: Wenn der Wind bläst
Die Raffinerie der H&R Ölwerke Schindler betreibt seit fast drei Jahren eine Elektrolyseanlage zur Herstellung von Wasserstoff für die Energieversorgung der eigenen Produktion
Von Marco Carini
Die Raffinerie der H&R Ölwerke Schindler befindet sich südlich der Köhlbrandbrücke, direkt an der Elbe. Rostige Rohrlabyrinte und moderne Zweckgebäude mischen sich auf dem Firmengelände des ehemaligen Hamburger Familienbetriebs, der 2004 an den Salzbergener Petrochemie-Konzern H&R verkauft wurde.
In einer unauffälligen Leichtbauhalle ist seit November 2017 das Vorzeigeobjekt des Unternehmens untergebracht: Eine Elektrolyseanlage der Firma Siemens, auf Basis der PEM-Technologie (Proton Exchange Membrane), mit der Schindler seit knapp drei Jahren Wasserstoff für den Eigenbedarf produziert. Inzwischen gibt es größere Anlagen, doch bei ihrer Einweihung war sie mit fünf Megawatt eine der größten der Welt. Sie kostete 13,7 Millionen Euro, 2,4 Millionen davon kamen aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung.
„In Raffinerien wird Wasserstoff in der Regel aus der Aufspaltung von Erdgas gewonnen“, erklärt Frederik Jahnke, Leiter der Verfahrenstechnik des Wilhelmsburger Betriebes. So war es auch lange bei Schindler. Aus Erdgas gewonnener Wasserstoff wurde in großen Lkw-Tanks angeliefert. Vor knapp drei Jahren stellte Schindler um. Selber Wasserstoff herzustellen, rentiert sich für das Unternehmen.
In der Anlage wird „grüner“ Wasserstoff produziert, weil der zu seiner Herstellung benötigte Strom ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stammt. Entscheidend dabei ist die Verwertung des gewonnenen Wasserstoffs in den eigenen Produktionsprozessen. Um beispielsweise Schwefel aus dem Öl herauszuhydrieren, braucht Schindler Wasserstoff in großen Mengen. Das Unternehmen verarbeitet und veredelt Rohöl zu Produkten aller Art: zu zähflüssigem Öl für den Straßenbau, zu Gummimasse für die Reifenherstellung, zu hochwertigem Weißöl für Kosmetika wie etwa Lippenstifte.
Ökologisch wertvoll ist die Anlage, da sie „regelflexibel“ ist. Wenn es stürmt, produzieren die norddeutschen Windanlagen ordentlich Strom – zeitweise mehr, als die Netze aufnehmen können. Dann fährt auch die Elektrolyseanlage in Wilhelmsburg hoch, frisst mehr Strom und produziert mehr Wasserstoff, der dann in einem großen Tank gespeichert wird. Bei Flaute fährt die Elektrolyseanlage zurück, im Extremfall sogar mal für eine Stunde bis auf null.
Solche variablen Speicher sind notwendig, um das Stromnetz zu stabilisieren. Sie verhindern, dass Windkrafträder bei guter Windernte abgeschaltet werden müssen, um eine Überlastung der Netze zu verhindern. Scheint die Sonne nicht und bläst auch kein Wind, wird der gespeicherte Wasserstoff wieder in Wasser umgewandelt – und die gespeicherte Energie freigesetzt. Auch der BUND Hamburg begrüßt das Engagement der Ölwerke Schindler, mit einer modernen Elektrolyseanlage „einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz zu leisten“.
Die Wasserstoffherstellung verbraucht allerdings viel Energie, und die Stromspeicherung durch Wasserstoff geht noch immer mit hohen Energieverlusten einher. Sie ist ökonomisch deswegen nur sinnvoll, wenn elektrische Energie sehr günstig zur Verfügung steht und ökologisch nur, wenn es für diesen Strom keine andere Verwendung gibt.
Obwohl die Elektrolyseanlage von Schindler mit fünf Megawatt schon zu den Großkalibern zählt, bräuchten energieintensive Branchenriesen wie Stahl- und Aluminiumwerke weit größere Kapazitäten, um aus der Kohle auszusteigen. Der Stahlkonzern Salzgitter AG etwa würde – so hat der NDR errechnet – eine fast 200-mal so große Elektrolyseanlage benötigen, um damit die Menge Wasserstoff zu produzieren, die es dem Metallhersteller möglich machen würde, aus der Kohle auszusteigen.
Doch damit wäre schnell eine Kapazität erreicht, die mehr als nur die wetterbedingten Stromüberschüsse verbrauchen würde. Allein für die Energieversorgung eines großen Stahl- oder Aluminiumwerks wären Hunderte von zusätzlichen Windrädern notwendig.
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