Aktivistin über Rassismus: „Systematisch verankert“
Maimuna Sallah hat eine Petition für Antirassismus im Bremer Unterricht gestartet. Ein Gespräch über Ohnmachtserfahrungen und Sensibilisierung.
taz: Frau Sallah, Sie haben eine Petition für Antirassismus und Kolonialgeschichte im Bremer Unterricht gestartet. Warum war Ihnen das wichtig?
Maimuna Sallah: Das Thema war mir wichtig, weil es im Sommer sehr viele Unruhen gab – unter anderem wegen des Mordes an George Floyd. Ich hatte den Drang, auch etwas zu tun, da ich das Gefühl hatte, dass die Leute jetzt sehr empfänglich für das Thema Rassismus sind. Dann bin ich auf diese Petition in anderen Bundesländern gestoßen und wollte eine für Bremen initiieren. Wir sind nun alle untereinander vernetzt, die mehr als 94.000 Unterschriften setzen sich aus allen Bundesländern zusammen.
Haben Sie selbst auch Erfahrung mit Rassismus gemacht?
Ich bin als Schwarze Deutsche in Deutschland aufgewachsen. Meine Mutter kommt aus Ostfriesland, mein Vater reiste aus Gambia vor 30 Jahren hierher. In der Kindheit kannte ich den Begriff „Rassismus“ zwar noch nicht, ich habe ihn trotzdem erlebt. Zum Beispiel haben mich andere Kinder mit dem N-Wort konfrontiert oder Menschen haben mir ungefragt in die Haare gefasst und gefragt, wo ich herkomme. Es sind alles Situationen, in denen man merkt, dass man in der Gesellschaft anders wahrgenommen wird. Das begleitet mich ständig. Viele können auch nicht verknüpfen, dass ich als Schwarze Deutsche hier geboren und aufgewachsen sein kann.
Waren Sie schon einmal an einem Ort, an dem Sie das nicht erlebt haben?
Nein. In meinem Auslandssemester in Rumänien nahm man mich zwar anders wahr, da war ich einfach „die Besucherin aus Deutschland“, aber mit Rassismus kommt man überall in Berührung. Das ist wie eine Ohnmachtserfahrung, weil man nur aufgrund seines Aussehens Gegenwind erfährt und sich immer zu einer Minderheit zugehörig fühlt. Man hat das Gefühl, man ist nicht wirksam oder gleichwertig. Darum wollte ich diese Petition starten.
„Wie rassistisch sind wir?“, fragt der erste taz Salon seit Beginn der Anti-Pandemie-Maßnahmen am Dienstag Abend an ungewohntem Ort, im Licht-Luft Bad – und er ist bereits ausgebucht. Die Frage zielt auf das, was in der Forschung als „vessel of racist habits“ (die Fessel rassistischer Gewohnheiten) bezeichnet wird, warum es so schwer fällt, sie an sich selbst zu erkennen – und welche Möglichkeiten es wenigstens in Bremen gibt, sie abzulegen.
Es diskutieren die BLM-Aktivistin Maryam Aboukerim, Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), Virginie Kamche, Fachpromoterin in den Bereichen Migration, Diaspora und Entwicklung und 2019 als Bremer Diversity-Persönlichkeit ausgezeichnet, sowie Medine Yildiz (Die Linke), Gewerkschafterin und Betriebsrätin – und das Publikum.
Bitte nicht spontan vorbeischauen! Um Abstands- und Hygieneregeln einhalten zu können, mussten wir die Teilnehmer*innenzahl strikt begrenzen. Die 100 freien Plätze sind bereits vergeben, wir bitten, von spontanen Besuchen abzusehen. Leider ist es uns technisch nicht möglich, die Veranstaltung per Stream zu übertragen. Für Berichterstattung ist gesorgt. Bei starkem Regen muss die Veranstaltung entfallen.
Was für ein Feedback haben Sie dafür bekommen?
Aus meinem persönlichen Umfeld natürlich gutes, aber im Internet habe ich auch negative Kommentare gelesen. Insgesamt ist die Tendenz positiv. Viele finden, das Thema ist schon lange überfällig. Von politischer Seite aus habe ich bisher noch nichts gehört. In den nächsten Wochen will ich mich aber mit den Entscheidungsträgern in Verbindung setzen.
Sie sagen, dass die Gesellschaft in Deutschland rassistisch geprägt ist. Warum?
Rassismus und gesellschaftliche Ungleichheit funktioniert auf vielen Ebenen. Strukturell gesehen hat man einen schlechteren Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt oder Wohnungsmarkt. Ein „falscher“ Name reicht, um schlechtere Chancen im Leben zu haben. Individuell kommt es zu rassistischen Anfeindungen, weil die Gesellschaft nach wie vor nicht divers repräsentiert wird. Schulbücher sind ein gutes Beispiel: Kinder mit Migrationshintergrund finden sich dort kaum wieder und wenn, dann häufig stereotypisiert. Auch in der Werbung sind meistens nur Weiße Menschen zu sehen.
Könnten Antirassismus und Kolonialgeschichte im Unterricht etwas dagegen tun?
Ich glaube, dass es schwierig ist, Projekte oder Konzepte zu entwickeln, die darauf abzielen, Rassismus abzuschaffen. Das ist aufgrund dieser systematischen Verankerung so gut wie gar nicht möglich. Der Begriff Anti-Rassismus birgt ein bisschen die Gefahr, das so zu verstehen. Trotzdem glaube ich, dass sich diese Rassismusstrukturen abbauen lassen, wenn man sowohl Lehrer*innen als auch Schüler*innen für dieses Thema sensibilisiert, damit sie erkennen, dass wir zwar alle unterschiedlich sind, aber nicht unterschiedlich behandelt werden sollten. Ein Mittel wären antirassistische Workshops oder Projektwochen. Was den Kolonialismus angeht, ist es ja nicht so, als würde er gar nicht in der Schule behandelt werden. Die Frage ist eher, ob er kritisch genug betrachtet wird.
Wie meinen Sie das?
Die Kolonialherren haben damals nicht einfach die Welt bereist und anderen Völkern die eigene Sprache beigebracht, sondern sie haben Macht ausgeübt und Menschen aus anderen Kulturen ermordet oder versklavt. Bis heute ist das in unserer Umgebung gegenwärtig, beispielsweise in Straßennamen oder Denkmälern, die an große Kolonialherren erinnern. Wenn man koloniale Strukturen nicht kennt, versteht man auch nicht, woher Rassismus überhaupt kommt.
28, studiert an der Uni Bremen Transnationale Literaturwissenschaft.
Eignet sich Antirassismus überhaupt als Lehrinhalt?
Das ist schwierig. Holt man sich antirassistische Trainer*innen, ist die Frage, wie viel davon bei den Schüler*innen hängen bleibt, wenn irgendwer für drei Tage ein Projekt durchführt und wieder fährt. Besser wäre es, solche Themen in der Ausbildung der Lehrkräfte differenziert zu behandeln und sie dafür zu sensibilisieren. Die Lehrer*innen könnten ihre Vorbildfunktion nutzen, indem sie Rassismus nicht dulden und ihn thematisieren, wenn er passiert. Dann können die Schüler*innen besser miteinander umgehen und davon profitieren. Ein eigenes Schulfach würde, glaube ich, den Rahmen sprengen, die Schule hat auch andere Baustellen.
Lässt sich so eine Forderung in eine Petition fassen?
Mir ist bewusst, dass eine Onlinepetition nicht alle Ziele erreicht, die darin formuliert sind. Die Funktion einer Petition ist für mich aber zu zeigen, dass viele Menschen sich für dieses Anliegen einsetzen würden. Bei vielen Unterschriften kann die Politik das Thema nicht mehr ignorieren. Ich hoffe, dass sich langfristig etwas aus dieser Petition entwickelt, auch wenn nur zwei oder drei Punkte realisiert werden.
Welche Wünsche hätten Sie für Ihre eigene Schulzeit gehabt?
Meine Schule trug die Aufschrift „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Ich bin kein Fan davon, weil das impliziert, dass es Schulen ohne Rassismus gäbe und man sich diesen Titel erarbeiten könnte. Das geht aber nicht. Zu sagen, dass man den Rassismus überwunden hat, macht ihn unsichtbar. Man sollte lieber kontinuierlich versuchen, ihm kritisch zu begegnen und ihn abzubauen. Auf dem Gymnasium ist mir aufgefallen, dass alle Schüler*innen mit einem türkischen Background befreundet waren und dass sich solche Kreise selten überschnitten haben. Ich hätte mir gewünscht, dass die Lehrkräfte dazu beigetragen hätten, dass es zu mehr Überscheidungen kommt.
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