Preise für den Nahverkehr: Wer arm ist, fährt teurer
Der Hamburger Verkehrsverbund verkauft Tickets online und in Apps günstiger. Menschen, die wenig Geld haben, könnten dabei ausgeschlossen werden.
Seit September können Fahrgäste Einzel-, Tages, Gruppen- und Ergänzungskarten über die HVV-App, die neue HVV-Switch-App, im Online-Shop und mit der HVV-Card sieben Prozent vergünstigt erwerben. Somit kostet eine Tageskarte statt 6,60 Euro nur noch 6,14 Euro.
Die Tickets werden günstiger angeboten, da diese andere Vertriebswege wie Servicestellen, Fahrkartenautomaten und Busfahrer:innen entlasten würden, erklärt HVV-Pressesprecher Rainer Vohl. „In den vergangenen Monaten ist das bargeldlose Zahlen für viele – auch ältere – Menschen aus hygienischen Gründen zum Standard geworden“, so Vohl. Über 6,6 Millionen Online-Tickets seien zwischen Januar und September gekauft worden.
Kerstin Föller von der Verbraucherzentrale Hamburg aber sieht einkommensschwache und alte Menschen im Nachteil. In der HVV-App und im Online-Shop ist eine Zahlung über Lastschrift und Kreditkarte möglich, in der HVV-Switch-App können Kund:innen bisher nur ihren Paypal-Account hinterlegen. Sie brauchen einen Internetzugang, eine Kontoverbindung und eine positive Schufa-Auskunft, um die Angebote nutzen zu können.
Zahlung mit Bargeld nicht möglich
„Vor allem ältere Menschen, die nicht so internetaffin sind, werden hier benachteiligt, da diese solche Karten nicht buchen können und damit mehr zahlen müssen“, sagt Föller.
Die Pressestelle des HVV verweist darauf, dass das Angebot „nicht nur beim Kauf über die App oder den Onlineshop, sondern auch mit der kostenlosen HVV-Card“ gelte. Doch beim Ticketkauf über die personalisierte HVV-Card werden alle gekauften Tickets am Ende des Monats per Lastschrift abgebucht.
Alternativ kann ein Guthaben von mindestens 40 Euro vorab überwiesen werden. Dies sei „aus technischen Gründen so festgelegt worden“, sagt Sprecher Vohl. Eine Zahlung mit Bargeld ist nicht möglich.
Klaus Wicher, Landesvorsitzender des Sozialverbandes Hamburg, kritisiert die digitale Preissenkung scharf. Es handle sich um „eine Diskriminierung von armen Menschen, die sich kein Smartphone leisten können“. Auch ältere Hamburger:innen seien im Nachteil, da sie mehr auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen seien. Die Preissenkung gehe „komplett an diesen Menschen vorbei“, sagt Wicher.
Schulungen für Senior:innen?
Der Sozialverband schlägt dem HVV vor, Mitarbeiter:innen bereitzustellen, die an den Bahnhöfen aufklären sollen. „Besser noch wäre es, endlich das kostenlose Ticket für alle Bedürftigen einzuführen“, fordert Wicher. Damit hätte man „nicht mehr diese krasse Ungleichbehandlung von Menschen, die weniger haben als die Allgemeinheit“.
Dagegen argumentiert HVV-Sprecher Vohl: „Die Smartphone-Verfügbarkeit ist mittlerweile sehr hoch.“ Dies gelte auch für ärmere und ältere Menschen.
Ein Sprecher des Fahrgastverbandes Pro-Bahn e.V. für Hamburg und Schleswig-Holstein bestätigt, dass ein „großer Teil der Kunden“ an digitalen Vertriebsformen interessiert sei. Man müsse sich der fortschreitenden Technik anpassen und Senior:innen entsprechend schulen. Arme Menschen und deren Recht auf Mobilität müssten aber gesondert betrachtet werden. „Hier sind Sozialtickets die Antwort, deren Erwerb an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist“, so der Fahrgastverband.
Ab dem neuen Jahr dürfen sich Fahrgäste erneut auf eine Preissteigerung von 1,4 Prozent gefasst machen. Dementsprechend wird eine Tageskarte dann 6,70 Euro kosten – zumindest für alle, die am Automaten kaufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm