piwik no script img

Neuer Ansatz der Aufsichtsbehörde„Der Rechnungshof wird sichtbarer“

Behördenchefin Karin Klingen übt Kritik am Corona-Nachtragshaushalt mit 6 Milliarden Euro Schulden. Am Mittwoch debattiert der Hauptausschuss mit ihr.

Karin Klingen (54) ist seit Juni 2018 Präsidentin de Berliner Rechnungshofs Foto: dpa
Interview von Stefan Alberti

taz: Frau Klingen, mit welchem Gefühl gehen Sie an diesem Mittwoch in die Hauptausschusssitzung im Abgeordnetenhaus?

Karin Klingen: Ich freue mich darauf, auch weil der Rechnungshof sichtbarer wird.

Die Frage ist: Wollen die Abgeordneten das? Die rot-rot-grüne Koalition hat ja ziemlich klargemacht, dass sie Ihre Mahnungen zum Corona-Nachtragshaushalt mit 6 Milliarden Euro Schulden nicht beherzigen will.

Wir machen als unabhängige Behörde das Angebot zu beraten. Jetzt haben wir zu einer wesentlichen Entscheidung für die Finanzen Berlins Stellung genommen. Es liegt nun an den Abgeordneten, wie sie dies aufnehmen. Wenn es dazu im Hauptausschuss eine kontroverse Diskussion gibt, ist das doch spannend.

Das mit der Beratung ist ja ein völlig neuer Ansatz, jedenfalls soweit das von außen sichtbar ist. In früheren Jahren und unter anderer Leitung schien sich der Rechnungshof auf seinen Jahresbericht mit kritischen Anmerkungen zu beschränken.

Es passiert ja auch gerade etwas Außergewöhnliches: Im letzten Jahrzehnt gab es keine einzige Entscheidung über ein solches finanzielles Volumen – Berlin nimmt mit diesen 6 Milliarden Euro so viele Schulden neu auf, wie wir seit 2011 getilgt haben.

Was wieder zum alten Höchststand von knapp 63 Milliarden Schulden führt.

Es ist sicher notwendig, schnell zu handeln und zur Krisenbewältigung zu investieren. Wir wollen aber nicht erst im Nachhinein kritisieren, sondern noch in den laufenden Beratungen Hinweise geben, wenn etwas falsch läuft.

Sie kritisieren den geplanten Tilgungszeitraum für die Schuldenmilliarden: Sie halten zehn Jahre für richtig, die Koalition hat durchgesetzt, dass es 27 Jahre werden sollen – alles mit dem Verweis auf andere Bundesländer wie Bayern, die jetzt viel höhere Kredite aufnehmen und länger tilgen wollen.

Berlin hat aber eine andere Ausgangssituation bei der Verschuldung – vor der Coronakrise hatten wir, pro Einwohner gerechnet, die vierthöchste Verschuldung aller Bundesländer. Und warum 27 Jahre? Eine vergleichbare Verschuldung ist ja in den letzten acht Jahren abgebaut worden. Wollen wir das der nächsten Generation aufbürden, die vielleicht ihre eigene Krise haben wird? Übrigens haben auch in anderen Bundesländern Rechnungshöfe lange Zeiträume für die Rückzahlung der Schulden kritisiert.

Sie kritisieren nicht die Verschuldung an sich, fordern aber, Prioritäten zu setzen und alle geplanten Ausgaben zu überprüfen. Ist das eine allgemeine Aussage oder denken Sie da an konkrete Projekte?

Eine konkrete Empfehlung will ich nicht geben. Entscheidungen zu treffen und Prioritäten festzulegen ist das Privileg der Politik.

Da muss Sie ja schon sauer gemacht haben – und an dieser Stelle konnte man bei der Haushaltsdebatte sehen, dass Sie sich besonders viele Notizen gemacht haben –, dass der führende SPD-Haushaltspolitiker Torsten Schneider die Bezirke ausdrücklich ermahnte, keine Projekte und Investitionen zu stoppen.

Das hat mich nicht geärgert. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Dass jetzt investiert wird, halte ich für richtig. Es gilt aber dabei das Gebot der Wirtschaftlichkeit. Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben ja schon jetzt eine hohe Rücklage für Investitionen...

... den Topf mit den sogenannten Siwa-Mitteln...

Berlin schafft es aber seit Jahren nicht, dieses Geld auch auszugeben. Mit dem Nachtragshaushalt können 6 Milliarden Euro für eine Rücklage aufgenommen werden. Bisher ist nicht klar, wofür das Geld gebraucht wird. Das muss der Gesetzgeber noch entscheiden.

In Ihrer achtseitigen Stellungnahme an den Hauptausschuss ordnen Sie diese Begründung dafür, dass es überhaupt trotz Schuldenbremse neue Schulden geben darf, sinngemäß als rechtlich wackelig ein. Manche folgerten daraus, dass Sie den Haushalt nicht für verfassungsgemäß halten. Ist das tatsächlich Ihre Sichtweise?

Nein. Aber wir haben in der Tat angemerkt, was wir, wie Sie es nennen, für juristisch wacklig halten. Zudem bezieht sich der Parlamentsbeschluss auf einen Verfassungsartikel, der nicht mehr gilt – „totes Verfassungsrecht“ nennt man das juristisch. Doch dadurch wird nicht der Haushaltsbeschluss insgesamt verfassungswidrig. Die Schuldenbremse gilt ja erst seit diesem Jahr, sie funktioniert eigentlich auch, nur muss sie jetzt auch richtig angewendet werden.

Angesichts Ihrer Kritik überrascht schon, dass von der CDU als führender Oppositionsfraktion kaum Widerspruch zum Vorgehen der Koalition kam. Kommt sie ihrer Oppositionsrolle zu wenig nach?

Auch die CDU-Fraktion unterstützt ja jetzt unsere Stellungnahme...

... doch beim Haushaltsbeschluss vor den Ferien gab sie sich ziemlich zahm und enthielt sich, statt mit Nein zu stimmen.

Ich habe die CDU so verstanden, dass sie nicht verhindern wollte, dass ein schneller Entschluss gefasst wird und Hilfe auf den Weg kommt.

Bevor Sie vor zwei Jahren Rechnungshofchefin wurden, haben Sie in zentraler Stelle in der Senatskanzlei gearbeitet. Wie funktioniert denn ein solcher Schwenk, von dort aus nun unabhängige Chefaufseherin zu sein?

Ich habe ja schon eine längere Verwaltungskarriere. Vorher war ich im Finanzministerium in Sachsen-Anhalt und habe dort auch die Verhandlungen über die Schuldenbremse begleitet. Für meine jetzige Funktion ist es von Vorteil, auch die Verwaltungssicht zu kennen.

Manche meinen, Sie legten Ihre Rolle zu politisch, Ihre Äußerungen würden die Aufgaben der Rechnungshofspräsidentin überschreiten.

Unsere Stellungnahme für den Hauptausschuss ist doch rein sachlich. Möglicherweise ist es ungewohnt für das Parlament, dass wir uns zu einer aktuellen Frage äußern.

Welche Mittel haben Sie außer Logik und Argumentation, Ihre Kritik und Ihre Forderungen durchzusetzen?

In der Tat sind Argumentation und Fachlichkeit unsere Mittel. Ich bin zuversichtlich, dass wir gehört werden.

Das ist sehr optimistisch bei einer Koalition, die nicht mal auf den eigenen Finanzsenator hört, der auch auf Prioritäten und schnellere Tilgung gedrängt hatte.

Ich kann mich nur klar äußern – die Entscheidungen müssen andere treffen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!