Frankfurter Buchmesse 2020: Frankfurt ist ein globales Dorf
Marshall McLuhan ist der Patron der Frankfurter Buchmesse. Auch wenn die Messehallen leer sind und ab elf Zapfenstreich – gelesen wird trotzdem.
Keiner will was verpassen, weswegen nur wenig geschlafen, aber umso mehr getrunken und geraucht wird. Doch das alles war gestern, heute ist Pandemie. „The Hof“ heißt nun eine von ungezählten Messeveranstaltungen, die nur im Netz stattfinden, während Frankfurt in einen tiefen Schlaf versunken scheint. In der Innenstadt herrscht Maskenpflicht. Bars müssen um 23 Uhr schließen. Nachts sind die Straßen leer.
Und doch sind ein paar Residuen des realen Kontakts geblieben. Ich beginne meine Messetage mit dem Besuch der Ausstellung über Marshall McLuhan im Museum für Kommunikation. Das scheint doppelt passend. Denn McLuhan war erstens Kanadier und Kanada ist das diesjährige Gastland der Messe. Zweitens ist vieles, was McLuhan, einer der radikalsten Denker des 20. Jahrhunderts, über Radio und Fernsehen sagte, immer noch richtig.
Er hat in seiner Analyse auch unsere schöne neue Welt des Internets vorweggenommen. Ihn hätte der Wahnsinn von Facebook, Instagram und Twitter nicht überrascht.
Planetarische Stammesgesellschaft
Seine wichtigste These: Die elektronischen Medien haben uns in eine planetarische Stammesgesellschaft verwandelt. Das „globale Dorf“ ist kein Idyll, sondern wie jedes Dorf ein Ort, an dem sich Gerüchte in Lichtgeschwindigkeit verbreiten: „Je näher man sich kommt, desto mehr mag man einander? Dafür gibt es in keiner Situation, von der wir jemals gehört haben, einen Beweis. Wenn Menschen einander näherkommen, werden sie immer unzivilisierter und ungeduldiger“, meinte McLuhan.
In der von dem in Berlin lebenden Kanadier Baruch Gottlieb so liebevoll wie kenntnisreich zusammengestellten Ausstellung „Global Warning! – Marshall McLuhan and the Arts“, in der TV-Interviews, Bücher, Broschüren McLuhans mit technikhistorischen Fotos aus dem Fundus der Museumsstiftung für Post und Telekommunikation und Arbeiten unter anderem von Joseph Beuys und Salvador Dalí in einen Dialog treten, findet sich ein weiteres McLuhan-Zitat: „Alle Nachrichten sind gefälscht, sie sind Pseudoereignisse, geschaffen durch die Medien.“
Wenn die „Lügenpresse“-Krakeeler nicht so selbstverliebt wären, wüssten sie, was an ihrer Wahrnehmung und an McLuhans Diktum richtig ist – und was nicht.
Die „Gutenberg-Galaxie“ war für den Denker aus Toronto der Ort des wohlbegründeten Arguments, weswegen er der denkbar beste Patron dieser Buchmesse ist. Auch in diesem Jahr finden die vom Kulturamt Frankfurt organisierten Lesungen der Reihe „Open Books“ statt. Sie sind gut besucht, auch wenn die Reihen coronabedingt gelichtet sind.
Mit Maske durchs Dorf
Am Donnerstagnachmittag darf man die Maske am Platz noch abnehmen, als Michael Kleeberg sein neues Buch über seinen Vater, „Glücksritter“ vorstellt, das unter anderem von dessen Imprägnierung als Kind durch die Nazi-Ideologie handelt, deren Echos der Autor noch an sich selbst beobachten kann. Dabei habe er beim Schreiben gar nicht vorgehabt, „Dinge über mich zu erfahren“, wie er im Ratskeller sagt.
Abends in der St. Katharinenkirche findet die heimliche Buchpremiere von Kathrin Rögglas Essay „Bauernkriegspanorama“ statt, das vielleicht besser als Langgedicht über die in ihren Echokammern hohldrehenden Menschen der „Mitte“ beschrieben ist. Die Bücher sind frisch aus der Druckerei gekommen. Und wenn sich nun schon wieder die Regeln geändert haben, und der Mund-Nasen-Schutz aufbehalten werden muss, so stellt sich trotzdem ein Hauch von Messefeeling ein. Man ist dabei, wenn was passiert.
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