Lockdown-Programm an den Theatern: Digital, aber nicht kopflos
Im Frühjahr zogen die Theater mit Hochdruck ins Internet. Im zweiten Lockdown ist es ruhiger und manche Stücke im Norden stellen neue Fragen.
Doch obwohl diese und ein paar weitere virtuelle Theaterabende im Lockdown anstehen, scheint die virulente Streamerei des Frühjahrs doch arg abgeflaut. Hört man sich in den Theatern um, scheint sich dort eher Müdigkeit breitzumachen. Die Ensembles seien vom Spielzeitstart unter Hygienebedingungen und der anhaltenden Unsicherheit ausgelaugt, heißt es, und die allermeisten Premieren wurden auf unbestimmte Zeit verschoben, anstatt jetzt noch mal aufwendig für die Kamera aufbereitet zu werden. „Von der Putzfrau bis zum Intendanten bleiben alle zu Hause“, heißt es etwa aus Oldenburg, während man sich Braunschweig ausschließlich auf den Probenbetrieb konzentriert.
Dass die mitunter manische Phase vorbei ist, heißt freilich nicht, dass die Sache endgültig vom Tisch wäre. An den Stadt- und Staatstheatern sind hinter den Kulissen diverse digitale Formate in der Entwicklung, und wo man sich den langen Atem so nicht leisten kann – in der freien Szene nämlich – laufen inzwischen kontinuierlich neue Netzprojekte vom Stapel.
Auch die anfangs noch heiß diskutierten Probleme von Monetarisierung und Urheberrechten scheint konstruktive Wege einzuschlagen: die Frage also, wie sich mit dem Streamen Geld einspielen lässt – und wem das dann eigentlich zusteht. Genutzt werden inzwischen Plattformen wie das US-amerikanische Vimeo, das neben privaten Filmangeboten auch Kostenpflichtiges distributiert.
Ästhetische Fragen im Mittelpunkt
Es geht also weiter, nur nicht mehr Hals über Kopf. Und neben organisatorischen, technischen und rechtlichen Hürden rücken langsam auch ästhetischen Fragen in den Mittelpunkt. Das nämlich ist beim engagierten Draufhalten der ersten Wochen schnell klar geworden: Film, Fernsehen und Theater sind erstens nicht das Gleiche – und vertragen sich zweitens auch längst nicht immer gut miteinander.
Dominique Schnizers „Tödliche Entscheidung“ ist ein Fall, in dem es gut funktioniert. Die Webserie des Osnabrücker Theaters ist auch keine Hauruckaktion aus der Not, sondern war bereits vor dem Lockdown angelaufen. Die Inszenierung orientiert sich stark am Fernsehkrimi, versucht allerdings, das interaktive Moment eines Theaterbesuchs durch Publikumsbefragungen sogar noch zu steigern. „Wen es erwischt hat“, steht am Ende des erstens Teils über dem eingefrorenen Bild einer verhüllten Leiche: „Ihre Entscheidung.“
Äußerlich folgt „Tödliche Entscheidung“ den Konventionen des Genres: Rückblenden deuten das Tatgeschehen an, während im Büro das Ermittler:innenduo Monika Vivell und Viet Anh Alexander Tran Konflikte vor allem miteinander austrägt. Die Kamera schaut sich derweil um, in einer dank Nahaufnahme bemerkenswert detailliert zu besichtigenden Szenerie, vom Tacker auf dem Tisch bis zum wippenden Strohhalm in der Energydrink-Dose der entsprechend aufgekratzten Oberkommissarin.
Bemerkenswert gegenwärtig wirkt das, weil auch im Krimi Corona herrscht und die Ermittler:innen einander auf dem Flur distanziert umtänzeln: präzise umgesetzte Alltagsbeobachtungen, die das Stück tatsächlich authentisch-aktuell wirken lassen, statt es zu überfrachten. Eigentlich müsste man dank fehlender Außenaufnahmen und Statist:innen-Horde sagen: „Tödliche Entscheidung“ sei ein Fernsehfilm mit beschränkten Mitteln.
Nur schaut man’s anders, weil eben „Theater“ drüber steht: ein Rahmen, der schon aus Tradition einen deutenden Blick provoziert. Vom Ausdruck der Spielenden, der hier beabsichtigt oder nicht, zwangsläufig als ironischer Kommentar aufs Vorabendfernsehen rüberkommt. Weiter geht’s beim Plot, der sich trotz Publikumseingriffen schlüssig entwickelt, aber doch nie die eigentliche Spannung stiftet. So ist das im Theater, wo seit 400 Jahren mit Romeo und Julia gezittert wird, obwohl wirklich jede:r weiß, dass die Sache kein gutes Ende nimmt.
Die drei Episoden von „Tödliche Entscheidung“ lassen sich für insgesamt 10 Euro streamen: www.theater-osnabrueck.de
Aus der Gegenrichtung hatte Regisseur Robert Gerloff gerade ein ähnliches Spiel getrieben und den Kinoklassiker „King Kong“ auf die Oldenburgische Theaterbühne gebracht. Sein „King Kong und der alte weiße Mann“ hatte er nicht nur mit Zitaten von Filmexperten wie Georg Seeßlen und Alexander Kluge gespickt, sondern auch das Schauspiel am so fremden Nachbarmedium ausgerichtet: Da wurden auf der Bühne Stop-Motion-Effekte simuliert und das Klischee vom überagierenden Theaterschauspiel hinterfragend und dabei ausgesprochen unterhaltsam auf die Spitze getrieben.
„King Kong und der alte weiße Mann“ war am letzten Abend vor dem Lockdown im Theater zu sehen, gestreamt wird es nicht. Wahrscheinlich würde das auch nicht funktionieren, weil hier so ausdrücklich das Kino ins Theater geholt wird, während „Tödliche Entscheidung“ das Gegenteil unternimmt. Die so unterschiedlichen Produktionen führen gemeinsamen vor, welcher ästhetische Mehrwert in der inhaltlichen Beschäftigung mit dem neuen Produktionsmedium schlummert, solange das nur freiwillig geschieht. Vermutlich wird in dieser Hinsicht in Zukunft noch mehr zu erleben sein – nach dem Lockdown dann.
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