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Zeitung „Potsdamer Neueste Nachrichten“Schrumpfen, um zu erhalten

Bei den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ ist 2020 gespart worden. Leser:innen fürchten um ihre Lokalzeitung.

Schriftzug der „PNN“ an einer Tür in Brandenburg Foto: imago

Berlin taz | 2021 sollte ein feierliches Jahr werden für die Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN). Die Lokalzeitung aus der brandenburgischen Landeshauptstadt, die mit dem Berliner Tagesspiegel verschwistert ist, feiert im neuen Jahr ihren 70. Geburtstag. Kurz vor dem Jubiläum gibt es in der Redaktion am Platz der Einheit in Potsdam jedoch wenig Anlass zu Freude. Grund ist der jüngsten Sparkurs bei der Zeitung.

Die Redaktion sei halbiert worden, sagt jemand, der das Blatt gut kennt, der taz. Nur neun von achtzehn Redakteur:innen Anfang des Jahres seien noch da, der Rest entweder zum Tagesspiegel geholt, zu anderen Zeitungen gegangen oder mit Abfindungen verabschiedet worden. Der Verlag widerspricht allerdings auf Anfrage dem Begriff „Halbierung der Belegschaft“ und will auch nicht von Stellenkürzungen sprechen: „Wir haben ein neues Re­dak­tions­kon­zept erarbeitet und die Redaktion umgebaut.“ Chefredakteurin Sabine Schicketanz bestätigt, dass man sich „von einer Redakteurin und einem Redakteur“ getrennt habe und das Team nunmehr „neunköpfig“ sei.

Sicher ist, das mit dem Umbau am Inhalt und Umfang der Zeitung gespart wurde. Die PNN haben ihre regionalen Sport- und Wissenschaftsseiten verloren, das Kulturressort ist deutlich vermindert. Berichte aus der Potsdamer Kultur, Sport und Wissenschaft erscheinen in der Gesamtauflage.

Die PNN gehören zur Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH, dem selben Verlag wie der Tagesspiegel. Dessen Geschäftsführung hat die Sparmaßnahmen bei den PNN beschlossen. Dabei sind die PNN ein Beispiel für bürgernahen Lokaljournalismus. Als „Leitmedium für Potsdam, ach was, Brandenburg“, bezeichneten sie Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber, und Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegels, noch zum 65-jährigen Jubiläum.

Erfolgreicher Journalismus

Seit 1951 gibt es die PNN oder Brandenburgische Neueste Nachrichten, wie sie vor der Wende hießen. Sie sind eine der letzten überlebenden Zeitungen, die kein SED-Bezirksorgan war. Solche staatlich finanzierten Zeitungen hatten ganz andere Budgets zur Verfügung. Die PNN hingegen sind es gewohnt, trotz geringen Budgets viele lokale und landespolitische Skandale aufzudecken. Im Frühjahr waren sie es, die den großen Corona-Ausbruch im Potsdamer Bergmann-Klinikum enthüllten. Im Oktober wurde eine Lokalreportage von Marion Kaufmann, der stellvertretenden Chefredakteurin, für den Reporterpreis nominiert.

Bei Peter Tiede, bis 2014 Chefredakteur der PNN und heute Korrespondent bei Bild, wecken die Maßnahmen schlechte Erinnerungen. „Jetzt wiederholt sich ganz offensichtlich das, was mich damals dazu gebracht hat, mich vom Verlag zu trennen: Eine schleichende Herabstufung der PNN zu einem Lokalteil des Tagesspiegels.“

Das habe die „stolze Landeshauptstadt“ nicht verdient, sagt Tiede der taz. „Ich bedauere, dass man in Berlin bis heute nicht verstanden hat, dass der Markt in Potsdam ein völlig anderer ist und versäumt hat, das Geschäft dort strategisch auszurichten.“ Etwa mit innovativen Projekten im Lokalen, spezifisch ausgerichtet auf das Potsdamer Publikum.

Der Verlag schreibt, dass die PNN bereits vor der Pandemie „vor schwierigen wirtschaftlichen Herausforderungen“ gestanden hätten. Sinkende Anzeigenerlöse, steigende Kosten und ein Rückgang bei der Print­auf­lage – in der Medienbranche sind diese Klagen allzu bekannt. Die Coronakrise habe sie weiter verschärft, schreibt der Verlag, das Anzeigengeschäft sei um bis zu 80 Prozent eingebrochen. Der sogenannte Umbau in ein digitales Medienhaus soll die PNN „als eigenständigen Titel erhalten und zukunftsfähig machen“.

Da der Verlag keine geschäftlichen Zahlen preisgibt, ist die finanzielle Situation schwer zu beurteilen. Gewinne und Verluste der PNN werden zusammen mit den Finanzen des Tagesspiegels und mehreren anderen Zeitungen der großen Holdinggesellschaft beim Bundesanzeiger ausgewiesen. Die Schwesterzeitung Tagesspiegel macht bekanntermaßen ebenfalls Verluste.

Potsdam macht mobil

Fakt ist: Die Zeitung erscheint weiter mit 24 Seiten, mittlerweile werden davon aber nur noch vier, statt früher bis zu acht, lokal produziert. Potsdamer Kultur, Wissenschaft und Sport werden hauptsächlich vom Berliner Tagesspiegel geliefert und in der Gesamtauflage, im sogenannten Mantel publiziert. Mehr Berlin und weniger Potsdam ist aber genau das, was die Leser:innen fürchten.

Der Potsdamer Promi und ehemalige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann will jedenfalls nicht ohne seine Lokalzeitung leben. „Die PNN sind eine starke Marke in Potsdam, der Bühne vor der Bundeshauptstadt, die ein Versprechen einzulösen hat bei ihren Leserinnen und Lesern: Wenn es im Blatt mehr Berlin als Potsdam gibt, ist das nicht eingelöst“, sagt PNN-Leser Diekmann der taz.

Für den demokratischen Diskurs in Potsdam ist es schade, dass die Zeitung heute so dünn geworden ist

Noosha Aubel, Kulturbeigeordnete

Im Sommer hatten die Trä­ge­r:in­nen der größten Kulturinstitutionen Potsdams einen offenen Brief an die Geschäftsführung geschrieben. Sie hatten darum gebeten, das Kulturressort nicht dauerhaft einzusparen. „Wir brauchen eine starke PNN und insbesondere ein starkes lokales Kultur-Ressort“, heißt es in dem Brief. Potsdam sei eine einzigartige Kulturstadt, die „zwischen Ost und West, Arm und Reich, Natur und Bau, Metropole und Flächenland, Barock und Moderne oszilliert. Wer, wenn nicht der Lokaljournalismus vermag es, diese Doppelgesichtigkeit zu zeigen und kritisch zu reflektieren?“

Zu den Unterzeichner:innen zählen unter anderem Alexander Hollensteiner, der Leiter der Kammerakademie Potsdam sowie Heike Bohmann, die Leiterin der Musikfestspiele Sanssouci und des Nikolaisaals in Potsdam. Auch die Kulturbeigeordnete der Landeshauptstadt, Noosha Aubel, hat den Brief unterschrieben. „Für den demokratischen Diskurs in Potsdam ist es schade, dass die Zeitung heute so dünn geworden ist,“ sagt Aubel der taz.

Chefredakteurin Schicketanz sieht in dem Umbau eine Anstrengung, die Zeitung vor dem Aus zu bewahren. „Die PNN sind ein eigenständiger Titel mit einer fast 70 Jahre zurückreichenden Geschichte. Unser Ziel ist es, sie als solchen zu erhalten.“ Längst steht jedoch die Befürchtung im Raum, dass die Sparmaßnahmen des Verlags nur eine Vorwarnung für Schlimmeres sind: dass die ganze Zeitung als Ressort im Tagesspiegel aufgehen könnte, befürchtet Ex-Chefredakteur Tiede. Die PNN, Potsdam wäre nur noch eine Rubrik unter ­vielen.

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