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Drohender Koalitionsstreit in BremenMehr Ruhe wagen

Eine mögliche Bahn-Werkstatt sorgt im Bremer Westen für Aufruhr – der Koalitionsvertrag hatte weniger Lärm versprochen. Die Pläne sind intransparent.

Den Menschen in Oslebshausen reicht ein Ruheabteil nicht mehr Foto: Eckhard Stengel/Imago

Bremen taz | Auf den ersten Blick sind es lauter gute Nachrichten: Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) investiert in 30 neue Doppelstockzüge für den Regionalverkehr, und drumherum entsteht in Bremen eine neue Bahn-Werkstatt. Von 100 Jobs ist die Rede, und von einem Auftragsvolumen, dass zwischen 600 Millionen und zwei Milliarden Euro liegt. Also alles bestens? Im Bremer Westen hat man eine ganz andere Sicht der Dinge. Nicht nur eine örtliche Bürgerinitiative, auch die KoalitionspolitikerInnen im Stadtteilparlament üben scharfe Kritik an den Plänen. Ein Krach in der rot-grün-roten Landesregierung droht.

Noch ist nichts entschieden. Bis Jahresende läuft noch ein Bieterverfahren für diese neue Eisenbahnwerkstatt mit angeschlossener Waschanlage. „Wir befinden uns in Gesprächen“, sagt Sebastian Rösener, der Sprecher der zuständigen SPD-Senatorin für Wissenschaft und Häfen. „Aber es konzentriert sich ziemlich auf diesen Standort“, sagt die Leiterin des Ortsamtes West, Ulrike Pala. Dieser Standort, das ist eine brachliegende Gleisanlage in Oslebhausen, die derzeit noch Bremen gehört und an der Reitbrake liegt, auf Höhe des Ölhafens.

Erfahren hat Pala davon nach eigenen Worten – so wie der Rest des Stadtteilparlaments – durch anonyme Post, die zugleich an die örtliche Presse versandt wurde; auch der taz liegt sie vor. „Der Beirat ist selbst überrascht worden“, sagte Pala auf einer Sitzung des Beirates in der vergangenen Woche. „Es gab ein Gespräch zwischen Ortsbeirat, der LNVG, dem Bau- sowie dem Häfenressort, bei dem „ausführlich“ über das Thema gesprochen worden sei, sagt Rösener. Aber da kursierte die anonyme Insiderpost bereits in der Stadt.

Für die Linkspartei erklärte ihr Fraktionssprecher im Beirat, Bernd Brejla, gleich: „Wir lehnen die Pläne rundweg ab.“ Bei SPD und den Grünen hat man noch keine abschließende Meinung, aber viel Kritik: „Ich habe den Eindruck, dass man den Beirat hinterrücks ausschalten und vor vollendete Tatsachen stellen wollte“, sagte Ralf Vogelsang, zugleich Vorsitzender der Oslebshauser SPD. Er sei „überhaupt nicht glücklich“ mit den Plänen.

Ein Industriegebiet „untergeschoben“

Sein Misstrauen hat viel mit einem Bebauungsplan zu tun, der auch für die Fläche gilt, um die es hier nun geht. Bisher ist sie für die Verwaltung ein „unbeplanter Innenbereich“. Eine mögliche „schleichende Entwicklung“ zu einem Gewerbegebiet sollte aber ausdrücklich ausgeschlossen werden – so steht es in dem Beschluss der zuständigen Deputation.

„Die Ansiedlung störempfind­licher Nutzungen“ wurde „weitgehend ausgeschlossen“, heißt es da. Nun aber gebe es offensichtlich Bestrebungen, aus der Brache doch ein Industriegebiet zu machen, sagt Vogelsang. Dagegen hat der Beirat schon einmal heftig opponiert – mit Erfolg. „Uns sollte ein Industriegebiet untergeschoben werden“, kritisiert ein Vertreter der Grünen im Beirat.

Es gibt noch mehr Vorfälle, die Misstrauen wecken. Da sind „Probebohrungen“ zweier Bieter, von denen Pala ebenfalls überrascht wurde. Wie viel Lärm die machen? Darauf habe sie keine Antwort bekommen, sagte sie dem Beirat. Und da ist ein Wäldchen „An der Finkenau“, südlich von Wohlers Eichen, das noch im Herbst gerodet werden soll.

Das Bieterverfahren organisiert die LNVG, Eigentümerin des Grundstücks ist aber die Stadt Bremen. „Die Gleisanlagen liegen derzeit brach“, sagt Ressortsprecher Rösener, und dass eine neue Nutzung Arbeitsplätze schaffen und das Gebiet „beleben“ könnte.

Doch genau das wollen die AnwohnerInnen in Oslebshausen ja gar nicht. Und es war ihnen auch anderes versprochen worden – im rot-grün-roten Koalitionsvertrag. Dort heißt es, mit Blick auf die in Oslebshausen geplante, vor Ort aber umstrittene und von einer Bürgerinitiative bekämpfte Klärschlamm-Verbrennungsanlage: „Wir stellen sicher, dass es vor Ort keine zusätzliche geruchliche Belästigung für die Bevölkerung gibt und dass der Stadtteil durch Maßnahmen in den Bereichen Müll, Verkehr und Lärm entlastet wird.“ Schließlich verursachen die Stahlwerke, das Hafenkraftwerk und der Verkehr aus Hafen, Hafenrandstraße, Autobahn und Gütertransport schon heute immense Belastungen.

Die setzen sich kackfrech über den Koalitionsvertrag hinweg

Bernd Brejla, Die Linke

Nun aber droht zusätzlicher Bahnlärm, entlang der Strecke zwischen dem Hauptbahnhof und der möglichen Bahn-Werkstatt in Oslebshausen. An der Stecke liegt unter anderem die Reihersiedlung, eine Schlichtbau-­Siedlung, für die es keine Lärmschutzwände gibt, die Großwohnanlage Wohlers Eichen oder eine Grundschule.

„Die setzen sich kackfrech über den Koalitionsvertrag hinweg“, sagt Brejla von der Linkspartei. Auch Senihad Sator, der für die SPD im Beirat sitzt, fühlt sich „verarscht“. Und Dieter Steinfeld von den Grünen sagt: „Ich sehe keine Möglichkeit, das zu verhindern“.

Dieter Winge von der Bürgerinitiative aus Oslebshausen ist „empört“, er kritisiert die „riesige Belastung“, die droht und das intransparente Verfahren. „Das trägt nicht zum positiven Politikverständnis bei“, sagt er – „vorsichtig formuliert“.

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1 Kommentar

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  • Es wirkt irgendwie bitter, das ausgerechnet Kriegsopfer gefunden werden müssen um dem Gewinnwahn der Politik ausnahmsweise mal einen Riegel vorzuschieben.