Iranische Künstler in der Schirn: Groteske Eselsrunde vor Laptops
Die Gebrüder Haerizadeh sowie Hesam Rahmanian setzen sich gegen engstirnige Frömmler mit Humor zur Wehr. Eine große Kunstschau in Frankfurt.
Klack, klack, klack klappern die Schuhabsätze durch den White Cube. Die eiserne Regel, in einer Kunstausstellung nichts zu berühren, wird hier gleich definitorisch kassiert. Wer sich dem Werk von Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian in der Frankfurter Schirn nähern möchte, der muss darauf herumlaufen.
Das führt im besten Sinne dazu, dass sich die Besuchenden ob der Geräusche, die sie auf den lackierten MDF-Platten von sich geben, ungeachtet ihres tatsächlichen Schuhwerks ein bisschen wie auf Stilettos fühlen dürfen. Und passend dazu haben die Künstler auf dem Bodengemälde in Oldschool-Camp-Manier auch gleich einige haarige Unterschenkel nebst Füßen in High Heels versteckt.
Und es bewirkt zudem eine merkwürdige Form der Immersion: Wo der Blick auf die Kunst horizontal geschult ist, muss man hier ständig unter die eigenen Füße blicken. Denn nur so erhält man eine Perspektive auf ein Ensemble, das als flache Ebene über die gesamte Ausstellungsfläche im Ganzen nicht zu erfassen wäre.
Frankfurt am Main, Kunsthalle Schirn: Bis 13. Dezember 2020. Katalog in der Ausstellung: 15 €
Es geht um ein ausschnittsweises Erblicken. Von kegelförmigen Figuren, Tieren, Mensch-Tier-Chimären. Einer Eselsrunde vor Laptops, Händen vorm Smartphone, die aus dem Dunkel eines shamsehförmigen, mal vergitterten, mal mit einem Magritte-artigen Himmeldekor versehenen Fensters nach draußen greifen. Dazwischen Schachbrettmuster und persisch anmutende Ornamente. Und ein grotesk deplatzierter Anus in einer Art Unterwasser- oder Sumpflandschaft.
Das Herzstück der Schau
Es ist ein analog-vertikales Eintauchen, in der man die Arbeit des iranischen Künstlertrios traumwandlerisch um sich weiß, ohne ihr je habhaft zu werden. „O You People!“ bildet das Herzstück der ersten Einzelausstellung von Hearizadeh, Haerizadeh und Rahmanian in Deutschland. Wie die meisten der hier präsentierten Arbeiten haben die Künstler das sich auf dem Boden erstreckende Tafelbild extra für die Schau in der Frankfurter Schirn Kunsthalle angefertigt.
Einer Schau, zu der sie coronabedingt erst gar nicht selbst anreisen konnten. Seit 2009 leben und arbeiten die beiden Brüder Haerizadeh sowie Hesam Rahmanian als Kollektiv in Dubai. Dem Vernehmen nach bewohnen sie in dem Emirat ein zauberhaftes Eldorado für und mit der Kunst, teils mit anderen Kolleginnen und Kollegen zusammen.
Diese Bohemia im Nahen Osten ist nicht so ganz freiwillig entstanden. Während sich das iranische Trio 2009 für eine Ausstellung in Paris befand, wurden die Räume eines ihrer Sammler in Teheran durchsucht. Er warnte die Künstler vor der Rückkehr in den Iran. Damals ließ das iranische Regime mit dem islamistischen Hardliner Mahmud Ahmadineschad an der Spitze die Demokratiebewegung brutal niederschlagen.
Ihr Exil fanden die Künstler schließlich in den Vereinigten Arabischen Emiraten, von wo aus sie heute Ausstellungen in der ganzen Welt vorbereiten. Dabei arbeiten sie auch mit KünstlerInnen international zusammen – die Stoffbehänge der Eselsskulpturen in der Schirn etwa stammen aus dem Hamburger Atelier von Hoda Tawakol. Mit Bodengemälden, Videoarbeiten, großformatigem Wandgedicht, Skulpturen und Found-Footage-Bildmaterial bilden sie nun in Frankfurt eine begehbare Installation mit dem popreferenziellen Titel “‚Either He's Dead Or My Watch Has Stopped‘ Groucho Marx (While Getting The Patient's Pulse)“.
Ein Hauch von Vaudeville, von albern-anarchischem Witz durchzieht diese Ausstellung. An manchen Stellen scheint sie das gesamte Leid der globalen Welt zu versammeln, doch im nächsten Moment zaubert sie ein Konvolut aus Karneval, Cabarét, Teufelsfratzen oder freundlichen Fabelwesen hervor.
Dazu erklingt ein kakofonischer Soundtrack, der sich aus dem Klackern der Schuhe des Publikums sowie des Gesangs von Lonnie Holley speist. Mit Holley, dem Musiker und Outsider-Art-Berserker aus dem nordamerikanischen Alabama, ist das Künstlerkollektiv seit 2014 in Kontakt. Damals standen sie in einem selbstgebauten Set gemeinsam vor der Kamera.
Dazu speisen sie dröhnende persische Tanzmusik ein. Diese stammt aus der Videoarbeit „Dancing After The Revolution“. Sie enthält heimlich aufgenommene Tanzszenen aus den privaten Wohnräumen iranischer Haushalte. Irans Mullahregime hat etwas gegen das Tanzen. Doch viele frönen weiterhin heimlich diesem verbotenen Laster und tauschten dafür in den 1980ern Videokassetten mit privaten Aufnahmen aus.
Die Künstler in der Schirn berufen sich in ihrer Arbeit auch auf Mohammad Khordadian. Der Exil-Iraner hat mit einer Mischung aus persischem Volks- und orientalischem Bauchtanz sowie amerikanischer Aerobic eine Art nostalgische Fantasieheimat geschaffen. Er war damit vor allem in den USA der 1980er Jahre sehr erfolgreich gewesen.
Kunst in der Pandemie
Geschichten wie diese erzählt die Ausstellung beiläufig auch. Erstaunlich mühelos fügen sich die einzelnen Werke zu einer Schau, deren Dimensionen von den Künstlern vor Ort weder ausprobiert noch eigenhändig nachjustiert werden konnten. Die Installation gibt von daher auch eine Anschauung, wie der Ausstellungsbetrieb dank Internet und Zoom Ländergrenzen und Pandemiegesetze überwinden kann.
Doch was für Dinge, Kunstobjekte gelten mag, es gilt nicht zwangsläufig für Menschen und deren Kommunikation. In Coronazeiten zeigt sich besonders deutlich, wie unterschiedlich je nach Staatsbürgerschaft der Status von KünstlerInnen ist.
Wo das Kollektiv nun selbst nicht präsent sein kann, da ist es der Esel. Dieser führt als Spirit Animal durch die Installation. Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian zeigen den arbeitsamen Underdog, dessen purer Anblick manch einen Menschen schon von seinem seelischen Leid geheilt haben soll, immer wieder mit weit aufgerissenem Maul. Einer Ansicht, von der man nie ganz sicher ist, ob sie nach gelangweiltem Gähnen, großem Gelächter oder leidvollem Aufschrei ausschaut.
Der Welt zeigt das Künstlertrio so sein sardonisches Lächeln, nach außen scharf, dem Menschen aber stets zugewandt. Wer weiß: Vielleicht kann man sich ja tatsächlich noch über die Zustände erheben, indem man sich eine Weile einfach buchstäblich daraufstellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!