Kunst in Zeiten von Corona: Digital statt in den Karpaten
Eigentlich sollte das deutsch-ukrainische Kunstprojekt „Two Roots“ in der Ukraine stattfinden. Doch es kam anders, nämlich virtuell.
Eine Woche lang hatten sich 16 junge Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und der Ukraine nur von Monitor zu Monitor gesehen. Sie hatten Kennenlernspiele gespielt, sich gegenseitig ihre Arbeitsweise vorgestellt und auch mal zu einer gemeinsam erstellten Playlist getanzt.
Alles Dinge, die sie gerne von Angesicht zu Angesicht getan hätten. Im September, in den Karpaten. Außerdem wollten sie der Frage nachgehen: What had we lost to find? Eine Frage, aus der Zukunft gestellt, die sich damit beschäftigt, warum wir gewisse Dinge nicht bewahrt haben.
Die Karpaten schienen dafür ein guter Ort zu sein. Urwüchsig, mit seinen alten Buchenwäldern, die von der Unesco als Biosphärenreservat anerkannt wurden. Aber auch bedroht von Investoren, die dort protzige Skigebiete hinbauen wollen, wofür ganze Dörfer weichen müssten.
Die Stiftung „Erinnern, Verantwortung und Zukunft“ hatte für das länderübergreifende Kunstprojekt „Two Roots“ 20.000 Euro zugesagt. Eine geräumige Hütte war bereits gebucht, im Anschluss war eine interdisziplinäre Ausstellung in der Stadt Tschernowitz geplant. Doch dann kam Corona und die Frage nach einem Plan B.
Die Künstlerresidenz im Internet
Das Initiatoren-Team bestehend aus Jana Kühn, Victoria Medvedko, Oleh Barasii und Olga Polyak entschieden sich, die Künstlerresidenz größtenteils ins Internet zu verlagern. „Ukrainische Künstler bekommen keine Coronahilfen und durch den Lockdown ist der Austausch mit anderen Ländern kaum möglich“, sagt Kühn, die schon im Jahr zuvor ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum in der Ukraine umgesetzt hat. „Gerade wegen der schwierigen Situation war es uns wichtig, Künstlerinnen und Künstler zusammenzubringen.“
Im Gegensatz zu anderen Organisatoren, die ihr Programm online auf drei bis fünf Tage schrumpften, hielten sie an den geplanten zwei Wochen vom 6. bis 20. September fest – was sie zwischendurch allerdings auch ein bisschen bereuten. „Die Idee war ja eigentlich, draußen zu sein und gar nicht den Computer anzumachen, statt den ganzen Tag davor zu sitzen“, sagt Kühn. Außerdem müsse man eine Onlineresidenz deutlichen mehr planen und moderieren, damit keiner gelangweilt oder überfordert ist. Nur: Wie macht man das? Und was bringt es den Teilnehmern?
Abwechslung schien das Zauberwort auf die Frage, wie man eine Gruppe mittels Zoom-Meeting sechs Stunden pro Tag bei der Stange hält. „Wir haben den Tag mit einer Morning Session begonnen, in der wir etwas Improvisiertes, Quatschmäßiges gemacht haben oder uns eine philosophische Frage gestellt haben“, sagt Kühn.
An einem Tag sollten die Teilnehmer zum Beispiel etwas aus ihrer Stadt mitnehmen oder zeichnen und erzählen, warum sie das mit dem Ort verbindet. Die Fundstücke wurden an einer digitalen Pinnwand gesammelt, die nach und nach zu einem interaktiven Kunstwerk wurde.
Kleine abendliche Chatgruppen
Damit persönliche Gespräche trotzdem entstehen, wie es in den Karpaten vermutlich beim Holzsammeln oder Kochen passiert wäre, wurde die Gruppe zwischendurch in kleinere Chats aufgeteilt. Abends gab es die Möglichkeit, sich in lockerer Runde über dieses und jenes auszutauschen und zu überlegen, wie man in der Forschungsfrage weiterkommen kann.
Obwohl es von den Teilnehmern viel Lob für die Umsetzung gab, ist eine Onlineresidenz natürlich nicht dasselbe wie persönliche Begegnungen. Naomi Wiener, eine 28 Jahre alte Tänzerin und Choreografin, die von Berlin aus an dem Projekt teilgenommen hat, drückt es so aus: „Der Bildschirm konsumiert sehr viel Energie und gibt nicht viel zurück.“
Dabei sei eine persönliche Verbindung eine wichtige Basis für künstlerische Zusammenarbeit. „Kunst ist in der Regel sehr ganzheitlich, da lässt sich das Professionelle nicht von dem Persönlichen unterscheiden“, sagt sie. Wenn man seine Kunst teile, teile man auch einen Teil von sich.
Naomi Wiener
Nach einer Woche bot sich für Naomi Wiener und die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aber doch die Möglichkeit, vom Bildschirm wegzukommen, eine kleine Reise zu unternehmen und – so man wollte – den einen oder anderen persönlich kennenzulernen und gemeinsam ein Projekt umzusetzen. Von einem persönlichen, internationalen Austausch hatten das Auswärtige Amt sowie der ukrainische Kulturfonds zwar abgeraten, doch innerhalb der Landesgrenzen waren Treffen wegen der zu dieser Zeit niedrigen Fallzahlen machbar.
Neue Relevanz von Video durch Corona
Für die Tänzerin war schnell klar, dass sie mit einem Videokünstler zusammenarbeiten will. Durch die neuerlichen Hygieneanforderungen bei Auftritten hatte sie erlebt, dass nicht mehr so viele Menschen erreicht werden. „Durch Corona ist Video für mich relevanter geworden“, sagt sie. Insofern passte es hervorragend, dass Thai Tai Pham, ein Filmemacher aus Weimar, auf der Suche nach einer Choreografin war.
Als sie sich in der zweiten Woche dann persönlich kennenlernten, war Thai Tai Pham etwas aufgeregt. Es habe für ihn schon ein bisschen was von Onlinedating gehabt, gibt er zu und lacht. „Ich habe mich gefragt: Ist die Person auch in real life so charismatisch wie auf dem Monitor?“.
Das sei spannend gewesen und man lerne sich eben doch viel schöner kennen, wenn man gemeinsam zu Abend isst, den Raum körperlich wahrnimmt und sich bei einer Diskussion auch mal ins Wort grätschen kann. Schnell kamen sie auf die Idee, eine Performance an einer Staumauer zu machen – einem Bauwerk, das für die Bändigung der Naturgewalt durch den Menschen steht.
Nur die Zeit sei etwas knapp gewesen, bedauert er. Vielleicht auch, weil zwei weitere Künstler für Musik und Bildbearbeitung dazustießen. „Wenn es um die Interpretation ging, hatten wir unterschiedliche Vorstellungen.“
Wer allein arbeitet hat es einfacher
Für die einen sei es etwas Harmonisches gewesen, für die anderen etwas Bedrohliches. „Das ist nichts Verkehrtes. Nur fehlte leider die Zeit, alles auszudiskutieren“, sagt er. Über Skype sei das eben doch etwas anderes. Schon einen Termin zu finden sei gar nicht so leicht, wenn alle ihren Alltag haben, statt an einem Ort sind.
Da hatte es Olia Fedorova aus der Ukraine leichter. Sie musste sich nur mit sich selbst abstimmen. „Ich arbeite selten mit anderen zusammen“, sagt die 26 Jahre alte Performance-Künstlerin. Vielleicht ist ihr gerade deshalb der Austausch und das Netzwerken bei der Onlineresidenz so wichtig.
„Auch wenn du die Kontakte nicht sofort brauchst, ist es sehr gut, sie zu haben, gerade auch in andere Länder“, sagt sie in fließendem Englisch. Für spätere Ausstellungen zum Beispiel, aber auch, um sich gegenseitig zu inspirieren.
Auch Olia Fedorov ging auf Reisen
Auch Olia Fedorova ging dann für ihr Projekt auf eine Reise. Ein Bild zeigt sie, wie sie auf einer Lichtung Yoga macht: Die Pinien sind kahl, es scheint, als wären ihnen ihre Nadeln durch die kalte Jahreszeit abhandengekommen. Doch das Foto ist im September aufgenommen. In einem Wald in der Ukraine, in dem ein Feuer ausgebrochen war und zehn Hektar mitsamt einem Dorf zerstört hat.
„Wir versuchen, bewusst und nachhaltig zu leben und der Natur nahe zu sein“, sagt sie. Aber Bio-Lebensmittel und ökologische Kleidung veränderten nicht viel, solange Fabriken die Luft verpesteten und Planierraupen die Wälder abholzten. „Unser Lebensstil gibt uns nur ein besseres Gefühl und lässt uns besser dastehen, vor uns selbst und vor anderen“, sagt sie. „Beuten wir die Natur damit nicht noch mehr aus?“, fragt sie.
Einen Vorteil hat es, dass die Künstlerresidenz online stattfinden musste: Anstelle der geplanten Ausstellung in Tschernowitz, die ab dem 20. September stattfinden sollte, sind die künstlerischen Forschungsergebnisse ab dem 19. Dezember auf der Website zu sehen. Ein Klick, und schon ist man da.
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