piwik no script img

Überzeugender Buchpreis für Anne WeberLiterarische Feier für eine Heldin

Die Schriftstellerin Anne Weber erzählt die Geschichte einer beeindruckenden Frau in Versform. Dafür hat sie nun den Deutschen Buchpreis bekommen.

Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2020: Anne Weber Foto: dpa

Berlin taz | Beim Literaturnobelpreis sind Wetten auf die Preisträger*in nichts Ungewöhnliches. Beim Deutschen Buchpreis schon. Vielleicht ändert sich das jetzt. Wer jedenfalls noch vor einigen Wochen darauf gesetzt hätte, dass „Annette – ein Heldinnenepos“ von Anne Weber Deutschlands wirkmächtigste literarische Auszeichnung gewinnt, wäre jetzt eine gemachte Person.

Ein Buch, das in der geradezu altbacken anmutenden Form eines epischen Langgedichts das Leben der französischen Widerstandskämpferin Annette Beaumanoir feiert und durchleuchtet, als Gewinnerin – niemals hätte das jemand für möglich gehalten. Die Qoten bei den Buchmachern müssen hoch gewesen sein.

Dafür, dass Anne Weber jetzt als nicht nur verdiente, sondern sogar als glänzende Buchpreisgewinnerin dasteht, musste einiges zusammenkommen. Zunächst einmal, bei einem Versepos nicht ganz unwichtig, muss der Text schlicht als Lesetext funktionieren. Und das tut er. Mehr noch. Die zunächst exzentrisch anmutende Wahl des Versepos ermöglicht der Autorin einen so spielerischen, wie distenzierten, so zugewandten wie analytischen Zugang zu ihrem Gegenstand.

Moritz Baßler schrieb in seiner Besprechung dieses Buchs in der taz ganz zu Recht: „Statt zu beschränken, eröffnet die tiefergehängte Form auf einmal neue ästhetische Räume! Alles lässt sich hier ganz ungekünstelt sagen, Zitate von Malraux oder Camus, Sachinformationen zur französischen Geschichte werden zwanglos einfügt, und doch macht es, so merkt man rasch, durchaus einen Unterschied, ob ein Satz in einen Vers passt oder darüber hinausgreift: ‚Sie glaubt nicht an Gott, aber er an sie. / Falls es ihn gibt, so hat er sie gemacht.‘“

Anne Weber erzählt hier eben nicht irgendein Leben, sondern das einer Frau, die im Zweiten Weltkrieg Juden vor den deutschen Verfolgern gerettet hat, in Algerien dann für die Freiheitsbewegung FLN im Untergrund aktiv war, die Bomben in Straßenbahnen geworfen hat. Die Erzählerin denkt so darüber nach: „Was früher schlecht war, – lügen, / spitzeln, stehlen –, ist jetzt gut, nur weil der Zweck / ein guter ist für den mans tut.“

Vielfältige literarische Ansätze

Es ist also durchaus eine Heldinnengeschichte, die hier erzählt wird, aber sie wird keineswegs nachgebetet, sondern in ihren Ambivalenzen dargestellt, und genau dafür hilft die epische Form: Als Leser*in ist man schnell gefangen von diesem Leben und dieser Geschichte, aber eben ohne sich mit ihr identifizieren zu müssen.

Hinzukommen musste auch eine Jury, die einen Sinn für literarische Experimente hatte, die nicht unbedingt im Mainstream realistischen Erzählens liegen. Und das war bei dieser Jury unbedingt der Fall. Es waren beim Deutschen Buchpreis in diesen Jahr überhaupt bis zuletzt sehr vielfältige literarische Ansätze in der Wahl. Insofern ist die Wahl Anne Webers auch gar nicht so überraschend, wie es zunächst scheinen mag.

Die Shortlist war schon literarisch spannend: Dorothee Elmiger bedient sich bei ihrem Buch „Aus der Zuckerfabrik“ essayistischer Techniken. Christine Wunnicke schreibt in „Die Dame mit der bemalten Hand“ einen historischen Roman, aber nicht als dicken Historienschmöker, sondern als konzentrierte Sache. Bov Bjerg erzählt seinen Herkunfts-, Aufstiegs- und Depressionsroman „Serpentinen“ sich mosaikartig aus schlaglichtartig aufblitzenden Szenen zusammensetzend.

Nur ein Wermutstropfen

Und Deniz Ohdes Augstiegsgeschichte „Streulicht“ ist auf den ersten Blick das konventionellste Buch der Liste; auf den zweiten Blick entwickelt aber gerade der Versuch, auf jegliche erzählerischen Tricks zu verzichten, eine ganz eigene experimentelle Kraft. Von Verflachung in der deutschsprachigen Literatur kann wirklich keine Rede. Eher im Gegenteil.

Schon diese Liste antwortete auf die formalen Erneuerungsbestrebungen, die es in der Literaturszene, wenn teilweise zunächst noch nicht so sichtbar, gegeben hat: über Erzähltechniken nachdenken, nicht alles in Romanformen pressen, die Bandbreite an Ausdrucksformen experimentell nutzen. Dafür steht in diesem Jahr der Deutsche Buchpreis. Und dafür steht – mit einem überzeugenden Ergebnis – auch die Preisträgerin Anne Weber.

Es gibt nur einen Wermutstropfen. Da die Frankfurter Buchmesse dieses Jahr beinahe ausschließlich virtuell stattfindet, wird der Buchpreis nicht die Ausstrahlung haben, die er in Nicht-Corana-Jahren hatte. Man darf dennoch sicher sein: „Streulicht“ wird sich auch so in den Buchhandlungen durchsetzen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Man darf sehr bezweifeln, dass irgendein Buchmachet Quoten auf den Deutschen Buchpreis angeboten hat. Und so unwahrscheinlich war diese Wshl ja auch gar nicht. Eher ein typischer Fall von pseudo- mutig. Der Hang zum Politischen wird auch beim Buchpreis immer stärker und diese Form von "es sich leicht machen" wird langsam vorhersehbar. Das Buch mag den Preis verdient haben und sehr lesenswert sein, ich werde es aber eher nicht lesen. Nicht weil dir Form ungewöhnlich ist, sondern weil Helden und Heldinnen in der Literatur einfach uninteressant sind.