piwik no script img

Die WahrheitCorona Schmorona

Unter den knetenden Händen eines Physiotherapeuten gleiten die Gedanken sanft in Traumländer am Ende der bekannten Welt.

M it unseren Masken sahen wir ein wenig aus wie Starfighter-Piloten. Also der Physiotherapeut und ich. Andere hatten eher das Modell Filtertüte auf dem Schnabel – aber keine Angst, das soll jetzt nicht die x-te Kolumne über die Maskenpflicht außerhalb des venezianischen Karnevals im Zuge der Pandemiemaßnahmen werden. Nein, wirklich nicht.

Obwohl, als ich da wieder einmal so lag und manuell bearbeitet wurde, weil die Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich pandemiebedingt wieder zugenommen hatten – schließlich ist Ausgleichssport zurzeit leider nicht möglich, die Schwimmhallen haben alle zu –, musste ich kurz darüber nachdenken, warum diese Massage möglich ist, während andere Dinge gerade überhaupt nicht gehen. Könnte man nicht zur Halbzeit, Mitte Advent, einen Lockdown-Tausch vollziehen? Also Einzelhandel, Bürogebäude, Industrie, ÖPNV, Schulen etc. schließen und stattdessen Gastro, Kultur und Sport – natürlich unter den bewährten Hygienevorschriften – dafür öffnen? Ich würde wetten, dass die Zahlen dann eher sinken, als sie es im Moment tun.

Fand er auch. Also der stark unter seiner „Kampfstern Galactica“-Maske schwitzende Physiotherapeut. Der wiederum zu einem dieser Deutschlandentdecker geworden ist, wie er auf meine Überlegung hin erzählte, weil Fernreisen ja quarantänebedingt gerade nicht so geil sind. Also Schwarzwald und Erzgebirge statt Sri Lanka und Myanmar, wo das abgewohnte Zelt draußen am Strand, seit Russen und Chinesen den internationalen Tourismus für sich entdeckt haben, auch nicht mehr so erschwinglich ist wie früher.

Mehr ist derzeit sowieso nicht drin, fügte er hinzu, die Tierarztrechnung neulich wegen der Katze trägt das Ihre dazu bei, dass in den Ferien nicht groß weggefahren werden kann. Die Katze hatte Zahnstein, das behaupteten die Tierärzte jedenfalls, so der Kneter, aber „vielleicht wollten die auch nur mein Bestes – nämlich mein Geld“.

Sofort musste ich an meinen Vater denken, der seit Kurzem eine Putzfrau hat; nicht, weil er als Pandemiegewinner plötzlich ein reicher Mann geworden wäre, leider nein. Sondern weil er als gebrechlicher Rentner mit ganz bestimmter Pflegestufe von der Pflegeversicherung eine Pflegekraft bezahlt bekommt. Die nicht einmal aus dem Ausland kommt! Obwohl, eigentlich schon, denn sie kommt aus dem Nachbarort jenseits der Grenze, also aus den Niederlanden. Und sieht sehr gut aus, so Vater, ein klassisch alter, weißer Mann mit Arbeiterklassenhintergrund. Aber sie sei leider in meinem Alter, also „zu jung“ für ihn, am Montag ist sie wieder da, er freut sich schon.

Sri Lanka, dachte ich, während ich mit Maske auf der Liege lag. Neulich hatte ich wieder von Landkarten geträumt – vom Süden Südamerikas und einer Seereise knapp über dem Südpolarkreis. Über die Falkland Inseln, St. Helena, Ascension, Tristan da Cunha und so. Aber Reisen geht ja nicht! Warum noch mal? Ach ja, wegen Corona Schmorona.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!