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Lesen im ZugGute Laune im Unglück

Die aktuelle Ausgabe des Magazins „Leselok“ beweist, dass die Bahn sogar Selbstironie kann. Und wie sieht's bei der ARD im Vergleich aus?

Wann wird die Störung auf ARD behoben? Gute Frage, das sieht zwar gut aus, nervt aber trotzdem Foto: agefotostock/imago

Z ur Pflichtlektüre aller Medien­journalist*innen gehört bekanntermaßen die Leselok. Ihr wisst schon, dieses Kinderheftchen der Bahn, das aus irgendwelchen Gründen nur mit Sondertickets im ICE auf Anfrage zu erhalten ist.

Corporate Publishing heißt so etwas auf Neudeutsch und dient der schnöden Eigenwerbung. Und jetzt kommt’s: Die aktuelle Ausgabe eben dieser Leselok beweist, dass die Bahn sogar Selbstironie kann!

Im Comic mit dem kleinen ICE ist mal wieder der Fahrkartenautomat kaputt. „Dabei wurden die Computersysteme doch erst upgedatet. Es ist zum Mäusemelken!“, sagt der neben dem Automaten stehende Bahnmensch. Den es in Wirklichkeit natürlich nie gibt, wenn der Automat kaputt/der Zug verspätet/der Anschluss weg ist. Dann schlurft ein Techniker ins digitale Neuland, der unsinnigerweise bahnlinert, was das Zeug hält: „Dit Problem liecht bei Kollehje Compjuta.“

Und dann schiebt er’s auf die moderne – erraten! – Technik. Im Inneren das Automaten hat sich nämlich der große K.A.U. aller Programme bemächtigt. Und nun kämpft wie so oft im echten ICE die Software gegen sich selbst. Spoiler: Am Ende lag’s natürlich an einem Kaugummi im Münzeinwurf. Aber der Ansatz ist schon mal gut, wenn natürlich auch noch nicht so weit wie bei der guten alten BVG, die sich schon länger selbst auf die Schüppe nimmt.

Volkes Zorn

In Sachen Störungen kennt sich natürlich auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus. „Nutzerberichte deuten darauf hin, dass Das Erste seit 21.40 Uhr Probleme hat. Haben Sie auch Probleme? Schrei­ben Sie unten einen Kommentar“ heißt es dann auf allestoe­rungen.de.

Nach nicht überprüfter Statistik der Seite gehen 75 Prozent der Störungen auf das Konto des Fernsehens, 18 Prozent haben keinen Ton und der Rest kommt mit der Website nicht klar. Was ähnlich wie bei der Bahn Volkes Zorn anstachelt. „Wann wird die Störung auf ARD behoben? Das geht jetzt schon seit 1 Monat so, dass es immer flackert und man kaum noch den Film vernünftig gucken kann. Es nervt. Hauptsache GEZ kassieren“, lautet beispielsweise ein Kommentar.

Von selbstironischen Reaktionen der Sender ist leider zu wenig bekannt. Dabei nimmt so was allem Unglück doch die Schärfe und schafft gleich gute Laune. Das beweist auch der rbb mit seiner Kampagne „Bloß nicht langweilen!“. Die „Tagesthemen“ haben letzten Freitag immerhin was Neues ausprobiert, als die Beste Band der Welt den Jingle fürs Ärtze Deutsche Fernsehen spielte. Auch das zählt gefälligst zum Pflichtprogramm für alle und nicht nur für Beitragszahler. Schade um die 18 Prozent, die leider keinen Ton hatten oder ruckelndes Internet, weil ihr Datenvolumen bereits verdaddelt war.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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