piwik no script img

Der öffentliche Raum

Kunst und Architektur lassen sich auch im Spazieren erfahren. Zwei Wege durch Schöneberg und Mitte mit Stationen am Jugendmuseum, an der Klosterruine und dem Humboldt Forum

Eine Textinstallation von Sean Bonney in der Klosterruine Foto: Juan Saez

Von Katrin Bettina Müller

Kunst im Außenraum suchen – eine Aufgabe für die Zeit, in der die Kultureinrichtungen aus Gründen der Vorsicht vor der Infektion geschlossen bleiben müssen. Neu installiert wurde in Schöneberg, an der Fassade des Jugendmuseums, eine Skulptur von Nils Völker, „Floating Rings“, fünfzehn Skulpturen aus Polymer-Gips. Da ich in der Nähe wohne und in der Pressemitteilung ihre „Choreografie“ des Lichts, die ab der Dämmerung mit den farbigen, an Schwimmreifen erinnernden Ringen spielt, hervorgehoben wurde, gehe ich in der Dämmerung los.

Und sehe, obwohl ich doch gerade auf das Museum zulaufe, lange nichts, weil Büsche davorstehen. Sie gehören zum Vorplatz des Hans Rosenthal Hallenbades. Als ich die Ringe, die kleiner sind als erwartet und auch etwas in eine Ecke gequetscht wirken, endlich sehe, wie sie grün und türkis, rosa und blau aufleuchten und wieder verdämmern, scheinen sie mir vor allem auf das Schwimmbad gegenüber zu verweisen, was ja passt, aber auch nicht sehr überraschend ist.

Das Hallenbad ist jetzt selbstverständlich wegen der Pandemie geschlossen und war davor schon mal ein Jahr wegen Sanierung zu, dazwischen mal gerade drei Monate geöffnet. Da ist die Skulptur doch ein schwaches Trostpflaster. Nicht so befriedigend, diese Kunst am Bau, denke ich und laufe weiter, um mir die Weihnachtsbäume vor dem Rathaus Schöneberg anzuschauen. Unten sind sie von Gartenzäunen abgeschirmt, dass es einen nicht wundern würde, Gartenzwerge würden da wohnen.

Der nächste Versuch ist schon interessanter. An der Klosterruine in Mitte kann man immerhin den britischen Dichter Sean Bonney kennenlernen in der Ausstellung „Unfinished Histories Vol. VII (noch bis 3. Januar). Obwohl die Klosterruine nicht zu betreten ist, ist die Textinstallation, ein Schriftlaufband, durch das Gitter am Portal gut zu sehen und zu lesen. Es sind englische Zeilen, Sätze voller Pathos und Schmerz, die gut zu dem Ort passen.

Vor dem Portal steht der fast stürzende, sich von seinem Kreuz losreißende Christus von Fritz Cremer, hinter der Silhouette der gotischen Bögen und durch die leeren Fenster sieht man auf das Amtsgericht Mitte. Leidenserfahrung und Staatsmacht sind auch die Pole in Bonneys Gedichten.

Es geht in ihnen um das Gesetz, wer seinen Vertretern Autorität verleiht, es geht um Aufstände und Rebellion, um Gefängnisse und um Polizeigewalt. „Because believe me, police violence is the content of all officially sanctioned art.“ (Denn glaub mir, Polizeigewalt ist der Gehalt aller offiziell sanktionierten Kunst.) Es ist nicht alles gleich zu begreifen beim Lesen, auch der Kontext nicht immer klar, der sich auf verschiedene historische Schauplätze bezieht, wohl aber der Klang von Widerstand und Verweigerung. Auf der Website der Klosterruine kann man die Texte in Deutsch und Englisch nachlesen. Manchmal bleiben Worte auf dem Schriftband stehen, „No escape from the massacre“, eine Klage, der Abwehrbewegungen und Angriffe folgen.

Es war ein Tag ohne Wolken, die Sonne sank und ich wollte das letzte Licht nutzen, das neu gebaute Humboldt Forum einmal von außen zu umrunden; die Bauzäune waren erst am Vortag entfernt worden. Andere taten das auch, aber wenige. Der Blick schien ungewöhnlich frei, plötzlich keine Kräne mehr, kaum noch Bauzäune, der Platz zwischen Staatsratsgebäude und Humboldt Forum so übersichtlich.

Ich mochte mich nie für die Rekonstruktion der Schlossarchitektur begeistern, finde es auch jetzt noch die falsche politische Geste, und doch ergriff mich so etwas wie ein preußisches Hochgefühl beim Laufen um den Kasten. Durch einen Torbogen, durch den man nicht gehen kann, blickt man über den Innenhof durch einen zweiten Bogen auf die Säulen des Alten Museums, das wie durch ein Fernglas herangezoomt wirkt. Wie gut die Lichtlinien am Ufer aussehen, wie die Treppe zum Wasser zum Schreiten einlädt, selbst der Blick auf den Fernsehturm gefiel mir an diesem Winternachmittag. (Womöglich alles ein Effekt von lange-nicht-mehr-viel-unterwegs-gewesen.)

Unter den Linden entlang ging ich dann noch bis zum Brandenburger Tor. Das preußische Hochgefühl wurde schon etwas gedämpft, als Polizisten mich daran erinnerten, dass Unter den Linden eine Maske zu tragen ist, hatte ich vergessen. Dann wurden es mehr Polizisten, dann hörte ich Weihnachtsschlager und sah Menschen mit Deutschland- und Reichsbürgerfahnen, an dem Tag zwar nur ein kleiner verlorener Haufen, aber die Lust am Schreiten war vorbei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen