Briefmarken von Olympiaboykotten: Fast eine blaue Mauritius
Die Olympiaboykotte im Kalten Krieg sind für Briefmarkenfreunde ein Glücksfall. Die Postwertzeichen aus diesen Jahren sind ein kleines Vermögen wert.
I ch gebe es zu: Ich bin im Besitz einer fast kompletten Sammlung von DDR-Briefmarken. Meine Großeltern aus Thüringen haben sie für mich gesammelt, während ich mich auf Briefmarken aus Entwicklungsländern wie der République du Niger oder der République centrafricaine spezialisiert hatte. Jahre nach dem Tod der Großeltern bekam ich die DDR-Marken; mein Vater hatte sie in einem Kabuff zwischengelagert. Ich sortierte sie neu. Die alten „Palma“-Ordner waren nicht mehr schön. Ganz anders die Marken.
Es handelt sich ja nicht nur um Zeugnisse von der stumpfsinnigen Allgegenwart der Partei und deren Ungeist. Die Wertmarken zeigen das Land in vielen Facetten: Weihnachtspyramiden aus Seiffen, das Bauhaus oder das Ro-Ro-Schiff „MS Fichtelberg“, um nur ein paar Motive zu nennen. Und dann gibt es natürlich die Olympiamarken, regelmäßig herausgegeben seit 1956, den Sommerspielen in Melbourne. Der erste Satz zu den Winterspielen erschien 1963. Seitdem gehörte das doppelte Olympia mit Zähnung und Gummierung dazu. Alle vier Jahre wurden die Marken im VEB Deutsche Wertpapier-Druckerei hergestellt.
Die DDR-Designer (oder auch bekannte Maler wie Willi Sitte) verzichteten auf die Darstellung von prominenten Sportlern. Sie zeichneten zumeist Symbolbilder oder Piktogramme. Das Individuelle spielte bei den Olympiamarken keine Rolle, dabei hätte die DDR mit ihren Diplomaten im Trainingsanzug Wohnungen tapezieren können. Groß war die Zahl der Olympioniken zwischen Rostock und Oberwiesenthal. Aber die Motive blieben bis zum Ende der DDR-Olympiaserien, 1988, gesichtslos, antik-historisierend oder dem Stil des sozialistischen Realismus verhaftet.
Extrem begehrt unter Philatelisten sind die 1984er-Marken von Hans Detlefsen. Bekanntermaßen kam es in diesem Jahr zum Olympiaboykott vieler Ostblockstaaten. Die Druckmaschinen in Leipzig waren freilich schon angelaufen, als die Nachricht von der Absage des Ostens durchdrang.
Knapp 7.500 Pfund für eine Marke
Die ersten drei Marken der Olympiaserie sowie der Briefmarkenblock waren bereits fertig. Ein Großteil wurde eingestampft, doch Besucher der Leipziger Messe konnten 1988 wohl Fehldrucke erwerben, Marken, die heute viel wert sind.
Da angeblich nur noch 50 postfrische Sätze existieren, werden von Sammlern schon mal 7.475 Pfund gezahlt – wie bei einer Auktion von Sotheby’s im Jahr 1995. Sonderlich schön sind die Marken nicht. Ich mag mir die Detlefsen-Dinger noch so lange ansehen, drehen und wenden, sie bleiben hässlich. Diese Briefmarken befinden sich natürlich auch in meiner Sammlung. Aber nur, weil die DDR-Post die Motive für die 1988er-Marken wiederverwendet hat.
Auch in der Bundesrepublik gibt es die blaue Mauritius der Olympiaphilatelie. Es ist die sogenannte Gscheidle-Marke, benannt nach dem damaligen Postminister Kurt Gscheidle. Sie sollte 1980 vor den Sommerspielen von Moskau auf den Markt, ihr erging es allerdings wie den „Boykottmarken“ der DDR. Sie wurde gehäckselt. Einige Exemplare, die dem Postminister zugeschickt worden waren, kamen aber durch einen Irrtum von Gscheidles Ehefrau in Umlauf. Sie klebte wohl mindestens 24 Exemplare, die sie im Schreibtisch ihres aus dem Dienst geschiedenen Mannes gefunden und für amtliche Marken gehalten hatte, auf Briefe. Im Jahr 2008 wurde so eine Seltenheit, zu sehen ist die im Wind wehende olympische Flagge, für 82.000 Euro verkauft.
So hat der Boykott jeweils seinen Preis, der in der Szene der Briefmarkensammler sehr schnöde von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Dass der Reiz des Raren einst entstanden ist aus geopolitischer Ranküne und bitterer Enttäuschung, kann Freunden des Postwertzeichens eigentlich schnuppe sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!