Rückblick auf 40 Jahre taz Berlin (III): Die tiefroten Jahre
Ein Aufbruch mitten in der Untergangsstimmung: In den Nullerjahren ist die Stadt wirtschaftlich am Boden, die Subkultur hingegen obenauf.
Die taz Berlin wird 40 Jahre alt. Dies ist der dritte von vier Texten, in denen wir auf die Entwicklung der Stadt und der Zeitung zurückblicken. Und fragen: Was bleibt? Der Text über die 80er steht hier, der über die 90er hier.
Dumm nur, dass dieser Gigantomanismus so sehr an rund 60 Jahre zuvor von Albert Speer und anderen Nazis an gleicher Stelle geplante Lightshows erinnerte. Die Veranstalter ernteten einen veritablen Shitstorm aus Kultur und Gesellschaft und natürlich auch von der taz. So wurde es sogar dem Berliner Senat zu peinlich: Am Ende wurde die Zahl der Scheinwerfer reduziert, sie leuchteten nicht mehr starr, sondern bewegt in den Himmel. Und farbig war das Licht auch.
Wie es gewirkt hat? Das bekam kaum jemand zu sehen. Die Inszenierung versank binnen Sekunden im Nebel des stadtweiten Feuerwerks und war selbst aus wenigen Hundert Metern Entfernung nur noch als Lichtbrei zu erkennen.
Der Fingerzeig ins neue Millennium endete als Abgesang auf ein überholtes Berlin. Die Regierung war an die Spree gezogen (nun ja, zumindest in Teilen), der Potsdamer Platz fertig bebaut (also fast), und am Alexanderplatz schossen Hochhäuser in den Himmel (immerhin auf dem Papier). Und dann?
Der Hype war erstmal vorbei
leitet das taz-Regie-Ressort. Von 1995 bis 2011 war er Praktikant, Assistent, CvD und dann Leiter der taz Berlin.
Nichts dann. Pause war angesagt, der große Hauptstadthype vorbei. Die taz, die als erste Zeitung mit überregionalen Berlin-Seiten aufgetrumpft hatte, war erneut Trendsetter und stellte sie als erste auch wieder ein. Berlin musste sich erst mal wieder finden. Die taz Berlin auch. Sie widmete sich den inneren Werten der Stadt, vor allem der kleinen Kultur auf den neuen taz-Plan-Seiten. Und den Menschen, mit sehr großen, sehr persönlichen Montagsinterviews, die so hießen, weil sie immer an jenem Wochentag erschienen.
So richtig begann das neue Jahrzehnt erst an einem Sonntagnachmittag im Juni 2001. Da sagte ein bis dahin selbst in der Stadt nur wenig bekannter SPD-Politiker einen Satz, der ihn auf einen Schlag berühmt machte. „Ich bin schwul. Und das ist auch gut so.“ Klaus Wowereit gelang damit ein Befreiungsschlag gleich auf mehrfacher Ebene.
Als Wowereit ein Jahr zuvor von zwei homosexuellen RedakteurInnen der taz in einem Interview gefragt worden war, ob für seine Partei ein schwuler Spitzenkandidat denkbar sei, antwortete er nur, das sei „für die SPD sicherlich positiv beantwortbar“. Erst mit seinem Coming-out 2001 setzte er ein Zeichen für die gesamte Community. Bereits beim lesbisch-schwulen Stadtfest am Wochenende darauf wurde Wowereits Bekenntnis zum viel getragenen T-Shirt-Spruch.
Gleichzeitig wurde er zum Regierenden Bürgermeister der Stadt gewählt. Mit den Stimmen der Grünen – und denen der PDS, der Vorgängerin der heutigen Linkspartei, der Nachfolgerin der SED. Die PDS war zwölf Jahre nach dem Mauerfall selbst für viele in der SPD noch ein rotes Tuch, jedenfalls schlimmer als ein homosexueller Spitzenkandidat. Doch um sich aus der miefigen Großen Koalition mit der CDU zu befreien, koalierte Wowereit sogar zehn Jahre lang mit der heutigen Linkspartei.
Dumm nur, dass dank dem auch von der Großen Koalition in den 1990ern gepflegten Hauptstadtwahn die Stadt pleite war. Weil der prognostizierte Immobilienboom ausblieb, geriet auch die landeseigene Bankgesellschaft in die Bredouille. Rot-Rot musste Milliarden zuschießen und fortan „sparen bis es quietscht“. Das war Klaus Wowereits zweiter bleibender Satz.
Und er wurde drastisch umgesetzt: Die Ausgaben für den öffentlichen Dienst und die Verwaltung wurden massiv reduziert, unter den Folgen leidet die Stadt noch 2020; der soziale Wohnungsbau wurde gestoppt, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GSW verscherbelt und noch vieles mehr. Und das ausgerechnet von einer sozialdemokratisch-sozialistisch geführten Regierung! Harte Zeiten für die Stadt. Von Aufschwung keine Spur, außer bei der Arbeitslosenquote, die im Jahr 2005 auf 19 Prozent stieg.
„Arm, aber sexy“
Klaus Wowereit hatte aber sogar einen dritten Spruch parat, der dann in die Geschichte einging. Berlin sei „arm, aber sexy“, sagte er 2003. Das polarisierte – und traf doch den Nerv der Zeit. Nicht aller, aber doch vieler Berliner. Die CDU versuchte, Wowereit immer wieder als „Regierenden Partymeister“ abzuqualifizieren. Dabei hat sie – wahrscheinlich bis heute – nicht begriffen, dass dieses Etikett kein Malus für „Wowi“ war. Im Gegenteil.
Der Regierende setzte mit seiner sprichwörtlichen Lockerheit den richtigen Ton, er stand für einen linken Hedonismus, der – wenn auch in extrem unterschiedlicher Ausprägung – vom Roten Rathaus bis weit hinein in die bunte Subkultur der Stadt reichte. Und Letzterer blieb tatsächlich Luft zum Atmen. So viel, dass sie Berlin ein bis heute geltendes Image aufdrücken konnte.
Wichtigstes Ding der Nullerjahre: Der Fernsehturm. Als stylisches Stadtsymbol läuft er dem verschnarchten Brandenburger Tor den Rang ab.
Zitat der Dekade: „Es gab eine totale Mobilmachung seitens der taz“: Kurt Wansner, CDU-Kreisvorsitzender Friedrichshain-Kreuzberg, nachdem der von der CDU angezettelte Bürgerentscheid gegen die Rudi-Dutschke-Straße im Januar 2007 gescheitert war.
Überschrift der Dekade: „In 31 Tagen ist er fertig“, stand über dem Klaus-Landowsky-Starschnitt, den die taz 2001 täglich abdruckte. Genau 31 Tage nach dem ersten Teil trat der CDU-Fraktionschef wegen des Bankenskandals zurück.
Ort: Das Gehege von Eisbär Knut.
Datum: 9. Juli 2006. Im Olympiastadion gewinnt Italien gegen Frankreich das Finale der Fußball-WM. Deutschland ist schon ausgeschieden. (taz)
Das Ding der Stunde hieß fortan: Zwischennutzung. Überall dort, wo Investoren im ausgebremsten Berlin nichts blieb, als auf eine ferne Zukunft zu spekulieren, konnten kleine Initiativen sich ganz legal einnisten. Erst mal nur vorübergehend, aber gerade deshalb blieb der Charme des Unfertigen.
Direkt gegenüber der Museumsinsel standen im Jahr 2002 plötzlich Strandkörbe am Ufer der Spree. Die dazugehörige Bar sollte eigentlich nur ein benachbartes Off-Theater querfinanzieren. Sie wurde zur Mutter aller städtischen Strandbars, nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Land.
Ein paar Kilometer spreeaufwärts folgte wenig später die Bar 25, deren surreale Bretterbudenkultur selbst für die Berliner Clubkultur so sehr Maßstäbe setzen sollte, dass über sie Bücher geschrieben und Filme gedreht wurden. Und dann ist da natürlich das Berghain, dieser Technoclub in einem verlassenen Heizkraftwerk, das „eine totalitäre Zutraulichkeit ausstrahlt“, wie die taz kurz nach der Eröffnung im Jahr 2004 schrieb.
Selbst der Palast der Republik beziehungsweise die Stahlskelettruine, die seit einer Asbestentkernung von dem Prestigebau der DDR übrig geblieben war, durfte zwei Sommer lang von Kulturinitiativen bespielt werden. Die einen bauten einen Berg hinein oder setzten die Ruine zum Bootfahren unter Wasser, die Choreografin Sasha Waltz tanzte vorbei, und am Ende gab es einen viel gelobten White Cube für moderne Kunst.
Berlin war plötzlich wieder was: ein Freiraum, wie man ihn andernorts kaum finden konnte. Als sich Berlin im Jahr 2006 bei der Fußball-Weltmeisterschaft auch global als Hotspot präsentieren konnte, in dem die Jugend selbst mit schwarz-rot-goldenem Make-up nicht ihre Lockerheit verliert, und dann die ersten Billigflieger begannen, die Jugend der Welt herzukarren, wurde Berlin zur Partyhauptstadt des Planeten. Easyjetset, nannte das der taz-Redakteur Tobias Rapp und verschaffte dem Phänomen das passende Label.
Es veränderte die Stadt weit über die After Hour in den Clubs hinaus. Denn viele Menschen blieben, weil auch sie – dank billiger Mieten – hier Luft zum Atmen fanden, sich ausprobieren, ihr Ding machen konnten. Kleine Dinge, bei denen eben nicht der Profit im Vordergrund stand. „Arm, aber sexy“ at its best. Und Berlin bekam die Internationalität, die die Stadt bis heute prägt.
Und dann? Dann wurde der Palast doch abgerissen, um Platz für den Schlossneubau zu schaffen. Die Strandbar Mitte wurde glattsaniert, sodass sie heute aussieht wie ihre schlechten Plagiate in Düsseldorf. Die Bar 25 musste schließen, weil unter SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin (ja, das war er mal) landeseigene Grundstücke nur als Verkaufswert gesehen wurden und nicht als Instrument einer Gestaltung.
So war es eigentlich immer. Die rot-rote Koalition wusste dem kreativen Underground der Stadt nicht zu danken, was er für Berlin in diesen Zeiten geleistet hat. Im Gegenteil: Sie stellte sich ihm in den Weg, selbst als er zu durch diese Koalition überhaupt erst eingeführten Instrumenten wie dem Bürgerentscheid griff. Die Friedrichshain-Kreuzberger Szene mobilisierte gegen die Pläne, das Spreeufer mit dem Projekt Mediaspree zuzubauen. Bei der Abstimmung 2008 votierten dann zwar 87 Prozent für den freien Zugang zum Flussufer und den Erhalt der dort blühenden Subkultur. Von der Politik wurde dieses Votum jedoch nahezu komplett ignoriert.
Die Folgen kann man heute in der sogenannten Mercedes-Benz-City betrachten. Der Name ist dabei Programm: Das unsagbar glatte Viertel ist ein Beton gewordenes Monument für die Verfehlungen der Nullerjahre. Die Freaks durften ein wenig spielen, aber als es dann richtig attraktiv wurde, mussten sie gehen. Um die Armut der Stadt zu bekämpfen, hat Rot-Rot letztlich die Sexyness Berlins verkauft.
Und welche Rolle spielte die linke taz in der linksregierten Stadt? Sie versuchte, die rot-rote Koalition stets daran zu erinnern, trotz alle Sparzwänge auch noch linke Politik zu machen. Von Bürgerbeteiligung nicht nur zu reden, sondern sie ernst zu nehmen. Die zarten Pflanzen, die in den Freiräumen wuchsen, zu hegen, statt sie auszureißen. Ob wir gehört wurden? Nun ja. Die taz hätte immer ein paar mehr Leserinnen und Leser gebrauchen können.
Vor allem die SPD tat sich schwer, die Veränderungen in der Stadt überhaupt wahrzunehmen. Selbst am Ende der Nullerjahre faselte sie weiter davon, dass es einen immensen Leerstand gebe und daher wohnungspolitisch nichts getan werden müsste. Da hatten die internationalen Investoren längst die Stadt als Beute begriffen. Sie steckten ihr Kapital in die kostengünstigen Häuser. Eine erfolgreiche Spekulation, wie sich im nächsten Jahrzehnt zeigen sollte. Und die rot-rote Koalition hatte ihnen dafür den Teppich ausgerollt.
Klaus Wowereit tangierte das kaum. Ein Jahrzehnt nach seinem Antritt als Regierender Bürgermeister schwebte er im Wahlkampf 2011 durch die Stadt, als könne er alle Probleme per Handauflegen lösen. Er brauchte nur den Eindruck zu erwecken, als höre er gut zu. Seine Partei platzierte Großplakate, auf denen nichts zu sehen war, außer Wowereit. Schwarz-Weiß, aber sexy. Inhalte? Ach, egal.
Wowereit blieb im Rathaus, die Linkspartei flog raus. Und wie immer, wenn es eine linke Regierung nicht richtig hinbekommt, weil sie den Kontakt zur Basis verliert, wird es danach nicht besser, sondern schlimmer. Selbst für Klaus Wowereit. Der musste fortan mit der CDU regieren – bis er letztlich über den pannengeplagten Flughafen BER stolperte, auch so eine typische Berliner Größenwahngeschichte. Das erinnerte stark an den Anfang der Nullerjahre.
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