Bürokratische Flüchtlingspolitik: Auserwählt, aber nur geduldet
Wer über ein Bundesaufnahmeprogramm als Flüchtling nach Berlin kommt, ist noch lange nicht in Sicherheit. Denn das muss auch das Land wollen.
Nach Angaben des Flüchtlingsrats, der den Fall öffentlich gemacht hatte, kommt es regelmäßig vor, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vom LEA eine solche Ausreiseaufforderung mit Abschiebeandrohung erhalten – und zwar auch dann, wenn das Land (wie im Fall dieses Jungen) offenbar gar nicht beabsichtigt, die Betreffenden abzuschieben. Die Innenverwaltung begründet diese Briefe mit rechtlichen Erfordernissen in Fällen, in denen bislang kein Asyl beantragt wurde. Die Flüchtlingsorganisationen sagen, das Amt habe einen rechtlichen Spielraum. Die Briefe würden unnötig Angst bei den Betreffenden auslösen und diesen signalisieren, dass sie nicht willkommen seien.
„Besonders befremdlich ist das, wenn man kurz zuvor extra für ein Bundesprogramm ausgewählt wurde“, sagte Daniel Jasch vom Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen (BBZ) vorige Woche der taz. Die katastrophale Situation in den griechischen Elendslagern hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nach langen Debatten im Frühjahr dazu gebracht, einem Aufnahmeprogramm für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von dort zuzustimmen. Im Zuge dessen kamen im April 47 Kinder und Jugendliche nach Deutschland, 8 von ihnen nach Berlin, darunter auch der erwähnte Junge. Die „Auserwählten“ waren in Griechenland vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), weiteren Hilfsorganisationen und den griechischen und deutschen Behörden bestimmt worden.
Nach Informationen des Flüchtlingsrates wurden die Kinder und Jugendlichen auch in der deutschen Botschaft interviewt und bekamen dort bei Bedarf ein Laisser-passer für die Einreise; zumindest hat der betreffende Junge dort ein solches Passersatzpapier bekommen. Warum dieses Papier offenbar nie bei der Berliner Einwanderungsbehörde ankam, ist laut Flüchtlingsrat unklar.
Duldung bis zur Abschiebung
Fraglich ist zudem die Darstellung des Falls seitens der Innenverwaltung. „In dem aktuellen Bescheid stand im Übrigen auch, dass das Kind eine Duldung besitzt, eine Abschiebung allein schon aus diesem Grund nicht infrage kommt“, hatte Sprecher Martin Pallgen der taz erklärt. Dies stimmt so allerdings nicht. Der Hinweis, „dass eine Abschiebung allein schon aus diesem Grund nicht infrage kommt“, fehlt in dem Brief.
Im Gegenteil steht dort auf der ersten Seite fett gedruckt, dass der Adressat bis 14. Dezember das Bundesgebiet zu verlassen habe oder andernfalls abgeschoben werde. Erst auf der folgenden Seite steht: „Dem Erlass der Abschiebungsandrohung steht gem. § 59 Abs. 3 AufenthG auch nicht entgegen, dass auf die Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung derzeit verzichtet wird“; dies gelte „solange bei Ihnen die Voraussetzungen für eine (weitere) Duldung des Aufenthalts gegeben sind. Aktuell sind Sie Im Besitz einer bis zum 01.05.2022 gültigen Duldung.“
Dies kann als verklausulierter Hinweis darauf gelesen werden, dass nicht abgeschoben wird. Allerdings sind Duldungen kein grundsätzliches Hindernis für eine Abschiebung, rechtlich sind sie nur die „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Die Frage, warum Geflüchtete, die extra ausgewählt wurden, nach Deutschland zu kommen, hier nur eine Duldung bekommen, ist weiter unbeantwortet.
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