Jeden Tag Alaaaaaarm: Zwischen Wahnsinn und Warnsinn

Das Training für den Ernstfall ging erstmal in die Hose. Kein Wunder: Auch sonst ist es schwierig, vor großen Gefahren rechtzeitig zu warnen.

Eine historische Darstellung

Wer dem Ruf der Sirenen folgte, segelte direkt ins Verderben: Darstellung aus dem 16. Jahrhundert Foto: Collection Kharbine Tapabor/imago-images

Berlin taz | Wenn die CDU/CSU „ALAAAARM!“ twittert, dann sollte eigentlich mindestens das christliche Abendland untergehen. Aber nein: Es geht nur um den ersten „Warntag“ des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Alle Medien versprachen Sirenengeheul, laufende Meldungen im Internet, Radio und TV.

Nicht bei mir: Im rbb-Inforadio ein Bericht, aber keine Sirene am Himmel, keine Lautsprecherwagen vor der Tür, keine hektischen Mails. Allgemeine Einschätzung: Die App hat versagt, wenig Lärm um nichts. Immerhin: Im ZDF lief „Notruf Hafenkante“.

Alle Jahre wieder am zweiten Donnerstag im September sollen wir jetzt also ALAAAAARM üben. Es ist ja auch richtig, gegen Starkregen, Feuer und Sturm gewappnet zu sein. Aber wer die Welt retten will, ist ein bisschen neidisch auf diesen ganzen Rummel.

Bei mir läuten dauernd die Alarmglocken

Denn zufällig erschien am „Warntag“ der „Living Planet“-Bericht des WWF, der an die tägliche Ausrottung von Tieren und Pflanzen erinnert. Und in meinen Mails läuten dauernd die Alarmglocken: Tausende vorzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung; 2,4 Milliarden Menschen weltweit ohne Abwassersysteme; verheerende Brände im brasilianischen Sumpfgebiet Pantanal.

Und erst am Mittwoch war bei der UNO wieder „Warmtag“ mit einem neuen Bericht zum Klimawandel. Aber eben Alarm, nicht ALAAAAARM. Obwohl diese Meldungen meine Zähne lauter klappern lassen als die Übung des Technischen Hilfswerks.

Der Grat zwischen Wahnsinn und Warnsinn ist schmal. Die Ökobewegung diskutiert schon lange, wie hoch die Tagesdosis an Apokalypse denn nun sein darf. Das andauernde Unken der Königstochter Kassandra endete im Trojanischen Krieg auch nur damit, dass alle tot waren. Und die Sirenen waren bei Odysseus keine Alarmanlagen von heute: Wer ihrem Ruf folgte, segelte direkt ins Verderben.

So wie wir gerade.

Es gibt gute Gründe, jeden Tag als Warntag zu begehen. Und mit dem Megafon vor Kohlekraftwerken, bei den Rodungen im Regenwald, im Terminal eines Flughafens oder auf der Grillparty der Nachbarn zu brüllen: „Was ihr hier macht, bringt uns alle um!“

Aber würde das etwas ändern? Würden die Menschen wie bei der regelmäßigen Durchsage in der S-Bahn „Gemeinsam gegen Corona“ daran erinnert, ihre Masken aufzusetzen, vegetarisch zu leben, nicht zu fliegen und Ökostrom zu nutzen? Oder würden sie aus Trotz gegen das ökologische Über-Ich genau das Gegenteil tun?

Die Corona-Erfahrung jedenfalls macht da ein bisschen Hoffnung: 90 Prozent der Leute finden die Warnungen richtig und halten sich größtenteils daran. Wenn wir das auch bei den Ökothemen schafften, wäre viel gewonnen. Mit 10 Prozent Fleischfressern, Urlaubsfliegern und Benzinschluckern könnte man es erst einmal aushalten.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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