. Es wird schwierig für die Briten.

Bisher haben die Briten ihre Importe zum Teil finanziert, indem sie die Finanzdienstleistungen ihrer Banken exportiert haben. Was wird aus diesem Geschäftsmodell?

Die Briten werden importieren wie bisher. Da aber die Exporte fehlen, werden sie sich stärker im Ausland verschulden. Das ist mühelos möglich, denn das Pfund ist eine anerkannte Währung. Allerdings könnte der Wert des Pfundes sinken.

Brexit-Fans argumentieren, dass dann die britischen Exporte steigen.

Es stimmt, dass die britischen Waren auf dem Weltmarkt billiger werden, wenn das Pfund fällt. Aber die Briten haben wenig, was sie exportieren könnten. Der Anteil der Industrie liegt bei 13 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ein fallendes Pfund würde vor allem Inflation bedeuten, weil Importe teurer werden.

Verarmen die Briten?

Nein. Aber ihr Wachstum wird schwächer ausfallen, als wenn sie in der EU geblieben wären.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Die Briten sagen, sie hätten sich in 43 Prozent der Streitfragen durchgesetzt, die EU nur in 17 Prozent.(...)

    Die Briten haben tatsächlich wichtige Ziele erreicht. Sie können faktisch im Binnenmarkt bleiben.....""

    ==

    Das war kein Handballspiel (43-17)



    sondern es geht um Handels-vereinbarungen, um die Weiterentwicklung eines Vereinigten Europas - und es geht um die Frage, ob die EU sich als erfolgreicher Krisenmanager profiliert hat.

    Der Vertrag der geschlossen wurde ist die Grundlage für das Schlachtfeld künftiger EU - UK Auseinander-setzungen. Das ist genauso deutlich geworden wie die Tatsache, das UK wirtschaftlich verlieren wird.

    Letztendlich hat die EU ihre Hauptziele durch den Brexitdeal erreicht - im Gegensatz Königreich.

    Die EU hat eine Grenze auf der Insel Irland erfolgreich verhindert und den Binnenmarkt vor erheblichen feindlichen Fremdeinwirkungen wirksam geschützt.

    UK hat hat es demgegenüber geschafft, aus der EU auszutreten. Es scheitert jedoch, da die Befürworter erwartet hatten,



    ===



    a.. die Vorteile einer Mitgliedschaft beizubehalten,



    b.. ohne die Kosten zu tragen,



    c.. und die getroffenen Vereinbarungen des Austrittsab-kommens aufzuheben oder zu verwässern, wie überzeugte Brexiteer gehofft hatten.

    Demgegenüber hat die EU demonstriert, dass ein Austritt keine einfache Option ist, während die Fähigkeit des Königreichs, Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten und gleichzeitig dem „Brüssel-Effekt“ der Einhaltung der EU-Vorschriften zu entkommen, durch die nichttariferen Handeslsbarrieren wirksam entgegen gewirkt wird.

    Die EU ist in einer Sandwich-/oder Zwitterposition:



    Auf der einen Seite erbarmungsloser Gralshütter des Binnenmarktes -- und auf der anderen Seite bemüht, aufgrund der 500 Jahre kriegerischer Katastrophen in Europa, Differenzen nicht also weit auseinander klaffen zu lassen - als ursächliche Keimzelle möglicher späterer Konflikte.

    Das ist die Messlatte an der sich der Deal messen lassen sollte.

  • Die Zukunft wird hier zeigen, wie viel wirklich UK verlieren(!) wird.



    Sie sind in Zoll-Union (d.h. keine Zölle) aber sie akzeptieren nicht EU Gesetze. Wie ist der EU hier gewinner bitte schön?

    Alle PR-Bemühungen des EU-Kommissions, Angela Merkels und großes Anteil der Presse ist ein gutes Beispiel, wie viel Wahrheit(!) die EU-Bürger mitkriegen...







    EU hat klarer verlierer hier, UK (Boris Johnson) hat gewonnen.. So ein schwache EU-Elite...

    • @H B:

      Hooray Engerlunders and Gammonz..

    • @H B:

      Sie sind eben gerade NICHT in der Zollunion. Steht auch so im Artikel.



      Das UK hat zwar zollfreien Zugang zum Binnenmarkt, die Güter werden aber kontrolliert und müssen deklariert werden.



      Und Dienstleistungen fallen ganz weg. Das ist aber der Punkt, der das UK am meisten schmerzen wird.

      • @Marlspieker:

        Ein bisschen Gedankenspiel:



        UK ist nicht im Zollunion, aber NULL-Zölle werden sie bezahlen.

        Zollunion Definition:



        de.wikipedia.org/w...%A4ische_Zollunion

        Sie müssen Papiere ausfüllen, aber dürfen und werden Englische Gesetze folgen, nicht EU-Regeln oder Gesetze.



        Oh je, wegen Papierarbeit und der Bürokratie werden sie viel viel weniger Geschäft (

        • @H B:

          Sie werden natürlich sich weiterhin an EU-Regeln bei Waren, die sie in die EU exportieren wollen, halten müssen. Sonst geht da nix! Deswegen steigt dann auch die Papierkrammenge drastisch an, aber das kostet ja scheinbr nichts...

          Aber wie ist denn Ihre geschätzte Meinung zum wegbrechenden Dienstleistungssektor?

  • Warten wir mal ab, ob das Wachstum des BIP schwächer werden wird. Ich denke, über drei Jahrzehnte wird der Brexit Probleme aufwerfen. Letztlich ist Großbritannien von der EU abhängig und nun aber draußen. Andererseits kann UK sich aber nicht gut alleine schlagen. Was das langfristig bedeuten wird, wird sich zeigen. Immerhin könnten die Briten Labour wählen und die könnten den Binnenmarkt anfeuern. Mit industriellen Exportgütern wird es aber sehr, sehr lange dauern, bis davon genug vorhanden ist. Der Preis muss ja zur Qualität passen ...

    @HARTZ



    Das steht im Artikel bzw. Interview ganz gut erklärt ... Sie sind 'faktisch' drinnen, aber eben nur so

  • Der Dienstleistungssektor macht etwa 50% der britischen Exporte aus. Der Sektor ist nicht „im Binnenmarkt“ geblieben. Da werden die Briten recht schnell merken, dass 17% ganz schnell ganz entscheidende Auswirkungen haben können...

  • Der Hintertreppenwitz

    Die Briten bleiben also faktisch im EU-Binnenmarkt und feiern das.



    Warum sind sie dann ausgetreten?

    Ein teurer politischer Treppenwitz.

  • OK,... und was ist jetzt die Neuigkeit? Alles seit Jahren bekannt