Anne Webers Roman als Theaterstück: Lautstärke und Klamauk

„Annette, ein Heldinnenepos“ wird zum Theaterstück. Dušan David Pařízek inszeniert Anne Webers Roman über Widerstand in Stuttgart.

Sylvana Krappatsch steht als Annette auf der Bühne und ist als Projektion groß auf dem Vorhang dahinter zu sehen.

Meistens schnippisch-cool: Sylvana Krappatsch als Annette in der Stuttgarter Inszenierung Foto: Thomas Aurin

Da ist was los, da oben auf der Bühne. Letzter Faktencheck! Alles sauber? Sitzen die Latten am mittig aufgestellten Bühnenwürfel? Flutscht der Text? Sind die Knie gut geschmiert? Reinigungskräfte, Ak­teu­r*in­nen und Bühnenarbeiter sind noch in Aktion, als das Publikum im Stuttgarter Schauspielhaus Platz nimmt. Ein großes Schild wird in die Höhe gehalten: „Achtung, es wird laut!“

Dieses Schild wird man in den folgenden zwei Stunden noch öfter sehen. Denn in Anne Webers Roman „Annette, ein Heldinnenepos“ geht die Heldin Anne Beaumanoir, genannt Annette, durch explosive Zeiten und riskiert in ihnen ihre Haut. In der Résistance bringt sie auf Geheiß von oben geheime Briefe an noch geheimere Orte und rettet Juden auf eigene Faust.

Während des Algerienkrieges schleppt sie Geldkoffer, chauffiert algerische Widerstandskämpfer, fliegt gemeinsam mit ihnen auf – und muss immer wieder erleben, wie die Gestapo-Methoden, gegen die sie sich gerade noch auflehnte, auf der scheinbar „guten“ Seite fröhliche Urständ feiern.

Die Frau, die als fünfjähriges Mädchen offenbar schon mit Begriffen wie „Laizisten“ und „bretonische Glaubensfolklore“ um sich warf, hat ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und eine aus der Lektüre von Romanen gewonnene romantische Vorstellung davon, wie es ist, „für eine Causa, ein Ideal, sein Leben hinzugeben“.

Riesige private Opfer

Und auch wenn die historische Anne Beaumanoir, die für Webers Buch Pate stand, erst im Frühjahr dieses Jahres 98-jährig gestorben ist, hat sie riesige private Opfer gebracht. Ihre erste große Liebe wurde von den ­Nazis ermordet. Ihre drei ­Kinder wuchsen ohne die Mutter auf, die nach Tunesien und in die Schweiz floh, weil die französische Ärztin in ihrem Heimatland als Terroristin auf dem Fahndungszettel stand.

Während die Regisseurin Lily Sykes in ihrer Uraufführung der Romanadaption am Schauspiel Hannover die Leichtigkeit und Musikalität von Webers Vers-Sprache in ein Bänkelsänger-Setting übersetzte und dem Ensemble Clownsnasen verschrieb, packt Dušan David Pařízek in Stuttgart seine geliebten Projektoren aus, wirft historische Fotos und die Konterfeis oder durch Taschenlampenlicht erzeugte Schatten der Schau­spie­le­r*in­nen an die Würfel-Latten und wird ansonsten laut: Wenn Peter Fasching, der im fliegenden Wechsel alle Männerfiguren besorgt, gekonnt zu Keyboard und E-Gitarre greift, wenn der Bühnenwürfel (stellvertretend für alle privaten und revolutionären Gewissheiten) schließlich Wand für Wand niederkracht, aber auch wenn Josephine Köhler, Sylvana Krappatsch und Sarah Franke einzeln oder gemeinsam Annette und diverse Nebenrollen spielen, fehlen die Zwischentöne.

Köhler beömmelt sich laut und ist generell schnell aus dem Häuschen, Krappatsch bleibt meistens schnippisch-cool (und als einzige immer Annette), und Franke kann schön bollerig berlinern, sächseln oder die Karikatur einer Greisin spielen. Akustisch drückt der Abend auf die Tube, als würde ein Hörspiel aufgenommen. Dabei liegt der Fokus nicht auf Realismus, sondern auf möglichst markanten Unterschieden, weshalb seltsamerweise alle arabischen Männer ein kerniges Österreichisch sprechen.

Was den Inhalt angeht, gibt es Geschichtsnachhilfe im Schnelldurchlauf. Annettes kommunistische Eltern, der erste – brav mit „Danke, sehr freundlich!“ entgegengenommene – Kuss, ein rumpelstilzchenhafter Charles de Gaulle und Oberrevolutionäre, die den „emsigen Bienchen“ der Widerstandsbasis ihren Platz zuweisen, flankieren die Erzählung. Die historische Chronologie wird dabei gern noch zusätzlich durcheinandergewirbelt, als hätte dieses Leben, das so voller Ereignisse ist, dass man mindestens drei damit bestücken könnte, noch mehr Chaos nötig.

Permanent klandestin

Die vier Ak­teu­r*in­nen meistern das alles bravourös und verlieren im Unterschied zum Publikum nie den Überblick. Sie legen sich vor allem komödiantisch sehr ins Zeug und freuen sich übertrieben, „permanent klandestin“ zu sein – „aber sowas von“. So entsteht ein spielfreudiger, aber auch hypernervöser und fahriger Abend.

Für das titelgebende „Epos“, diesen von ungleich leiserem und feinerem Humor getragenen Heldengesang in ungebundenen Versen, erhielt Anne Weber 2020 den Deutschen Buchpreis, weil der Roman die besungene Figur zugleich in historische Distanz rückt und sanft umschmeichelt. Davon bleibt in dieser klamaukigen Version nicht viel übrig.

Ebenso weitgehend verjuxt werden die existenzielleren Fragen nach der Einsamkeit und den inneren Kämpfen eines Menschen, der zu spät merkt, dass die bessere Welt, für die er kämpft, nur in seinem Kopf existiert.

Ob man sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorzustellen hat, wie der Abend mit Camus behauptet, kann im Anschluss jeder für sich klären. Ob uns dieser besondere weibliche Heldentypus gerade in der Ukrai­ne oder im Iran wieder begegnet, auch.

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