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Clubkultur und Coronakrise„Tanz mit mir den Galgentanz“

Berlins Clubkultur ist in Gefahr. Gentrifizierung und Corona­pandemie setzen ihr zu. Eine Momentaufnahme vor dem neuerlichen Feierstopp ab Montag.

Auch sie kämpft ums Überleben. Blick auf den leeren Dancefloor der Berliner Palomabar Foto: Benjakon

Sie haben gerade wenig zu feiern: Club­be­trei­be­r*in­nen, Mit­ar­bei­te­r*in­nen und DJs. Optimismus gibt es in der Berliner Feierszene trotzdem. Ihr dringend benötigter Hoffnungsschimmer liegt mitten in einem Industriegebiet. Dorthin ist der ehemalige Neuköllner Club Griessmühle gezogen und hört nun auf den sperrigen Namen „Revier Südost“.

Das Etablissement liegt in Schöneweide, außerhalb des S-Bahn-Rings, der die Innenstadtbezirke Berlins einhegt. Den kurzen Weg vom S-Bahnhof zum Club ziert eine Tankstelle, eine Shoppingmall und ein Einkaufsmarkt. Die Schöneweider*innen erledigen hier ihre Einkäufe. Nur wenige hundert Meter weiter findet ein Rave statt, den man da weder hört noch spürt.

Vor der alten Bärenquell-Brauerei torkeln dann doch Überbleibsel vom Dancefloor über den Gehweg. Hinter den Mauern tobt die Party auf Hochtouren. „Tanz mit mir den Galgentanz / Solange wir noch nicht hängen“, heißt es in einem melancholisch-düsteren Edit, den die Berliner Star-DJ Ellen Allien im Außenbereich auflegt. Auch wenn es makaber klingt, die Zeile aus einem Song des Darkwave-Duos Lebanon Hanover trifft auf die Berliner Clubszene zu.

Die Schlinge um den Hals

In diesen Tagen scheint es, als ob sich die Schlinge entscheidend enger um ihren Hals legt. Die wenigen verbleibenden Veranstaltungen sollen laut der am Mittwoch beschlossenen Maßnahmen erst einmal untersagt werden. In dem Papier heißt es, dass Gruppen feiernder Menschen angesichts der ernsten Situation „inakzeptabel“ seien. Das gilt gleichermaßen für private Feiern wie öffentliche Veranstaltungen. Während im Bundeskanzleramt diskutiert wurde, zogen zeitgleich rund 8.000 An­hän­ge­r*in­nen des Bündnisses #AlarmstufeRot durch Berlin. Konkret fordert es ein weitreichendes Hilfsprogramm für alle Ak­teu­r*in­nen der Veranstaltungsbranche.

Dafür engagieren sich auch viele Initiativen aus dem Umfeld der Clubszene. Nicht nur Betreiber*innen und Mit­ar­bei­te­r*in­nen kleiner wie großer Clubs müssen um ihre Existenz bangen. Selbst einer etablierten Technokünstlerin wie Ellen Allien geht die Situation an die Substanz. „Ich lebe von dem Geld, was ich gespart habe. Das ist langsam alle“, berichtet sie wenige Tage nach dem Rave. Ihr Booker arbeitet mittlerweile in einem Sneakerladen, sie bekommt als Chefin des Labels BPitchControl noch regelmäßig Lohn.

Personalprobleme beschäftigen auch Clubbetreiber*innen. „Für uns haben Leute gearbeitet, bei denen man nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass sie der Sache treu bleiben. Die müssen sich umorientieren und merken dann vielleicht, dass sie gar nicht mehr zurückwollen“, sagt Finn Johannsen. Er ist nicht nur DJ, sondern kuratiert auch das Programm der Paloma Bar am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Gemeinsam hat man eine Idee für die Zwischennutzung gefunden.

Ersatzweise Ausstellungsraum

Mit Fördergeldern des landeseigenen Musicboard hat er die Ausstellungsreihe „Double Vision“ konzipiert. Neben visuellen Künstler*innen legen hier am Wochenende auch DJs auf. Getanzt werden darf trotzdem nicht. Für coronakonforme ­Raves ist die Paloma Bar viel zu klein. „Wenn wir einen DJ hingestellt hätten, hätte der für 15 Leute gespielt. Das ist sinnlos, damit kann man kein Geld verdienen“, erklärt Johannsen. Einen nutzbaren Open-Air-Bereich hat die Paloma Bar auch nicht.

Wenn in Berlin gerade noch irgendwo legal getanzt werden darf, dann nur unter freiem Himmel. Die Hygieneregeln gelten auch auf dem Dance­floor: Maske, Abstand, Kontaktverfolgung. So feierte man von August bis September unter anderem im Berghain-Garten, in der Else und dem Oxi-Garten. Seit Anfang September hat auch wieder die Griessmühle offen. Nebenan öffnete der Baergarten, wo auch Pizza und Bier im Außenbereich serviert werden. Am Neuköllner Kiehlufer eröffnete das Kollektiv zudem eine Bar.

Sowohl Griessmühle als auch Paloma Bar haben im Frühjahr erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen umgesetzt. Die Paloma Bar sammelte circa 27.000 Euro, die Griessmühle 61.000 Euro per Startnext. Bereits Anfang des Jahres startete die Griessmühle eine Petition für den Erhalt des alten Standorts an der Sonnenallee, direkt am S-Bahnhof Sonnenallee. Anfang Februar wurde dort zum letzten Mal gefeiert, bis zum Corona-Shutdown der Veranstaltungsbranche im März feierte man als Zwischenlösung in der Alten Münze und dem Polygon Club.

Baupläne des Investors

Wegen Bauplänen des Investors wurde dem Club Anfang des Jahres gekündigt. Trotz erfolgreicher Petition und Unterstützung seitens der Berliner Politik konnte der Standort nicht gerettet werden. Das ehemalige Griessmühle-Gebäude an der Sonnenallee wurde mittlerweile abgerissen. Immerhin erinnert die neue Location an den alten Charme eines weniger kommerziellen Berlins.

Das könnte sich aber bald ändern: Das Brauereigelände gehört einem israelischen Investor. Neben dem Club sollen in den nächsten Jahren Büros, Einzelhandelsgeschäfte und eine Privatuniversität in Schöneweide entstehen. Schon jetzt kann im Revier Südost nicht gänzlich ungestört gefeiert werden. Anrainer*innen beschwerten sich über Ruhestörungen, Veranstaltungen mussten wieder abgesagt werden.

Nicht nur wegen des unbeständigen Berliner Herbstwetters, sondern auch, weil sich die Clubber*innen in der Schlange nicht an die Coronaregeln gehalten haben sollen. Auf das Verhalten der Szene wird ein besonderes Augenmerk gelegt, nicht nur von Polizei und Ordnungsamt, sondern von ganz oben. „Wir müssen das Nachtleben ausschalten“, erklärte die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci schon am 8. Oktober im Deutschlandfunk.

Legale Alternativen

Wobei Nachtleben in diesem Herbst nicht gleich Nachtleben bedeutet. Wenn Politiker*innen über die Feiern in Berlin sprechen, differenzieren sie nicht zwischen illegalen Partys und deren wenigen legalen Alternativen. Zwar bleibt auch beim Besuch von legalen Open-Airs ein Restrisiko. Das dürfte mit Abstand, Maske, frischer Luft und Kontaktverfolgung aber kaum größer sein als eine Fahrt mit der Ring-S-Bahn.

Tatsächlich geben die Daten ein anderes Bild her, als die Politik gerade vermittelt: Lediglich ein Club-Ausbruch mit vier Fällen ist im Juli bekannt geworden. Ob es sich dabei um eine Indoor- oder Open-Air-Veranstaltung handelte, ist nicht überliefert. „Wir haben gut bewiesen, dass man ohne eine Steigerung der Zahlen sehr viele Veranstaltungen machen konnte“, resümiert Lutz Leichsenring von der Club Commission. Auch er befürchtet, dass die Feierenden sich vermehrt im privaten Raum treffen, wo Abstand, Kontaktverfolgung und Masken nicht gegeben sind. Das wird durch Sperrstunde und Alkoholverbot noch bestärkt, fürchtet Leichsenring. „Illegale Aktivitäten waren immer Teil von Stadtgesellschaft und Clubkultur.“

Neue Partykonzepte

Mit Abstand, Maskenpflicht und Hygienemaßnahmen will der Verband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter auch in Zukunft legale Alternativen schaffen. Die sollen nicht nur open-air, sondern auch indoor stattfinden können. Trotz erhöhter Fallzahlen und Sperrstunde arbeitet die Club Commission daher an neuen, coronagerechten Partykonzepten. Derzeit bereite man einen Testlauf mit Schnelltests vor, berichtet Leichsenring.

Die Testhubs sollen in Clubs aufgebaut werden, inklusive Testlabor und Wartebereich. Im November wird ein solches Konzept in Barcelona per Studie exerziert. Die Testzentren sollen aber nicht nur dem Clubbing dienen, sondern auch einen Mehrwert für den ganzen Kiez bieten. Unabhängig von einem Clubbesuch soll hier getestet werden.

Auch die Clubs und DJs müssen in diesen Tagen kreativen Optimismus üben. Während in der Griessmühle noch bis Sonntag im Außenbereich gefeiert wird, ist die Paloma Bar seit Anfang Oktober wieder geschlossen. Das Kollektiv prüft momentan neue Ideen, die Fördergelder generieren könnten.

Das Ausstellungskonzept soll erweitert werden, auf dem neu gegründeten Label des Clubs werden weitere Veröffentlichungen folgen. Auch Ellen Allien baut ihre Labelarbeit aus. Der Sound ihrer „We Are Not Alone“-Partys wird jetzt in eine Compilation zusammengefasst. Wie die gesamte Szene hofft sie, dass es irgendwie vorwärtsgeht. In einem ist sie sich sicher: „Die Szene wird weiter laufen, es wird einen totalen Berlin-Hype geben.“

Dass sie von einem wiederkehrenden Hype profitiert, denkt die Paloma Bar hingegen nicht. „Bald werden die Schuldenberge zu hoch. Dann kann es passieren, dass die Clubs umfallen wie Dominosteine“, fürchtet Johannsen. „Wie wir alle wissen, warten hinter jedem Leerstand Investoren, die nur darauf brennen, zuzuschlagen. Ich fürchte, dass jeder Club, der durch diese Pandemie schließen muss, dann für immer verloren ist.“

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4 Kommentare

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  • Vergnügen ist lebensnotwendig.

    Meine Lieblingsveranstaltung kann leider definitiv nicht stattfinden (2-4 Konzerte im Jahr in heimeliger Atmosphäre) und ich merke das schon.

    Nun soll uns auch das Wandern genommen werden. Die Anfahrt findet schon in getrennten Fahrzeugen statt, wir gehen nirgends rein.

    Mit den selben Leuten dürfte ich mich in einen Winzraum quetschen, wenn es nur dem Geld verdienen dient.

    Mein Steuerberater ließ mir folgendes zukommen.

    "Auch in der Pandemie wollen wir in Industrie, Handwerk und Mittelstand sicheres



    Arbeiten möglichst umfassend ermöglichen.



    "

    Quelle



    Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den



    Regierungschefinnen und



    Regierungschefs der Länder am 28. Oktober 2020

    Warum? Wer braucht jetzt ein neues Bad? Hat das nicht Zeit bis nach der Pandemie? Wozu unnützes Zeug herstellen lassen?



    Ja, wir brauchen die Wirtschaft, das ist kein Geheimnis. Aber unsere Gesellschaft sollte uns Menschen nicht noch weiter vernachlässigen.

    Raves sind lebensnotwendiger als manche denken.

    • 2G
      2830 (Profil gelöscht)
      @me?:

      Raves sind super und entrückend. Die Kommerzialisierung des Tanzvergnügens ist hingegen auch nur schnöde Betriebswirtschaft.

      • @2830 (Profil gelöscht):

        Ja und jain :-)



        Auf den Veranstaltungen, auf denen ich in den letzten Jahren unterwegs war, musste niemand davon leben.



        Dennoch finde ich es schade, dass eventuell eine Szene stirbt, aber auf jeden Fall stark schrumpft, die aus Leuten besteht, die davon leben konnte.



        Die Kommerzialisierung ist ein weites Feld, das sind kleine Clubs, die auch in guten Zeiten so lala überleben und eben Hyper-Hyper. Letztere stehen nicht vor dem persönlichen Aus, die können einfach abwarten und weiterhin kommerziellen Mist produzieren.

  • "Zwar bleibt auch beim Besuch von legalen Open-Airs ein Restrisiko. Das dürfte mit Abstand, Maske, frischer Luft und Kontaktverfolgung aber kaum größer sein als eine Fahrt mit der Ring-S-Bahn."



    Tja, nur ist ertens das eigene Risiko nicht relevant sondern die allgemeine Verbreitung, und zweitens darf man im Moment bei den allermeisten S- Bahn- Fahrten von einer gewissen Notwendigkeit ausgehen. Abtanzen hingegen dient immer noch dem Vergnügen.