Currywurstkrise bei VW: Der letzte Wursthalm
Dass die Currywurst aus der VW-Kantine verschwinden sollte, entfachte eine halbe Identitätskrise. Über sehr deutsche Gefühle in der Vorweihnachtszeit.
Am liebsten stecken die Deutschen Fleisch in Fleisch. Dann erhitzen sie beides, bis alles zum Platzen gespannt ist und man nur noch reinpiksen muss, damit das warme Fett herausläuft. Diesen erhabenen Strom stumm zu bewundern ist Balsam für die Seele und den Volkskörper, ihn zu spüren und zu schmecken, nachdem man das Fleischstück in den offenen Mund geschoben hat, und der Sabber, so, wie die Deutschen das schätzen, seine Arbeit macht.
Etwas pikante Soße bringt die Höhle zum Leuchten, sorgt für die richtige Portion Exotik und für bessere Stimmung als die dunkle Beerdigungsmatsche, unter der die tote Mahlzeit sonst hervorlugt. Buntes Pulver zum Drüberstreuen bringt Grandezza ins Spiel, inmitten von Schmiere, Schweiß und Schlamm.
Das war, meine Damen und Herren, die Currywurst. Beim wohl deutschesten aller deutschen Unternehmen – nein, nicht „Barbarossa“, sondern Volkswagen – machen sie sogar ihre eigene. Mehr als sieben Millionen Volkswagen-Würste wurden 2015 verkauft, mehr als Volkswagen-Volkswagen. Zwei untergehende Industrien zu einer zusammengenäht, die dann bis auf die letzte Patrone gegen die Erfordernisse der Gegenwart verteidigt wird: auch das sehr, sehr deutsch.
Doch im Notfall darf es auch mal schnell gehen, wie Hausfrauen und -männer aus der ganzen Republik bestätigen können. Die Coronaepidemie löste die roten Snackgeschosse als Alltagsbegleitung ab, die man zuvor schon ab 8 Uhr morgens in den VW-Werkskantinen hatte verzehren können, seit März war Schluss damit.
„Currywurst ist kein Auslaufmodell“
Da die Würste bis dahin im gemeinsamen Wasserbad heiß gehalten wurden und sich die Mitarbeiter:innen mit einer Zange ihre Lieblingswurst händisch zu nehmen gepflegt hatten, wurde der Gewürzdildo fortan, hygienekonformer, vom Kantinenpersonal auf Teller geschaufelt und nur noch einmal pro Woche angeboten.
Das brachte die Gemüter in der Belegschaft gehörig zum Dampfen. Am kritischsten muss die Lage in Halle 54 gewesen sein, wo der VW Golf entsteht. Der Betriebsrat schritt ein, zumindest dort gibt es die Wurst jetzt wieder täglich in den Montagepausen, schreiben die Wolfsburger Nachrichten. Immerhin ein Hoffnungsschimmer in dieser dunklen Zeit. Der letzte Wursthalm.
Doch ein grundsätzlicherer Konflikt scheint hinter dem Currywurstbrodeln zu stehen. „Die Leitung der Gastronomie darf Corona nicht als Ausrede nehmen, um ihre modernen Ideen für den Speiseplan durchzudrücken“, lässt sich Betriebsrat Sebastiano Addamo in der Lokalzeitung zitieren. Welche das wohl sein mögen? Elektrowürste? Der Ein-Liter-Darm? Kleiner Scherz. Fest steht: Gedrückt werden sollen Würste, sonst nichts. „Currywurst ist kein Auslaufmodell“, erklärt sein Kollege Frank Paetzold staatsdarmend.
Natürlich taucht irgendwann das kleine Wörtchen „ist“ auf, wenn Kulturkämpfe ausgefochten werden. Currywurst ist SPD. Autoschrauben ist wichtig für den Standort Deutschland. Ein Betriebsrat ist dafür zuständig, für die kleinen Leute vom Band einzustehen. Fleisch zu essen ist bodenständig. Dass VW-Betriebsräte heute ihre eigenen Würste nicht mehr auf Korruptionskosten in Prostituierte stecken, ist immerhin ein Fortschritt.
Und ansonsten ist ja auch alles wie immer: An der Konzernspitze streiten sich die aktuell dominierenden Spielarten des Kapitalismus um die Vorherrschaft. Der schröderianische Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh steht faltig gegen den slicken, um supergrünen Anstrich bemühten Netzwerker-Konzernchef Herbert Diess. Sollte es zu blutig werden, muss der niedersächsische Ministerpräsident Weil oder ein äquivalenter SPD-Altmann ran und ein Machtwort sprechen. Wer jetzt in Hoppenstedt-Laune heiter fragt: „Läuft das Band?“, dem sei versichert: Es läuft. Und läuft und läuft und läuft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt