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Die russische Regierung feiert allein

Der Kreml prahlt mit dem weltweit ersten Coronavirus-Impfstoff. Die Skepsis gegenüber „Sputnik V“ ist nicht nur im Ausland groß

„Wir wissen nicht, was mit den Menschen passiert, die sich damit impfen lassen“

Swetlana Sawidowa, Leiterin AOKI

Aus Moskau Inna Hartwich

Als sich im Februar und März die ersten Rus­­s*in­nen mit dem neuartigen Coronavirus infizierten, wischte Irina Michailowa die Gefahr noch beiseite. „In ein paar Monaten gibt’s eine Impfung, dann kehrt wieder Ruhe ein“, dachte die ehemalige Kindergärtnerin aus Moskau. Doch nach strengem Lockdown und monatelanger „Selbst­isolation“, bei der die 56-Jährige lediglich zum Einkaufen und Müllherausbringen die Wohnung verlassen durfte, wurde ihr klar: Mit der erhofften „Ruhe“ wird es so schnell nichts.

Am Dienstag nun hat der Kreml die Zulassung des weltweit ersten Impfstoffs gegen das Coronavirus verkündet. Präsident Wladimir Putin, sonst eher wortkarg, was seine Familie angeht, hat sogar eine seiner Töchter ins Spiel gebracht. Diese habe den Impfstoff bereits erhalten, an einem Tag 38 Grad Fieber gehabt, nun gehe es ihr gut.

Irina Michailowa hingegen sagt: „O Himmel! Ich bin doch nicht verrückt, mich mit diesem Stoff impfen zu lassen. Viel zu schnell, viel zu früh, viel zu gefährlich.“

Die Skepsis gegenüber „Sputnik V“, wie der Impfstoff in Anlehnung an den sowjetischen Satelliten heißt, der 1957 als erster Raumflugkörper ins Weltall flog, ist auch unter russischen Wis­sen­schaftler*innen groß. Die Vereinigung der russischen Pharmunternehmen (AOKI) nannte die Eile „ein Relikt des heroischen Paradigmas“ und bat das Gesundheitsministerium bereits vor Tagen in einem Brief um die Verschiebung der Zulassung, weil – so die Pharmakolog*innen – zu wenige Menschen getestet worden seien.

Die Leiterin der Vereinigung, Swetlana Sawidowa, bezeichnete die vorschnelle Registrierung als „Büchse der Pandora“. „Wir wissen nicht, was mit den Menschen passiert, die sich mit einem ungetesteten Impfstoff impfen lassen“, sagte sie. Die Molekularbiologin und Wissenschaftsjournalistin Irina Jakutenko sagte der russischen Onlineplattform „Republic“, den Impfbeginn mit der dritten klinischen Testphase des Impfstoffs gleichzusetzen, sei „schlicht nicht richtig. Wir könnten in eine äußerst unangenehme Situation kommen.“

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zurückhaltend auf die Nachricht von dem Impfstoff aus Russland reagiert. Die WHO sei in Kontakt mit den russischen Behörden und erwarte, nähere Informationen über die klinischen Studien zu erhalten, teilte ein Sprecher am Mittwoch mit. Die Entwicklung von Impfstoffen gegen den Corona-Erreger müsse gemäß den international geltenden Richtlinien erfolgen, mahnte die WHO. Ähnlich äußerte sich auch Gesundheitsminister Jens Spahn zu Sputnik V: „Nach allem, was wir wissen, ist das nicht hinreichend erprobt“, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch im Deutschlandfunk. Es gehe nicht darum, irgendwie Erster zu sein, sondern einen wirksamen und sicheren Impfstoff zu haben. Die russischen Behörden seien aber nicht sehr transparent vorgegangen und es habe noch keine Phase-3-Studie mit einer breiten Erprobung an Menschen gegeben.

An der Führung in Moskau prallt die Kritik ab. Der russische Gesundheitsminister Michail Muraschko sagte, die Vorwürfe, dass der Impfstoff unsicher sei, seien unbegründet. Kirill Dmi­triew, der Leiter des staatlichen Fonds für Direktinvestitionen, der die Forschung an einem Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus finanziert hat, sieht in dem Brief der russischen Pharmunternehmen „einen Teil des Wettbewerbs einiger westlicher Pharmaunternehmen, die den Impfstoffmarkt dominieren wollen, aber keinen Wettbewerb wünschen“. 20 Länder, darunter Brasilien, die Philippinen und die Vereinigten Arabischen Emirate, hätten bereits Interesse am „Sputnik V“ signalisiert, sagte Dmitriew russischen Medien.

Die Entwickler des Moskauer Gamaleja-Forschungsinstituts setzen auf einen sogenannten Vektorimpfstoff. Dabei wird das harmlose Adenovirus als eine Art Kurier verwendet. Dieses Virus werde so modifiziert, dass es sich nicht im Körper vermehren könne, sagen die Forscher*innen. Danach bekommt es die für Sars-CoV-2 wichtigen Erbinformationen eingepflanzt und kann diese bei einer Impfung in den Körper des Menschen transportieren. Das Immunsystem bildet dann Antikörper.

Ein vergleichbares Verfahren nutzen auch die Forscher*innen der Universität Oxford und des Pekinger Instituts für Biotechnologie. Die russische Führung frohlockt: „Wir sind die Ersten.“ Seine Landsleute forderte Präsident Putin auf: „Vertraut uns!“

Doch damit tun sich die Russ*innen schwer. Medikamente „aus vaterländischer Produktion“ genießen keinen guten Ruf. Vor allem bei schweren Erkrankungen setzen die Menschen auf europäische und amerikanische Produkte. „Was wir jetzt sehen, ist eine Impfung auf die russische Art. Es ist russisches Roulette“, sagt der Biotechnologe Alexander Kudrjawzew, der in Moskau ein Pharma-Start-up betreibt. „Zwei Gruppen à 38 Soldaten zu testen reicht einfach nicht aus, um danach Zigtausenden Menschen einen Impfstoff verabreichen zu können.“ Für den Unternehmer steht fest: „Sich impfen lassen? Nicht mit Sputnik V.“

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