Offen schwul ins Rathaus

Klaus Wowereit wird als offen homosexueller Kandidat der SPD den Regierenden Bürgermeister Diepgen ablösen. Delegierte des SPD-Landesparteitags quittieren das Outing mit tosendem Beifall

von ROBIN ALLEXANDER
und RICHARD ROTHER

Bislang kannten nur wenige Berliner und Berlinerinnnen Klaus Wowereit, heute spricht die ganze Stadt über den Spitzenkandidaten der SPD: Wowereit hat sich gestern auf dem Parteitag der Sozialdemokraten als schwul geoutet.

Abweichend von seinem vorher verbreiteten Redemanuskript bekannte der 47-Jährige: „Ich sage euch etwas zu meiner Person: Ich bin schwul, und das ist auch gut so, liebe Genossinnen und Genossen.“ Wowereits Homosexualität war in der SPD und in der politischen Szene Berlins ein offenes Geheimnis. Bisher hatte es Wowereit jedoch immer vermieden, sein Schwulsein öffentlich zu thematisieren. In den vergangenen Tagen hatte er sich harschen und teilweise persönlichen Angriffen von CDU-Politikern ausgesetzt gesehen. Darauf nahm Wowereit auch in seiner Rede Bezug: „Eine Schlammschlacht hat begonnen.“ Beobachter vermuteten, Wowereit habe mit seinem freiwilligen Outing einschlägigen Veröffentlichungen vorbeugen wollen.

Die Delegierten des SPD-Parteitages reagierten auf Wowereits Bekenntnis mit sehr lautem, anhaltendem Beifall und Bravorufen. Wowereit schloss dann diesen Teil seiner Rede mit den Worten: „Jetzt ist das Thema hoffentlich beendet.“

Das Outing des Kandidaten für das Bürgermeisteramt ist bei den anderen Parteien auf Zustimmung gestoßen. „Ich finde das große Klasse“, sagte die Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz. Es sei richtig, offensiv damit umzugehen. Die Stadt sei liberal genug, einen schwulen Bürgermeister zu vertragen. „Was Paris kann, können wir schon lange.“ PDS-Fraktionssprecher Günter Kolodziej betonte jedoch, es werde die Aufgabe eines politischen und kulturellen Neuanfangs sein, diese Art von Bekenntnissen überflüssig zu machen. „Heteros müssen sich ja auch nicht outen.“ Für CDU-Landesgeschäftsführer Matthias Wambach ist das Outing indes eine „rein private Angelegenheit“. Mit der politischen Auseinandersetzung habe das nichts zu tun.

Durch das überraschende Bekenntnis Wowereits gerieten die politischen Fragen des Parteitags zeitweise in den Hintergrund. Die mögliche Zusammenarbeit seiner Partei mit der PDS sprach Wowereit betont kurz an. Er habe großes Verständnis für Menschen, „die sich mit der PDS nach wie vor sehr schwer tun – in der Bevölkerung und in unserer Partei“. Ein politischer Neuanfang sei aber nur auf dem Wege der Neuwahlen zu erreichen. Wowereit wörtlich: „Wer nicht zur CDU zurückkehren will, der muss bei entsprechenden Wahlergebnissen bereit sein, die Berührungsängste gegenüber der PDS zu überwinden.“

Die SPD-Genossen goutierten auch in der anschließenden Aussprache diese Position mit überraschender Deutlichkeit. Ein Delegierter aus dem Osten fasste die Stimmung zusammen: „Liebe CDU, wir haben uns von euch in Sachen PDS wie die Sau durchs Dorf treiben lassen. Das ist nun vorbei!“

Der Antrag des SPD-Landesvorstandes, die große Koalition zu verlassen und Eberhard Diepgen als Regierenden Bürgermeister abzuwählen, wurde vom Parteitag einstimmig bei wenigen Enthaltungen angenommen. Gestern Abend trafen sich auch die Grünen zu einem Landesparteitag, um die weitere Strategie zu besprechen.