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Die Leidenschaftliche

Alicia Garza ist eine zentrale Figur der Black-Lives-Matter-Bewegung. In ihrem Buch erzählt sie ihre Geschichte und die der Bewegung – leider nicht ohne verkürzt identitätspolitisch zu generalisieren

Initiierte 2013 die BLM-Bewegung mit: US-Aktivistin Alicia Garza Foto: getty images

Von Jens Uthoff

Elf Meter hohe Buchstaben prangen seit dem 5. Juni 2020 auf dem südlichen Teil der 16th Street NW in Washington, D. C., in Nähe des Weißen Hauses. „Black Lives Matter“ steht da in Gelb geschrieben, der Teil der Straße heißt heute offiziell Black Lives Matter Plaza. Nachdem es infolge des Mordes an George Floyd Demonstrationen an mehreren tausend Orten in aller Welt gab, konnte man diesen fetten Schriftzug als weiteren symbolischen Sieg von der Straße ablesen. Ohnehin war 2020 das Jahr von Black Lives Matter (BLM). Sportler, Promis, große Firmen wie Nike, Apple, TikTok bekannten sich zu #BLM.

Nur wenige progressive „linke“ Bewegungen jüngerer Zeit waren so erfolgreich. Wie es dazu kam, das kann man in dem ersten Buch der BLM-Mitgründerin Alicia Garza nachlesen („Die Kraft des Handelns“). Garza war es, die im Juli 2013 nach dem Freispruch für George Zimmermann im Trayvon-­Martin-Prozess den Hashtag #blacklivesmatter in den sozialen Medien verwendete und dafür sorgte, dass er populär wurde.

In ihrem Buch klärt sie darüber auf, dass es kaum ausreicht, ein bisschen zu twittern und ein paarmal die Rautetaste zu drücken, um die Welt zu verändern. „Hashtags stoßen keine Bewegungen an, Menschen tun das“, schreibt sie in der Einführung. Auf knapp 400 Seiten führt die 39-jährige Kalifor­nie­rin aus, wie viel (Bewegungs-)Geschichte, wie viel gelebte Biografie, wie viel harte Arbeit hinter dem Erfolg von Black Lives Matter steckt.

Garza erzählt dabei zunächst, in welche Epoche sie hineingeboren wurde: In die Zeit der Neuen und religiösen Rechten, der „Reagan-Revolution“. Reagan kommt in ihrem Geburtsjahr an die Macht, er fährt die Sozial- und Gesundheitspolitik herunter, führt einen Antidrogenkrieg – unter all dem leidet vor allem die schwarze Bevölkerung. Garzas positives Role Model ist ihre Mutter: Obwohl die selbst weder Aktivistin noch Feministin ist, lehrt diese sie aufrecht durchs Leben zu gehen: „Das Beharren meiner Mutter darauf, ihr eigenes Leben zu leben und sich von keinem herabsetzen zu lassen, wirkte sich maßgebend darauf aus, wie ich durch die Welt gehe, und auf meine eigene Vision von der Welt, für die ich jeden Tag kämpfe – eine, in der wir alle selbstbestimmt leben.“

Alicia Garza: „Die Kraft des Handelns“. Übers. von K. Harlass u. a. Klett Cotta Verlag, Stuttgart2020, 400 Seiten, 20 Euro

All dies führt bei Garza zu einer aktiven Politisierung, sie lernt im frühen Erwachsenenalter, wie man Interessengemeinschaften bildet und wie Basisarbeit funktioniert – vor allem in Bayview Hunters Point, einem Stadtteil von San Francisco, wo in den Nullerjahren die meisten schwarzen Familien der Stadt leben. Das Viertel soll durchsaniert werden, die Graswurzelbewegung People Organized to Win Employment Rights (Power) will verhindern, dass die Arbeiter:innen und die ärmere Bevölkerung – zu der fast alle Schwarzen zählen – vertrieben wird. Garza zieht mit Power (im wahrsten Sinne des Wortes) von Haus zu Haus, von Tür zu Tür, um über die Veränderungen im Viertel aufzuklären.

Sie betont mehrfach, wie viel strategisches Geschick, soziale Fähigkeiten und Wille zur Koalitionsbildung hinter den Bewegungen steht. Sie postuliert zudem die Bildung multiethnischer Bewegungen, verschweigt dabei aber keineswegs die Probleme – so berichtet sie von den Vorurteilen zwischen schwarzen und mexikanischen Communitys, zwischen Latino- und afroamerikanischen Gruppen.

Multiethnisch ohne schuldbelastete Weiße

Wenn man sozialen Fortschritt erreichen wolle, so Garza, sei es unerlässlich, „sich auf die […] komplizierte Organisation einer multiethnischen Gruppe einzulassen“. Ohnehin gehe es immer um Mehrheitsbildung jenseits der Bubble oder des „Clans“, wie sie es nennt.

Kritik an der Identitätspolitik kann auch bei Garza nicht von Weißen kommen

In der Geschichte der Bürgerrechtsbewegungen blickt die Autorin zurück, sie erinnert an vergessene schwarze Aktivistinnen wie Ella Baker und Fannie Lou Hamer. Bei Black Lives Matter, das neben Garza von ihren Geschlechtsgenossinnen Patrisse Cullors und Opal Tometi gegründet wurde, bemerkt sie ebenfalls, wie sich Männer – in dem Fall DeRay Mckesson – in den Vordergrund drängen wollen. Heute sind sie damit nur nicht mehr so erfolgreich.

Bei all dem, was Alicia Garza über Pluralismus und Mehrheitsbildung schreibt, verwundert es, wie offensiv und unbedingt sie die gegenwärtige Identitätspolitik in vermeintlich progressiven Kreisen verteidigt. Kritik an der Identitätspolitik kann auch bei Garza nicht von Weißen kommen (sie erzählt im Buch das Beispiel von einer weißen Frau), sie stellt die historische Schuld der Weißen in einem solchen Sinne in den Vordergrund, dass der Dialog schwierig bis unmöglich wird („das habt ihr euch selbst zuzuschreiben“). Ethnie ist da das Kriterium, nach dem sie generalisiert, wie es in jenen Kreisen üblich ist.

All das aber, was Alicia Garza zum realpolitischen Vorgehen von Bewegungen sagt – keine Furcht davor, Mainstream zu werden, weg vom Personenkult, das direkte Gespräch suchen (und nicht Twitter), aus der „Komfortzone herauszutreten“ –, wirkt überzeugend und fundiert. Der Weg zur erfolgreichen inklusiven Bewegung, so viel liest man auf jeden Fall heraus, er führt eher von Tür zu Tür als von Tweet zu Tweet. Und wie Black Lives Matter wurde, was es ist, das erfährt man in diesem Buch sowieso.

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