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Kinder und ihre WeihnachtswünscheWas zum Teufel ist eine „Nerf“?

Dem Weihnachtsmann die Schuld an unerfüllten Wünschen überzuhelfen funktioniert nicht mehr. Der Nachwuchs ist schlauer – und will eine Spielzeugwaffe.

Spielzeug in Coronazeiten kann auch so aussehen … (es kommt aus Tschechien) Foto: picture alliance/Libor Plíhal/CTK/dpa

D er Sechsjährige hat einen Wunschzettel gemalt, darauf: ein paar Handschellen, eine begehbare Ritterburg, eine Spielzeugpistole. Wobei, Pistole ist eigentlich untertrieben, was sich das Kind eigentlich wünscht, ist „eine Nerf, Mama“. Ich habe das eine Weile nicht verstanden, was das ist, eine Nerf, weder akustisch, noch formte sich bei mir irgendeine Art von Bild in meinem Kopf bei dieser Lautfolge.

Das Kind hat mich dann in den Spielzeugladen gezerrt. Nicht in den schönen, wo die Eltern gerne hingehen, weil es da so gut nach Holzspielzeug riecht und weil sie da die Spielsachen kaufen können, mit denen sie früher auch schon gespielt haben.

Nur kurz nebenbei, ich finde ja, solche Art von Spielzeugläden haben etwas wahnsinnig Regressives, ähnlich wie eine Schüssel Grießbrei mit Kirschkompott vielleicht. Man fühlt sich wirklich wohl als Erwachsene zwischen dem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel in der Retro-Blechbüchse und den Holzschwertern und den Gummi-Twists und der Murmeldose und den Flummis und den Brummkreiseln. Und genau das ist vermutlich völlig falsch.

Jedenfalls, das Kind will in den „richtigen“ Spielzeugladen, wie es mir erklärt. Und da, ganz unten in einem Regal in der „Jungs-Ecke“ – die heißt wirklich so! – kann man also Maschinenpistolen in Hart­plas­tik­ausführung kaufen, schon für 70 Euro das Stück ist das Kind dabei. „Äh, die ist ja größer als du!“, sage ich zu dem Sechsjährigen, der verzückt vor dem Karton steht.

In der „Jungs-Ecke“

Das Kind ficht das nicht an, zumal sich jetzt ein Kita-Kumpel dazugesellt, der seine Mutter offenbar ebenfalls gegen ihren Willen in den Laden mit der „Jungs-Ecke“ verschleppt hat („Ich wollte eigentlich in den schönen Laden mit ihm, da kram ich ja so gerne rum, aber J. wollte nicht mit!“). „Mann, Alter“, sagt mein Kind. Es hat wirklich „Mann, Alter“ gesagt, ich schwör. Manchmal sagt er gerade auch „Mann, alter Schwede“, aber mit einer Ernsthaftigkeit, dass man auf keinen Fall lachen kann.

Andächtig stehen die beiden noch nicht mal Halbwüchsigen also Hand in Hand vor der Spielzeugwaffe und überlegen, ob sie beide zusammen reich genug wären, das Ding zu kaufen. „F. hat Diamanten in seiner Spardose, und Saphire!“, sagt J. zu meinem Sohn. „Boah“, sagt mein Sohn. Dann überlegt er: „Da bist du reingefallen“, sagt er. „Diamanten hat niemand.“

„Ihr könnt es euch ja vom Weihnachtsmann wünschen“, sage ich. Aber dem Weihnachtsmann die Schuld an unerfüllten Wünschen überzuhelfen funktioniert seit letztem Jahr schon nicht mehr. „Der Weihnachtsmann bist du“, sagt das Kind und guckt mich mitleidig ob des durchsichtigen Manövers an.

Insofern überlege ich jetzt, ob das Kind, wenn es schon so weise ist, auch schon alt genug ist für eine Grundsatzdiskussion über die relative Inkompatibilität der Weihnachtsmessage mit den Schmutzigkeiten von Krieg und globalen Waffengeschäften, plus einen kleinen Schwenk auf die Zumutungen der Spielzeugindustrie, die sich einen Dreck um Geschlechterrollen und Plastikmüll in den Meeren schert.

In der „Mädchen-Ecke“

Allerdings würde das brutal den Smalltalk abwürgen, den ich außerdem mit der andern Kita-Mutter am Laufen habe: ob es wohl Schnee gibt zu Weihnachten. Jaja, man hofft … Wenn es schon keine Weihnachtsmärkte geben kann. Traurig. Die Kinder ziehen weiter, immer noch Hand in Hand, um die nächste Regal­ecke: zu den Star-Wars-Laserschwertern.

Wer hat uns das eigentlich eingebrockt? Ich meine, dieses Weihnachten? Beim nächsten Mal sollten wir vorsichtiger sein, wenn ein älterer, unrasierter Mann in Coca-Cola-rot uns erzählen will, dass Kaufen glücklich macht (nichts gegen die ursprüngliche Weihnachtsbotschaft, die finde ich wirklich in Ordnung und dass die Heiligen Drei Könige Geschenke dabeihatten, auch).

Die Kinder stoppen vor einem Regal mit Zubehör für den Kaufmannsladen und die Puppenküche. Wir sind jetzt, na klar, in der „Mädchen-Ecke“. „Mann, alter Schwede!“, ruft der eine. „Boah, krass!“, schreit der andere. „Mama, guck mal, krass!“, sagt mein Sohn, als ich um die Regalecke biege. „Ein Bügeleisen!“

Das Bügeleisen ist klein, rot und sieht so aus, wie auch Puppenbügeleisen in dem „schönen“ Spielzeugladen für die Erwachsenen aussehen. Das Kind wird dieses krasse Bügeleisen bekommen. Es ist zwar aus Plastik. Aber dafür steht es in der „Mädchen-Ecke“. Nimm das, Spielzeugindustrie, und: frohe Weihnachten!

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Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
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1 Kommentar

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  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Schöner Text. Als Hinweis an die jungen Mütter: Meine Generation (die Jungs) hat auch die Kunststoffschwerter/-messer/-pistolen/-gewehre, Pfeil und Bogen etc.etc. geliebt. Und trotzdem sind die meisten von uns Zivis geworden...