piwik no script img

„Das war einverdammter Fehleinsatz“

Heute ruft das Bündnis „#JusticeForMohamed“ zur Demo für den erschossenen Bremer auf. Seine Schwägerin Nadia Rachchag über ihren Wunsch nach einer Entschuldigung

Mohamed Idrissi, hier mit seiner Tochter in den Neunziger Jahren, wurde vor zwei Wochen bei einem Polizeieinsatz im Alter von 54 Jahren erschossen Foto: privat

Interview Selma Hornbacher-Schönleber

Frau Rachchag, mein Beileid zu Ihrem Verlust! Wie geht es Ihnen zur Zeit?

Nadia Rachchag: Wir sind traurig in aller erster Linie. Wir sind erschrocken und entsetzt, weil wir gesehen haben, wie wenig Hilfe wir bekommen, weil man ihn getötet hat. Wir sind wütend, weil uns der Staat alleine gelassen hat. Wir sind wütend, dass es niemanden gibt, der sich kümmert.

Was haben Sie seitdem durchgemacht?

Erstmal, wir haben ja keinerlei Erfahrungen mit so was, haben wir uns einen Rechtsbeistand organisiert. Dann haben wir die Familie im Ausland informiert, die Eltern aus Marokko und die Familie in Italien, in Straßbourg. Viele Leute fühlen mit uns mit und drücken ihr Beileid aus. Es gibt viele tolle Organisationen, mit denen wir jetzt auch ein Bündnis gegründet haben.

Wie nehmen Sie die öffentlichen Reaktionen auf den Tod von Herrn Idrissi wahr?

Es gibt vieles, das auf uns in den Medien zurasselt, positiv wie negativ. Da gibt es diesen Bericht von RTL, in dem wird eine Anwohnerin zitiert, die sagt „die Polizisten waren lieb“. Das muss man sich mal vorstellen, da stehen vier Polizisten um diesen Mann herum, der psychisch krank war und richten eine Pistole auf ihn. Wo waren die denn lieb? Als sie ihn erschossen haben? Oder als sie ihm danach die Rippen gebrochen haben, als sie versucht haben, ihn zu reanimieren? Das ist für uns wirklich ganz und gar unverständlich. Es gibt auch Leute, die jetzt mit blauen Schleifchen rumlaufen und sagen, sie sind solidarisch mit der Polizei.

Worum geht es Ihnen bei der Demo heute Abend?

Uns geht es insgesamt, als Familie und als Bündnis, um Gerechtigkeit, darunter verstehen wir zuerst einmal lückenlose Aufklärung. Und eine Weitergabe der Informationen, wir haben ja nichts bekommen.

Welche Fragen beschäftigen Sie am meisten?

Nadia Rachchag, 43, Schwägerin von Mohamed Idrissi, organisiert mit seiner Tochter Aicha Meisel-Suhr und dem Bündnis #JusticeForMohamed die Demo

Warum hat die Polizei nicht gewartet, obwohl sie wussten, dass er psychisch krank ist? Warum haben sie nicht auf den sozialpsychiatrischen Notdienst gewartet, es war ja keine Gefahr im Verzug. Es ging da um eine Wohnungsbegehung, er hatte ja keine Geiseln im Keller oder so. Es gibt Nachbarn, die gesagt haben: „Halt stopp, wir kennen den! Wir können mit ihm reden!“ Warum sind die Polizisten auf deren Angebot nicht eingegangen? Warum wurde die Waffe gezogen? Warum waren keine erfahreneren Polizisten vor Ort? Warum haben sie, wenn ihnen der sozialpsychiatrische Notdienst zu lange gebraucht hat, sich nicht an ihre eigenen Psychologen von der Polizei gewendet und gesagt ‚Wir brauchen hier Hilfe’?

Und was sagen Ihnen die Behörden auf Ihre Fragen?

Von denen kommt gar nichts. Da müssen wir uns wirklich alles erbetteln. Die sagen da immer nur, dass sie uns keine Informationen zu laufenden Ermittlungen geben können. Irgendwann hab ich gesagt: „Okay, wir machen das nach dem Ausschlussverfahren: Ich sag ihnen was und sie sagen ja oder nein.“ Also von da kommt gar keine Hilfe.

Was würden Sie sich jetzt wünschen?

Wir wünschen uns eine Entschuldigung, dass Verantwortung übernommen wird. Dass die Polizei sagt: „Das tut uns leid, das war ein verdammter Fehleinsatz, der so nicht wieder passieren darf.“ Wir wünschen uns eine Versicherung, dass das nicht wieder passiert. Und wir wünschen uns alle Informationen.

Welche konkreten Maßnahmen sollten jetzt folgen?

Wir wollen eine unabhängige Untersuchung von einer unabhängigen Stelle. Wenn das intern beim Senator für Inneres untersucht wird, kann diese Untersuchung absolut nicht unabhängig sein, die haben doch ein Interesse, dass das nicht groß aufgebauscht wird! Dann müssen alle Unterlagen herausgegeben werden. Und es sollte Schulungen geben, die die Polizei auf so etwas vorbereiten. Und vielleicht ein Register – so dass da direkt durchgesagt wird „Wir haben hier einen Mann mit psychischer Erkrankung“ und dass darauf dann reagiert werden kann. Die schaffen es ja auch, durchzusagen „Wir haben hier einen Nafri“, aber sie schaffen es nicht zu sagen, dass jemand psychisch krank ist?

Sehen Sie den Tod Ihres Schwagers als tragischen Einzelfall an?

Solche Fälle passieren oft und wissen Sie, was das Schlimme ist? Die passieren immer häufiger. Gott sei dank gab es dieses Video. Die Polizei hat ja allen, die darum herum standen ihre Handys abgenommen. Und die erste gekürzte Version von dem Video, die hat sich dann im Netz verbreitet. Wir werden nicht schweigen, auf gar keinen Fall. Wir wollen keine bewusste oder unbewusste rassistische Gewalt gegen Menschen, die vermeintlich „ausländisch“ sind. Wir wollen, dass dieser Fall lückenlos aufgeklärt wird und nicht verdreht wird durch Formulierungen wie „er ist auf den Polizisten zugerannt und hat ihn attackiert“. Da sagt keiner dazu, dass er blind vom Pfefferspray war.

Sehen Sie vonseiten der Polizei die Bereitschaft, Konsequenzen aus dem Tod von Mohamed Idrissi zu ziehen?

Derzeit sehe ich die nicht. Ich bin aber fest der Überzeugung, weil das so schlimm ist und weil die Welt, oder zumindest Deutschland, da gerade darauf schaut, dass daraus Konsequenzen folgen. Aber weil wir eben nicht schweigen, sondern Gerechtigkeit fordern, hoffe ich, dass die mit dieser Nummer, wenn ich das so sagen darf, nicht durchkommen. Und ich hoffe, dass die Politik jetzt darauf reagiert und sagt, dass das nicht ohne Konsequenzen bleiben kann.

Demo ab 17.30 vom Brill über Obernstraße bis zum Sielwall

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen