piwik no script img

Bernhard Esser über neuen KZ-Gedenkort„Gedenken ist Handeln“

Bernhard Esser hat den „Ort der Verbundenheit“ der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit initiiert. Sein Vater, ein politischer Häftling, hat überlebt.

Partizipatives Gedenken: Gerüste für Plakate und Druckstöcke in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Foto: Antonia Wegener
Interview von Petra Schellen

taz: Herr Esser, wie soll der „Ort der Verbundenheit“ in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme aussehen, dessen Eröffnung auf November verlegt wurde?

Bernhard Esser: Es soll ein Gedenkort von Angehörigen für Angehörige einstiger Häftlinge des KZ Neuengamme sein. Konkret sind Angehörige dazu eingeladen, mit einem Plakat an ihr verfolgtes Familienmitglied zu erinnern. Gezeigt werden die Plakate an einer dafür geschaffenen Wand im Außengelände der Gedenkstätte. Daneben wird ein Archivregal mit den zugehörigen Druckstöcken stehen.

Warum das?

Damit man die Plakate, die durch Wind und Wetter verwittern werden, nachdrucken und so das Gedenken immer wieder erneuern und wachhalten kann. Denn Gedenken ist Handeln, und darum geht es hier. Dafür kann man sich in einer kleinen Druckwerkstatt im Nebengebäude zu Workshops anmelden, um eins oder mehrere Plakate nachzudrucken. Und zwar mit der gleichen Technik, mit der Widerstandskämpfer im „Dritten Reich“ Flugblätter gedruckt haben. Die Plakate können nicht nur in Neuengamme, sondern auch in den Heimatstädten der aus ganz Europa und der Ex-Sow­jetunion stammenden einstigen Häftlinge aufgehängt und so in die Öffentlichkeit getragen werden.

Wen sollen die Plakate ehren?

Die über 100.000 einstigen Häftlinge, die in diesem KZ litten. Und zwar sowohl diejenigen, die in Neuengamme oder – nach einer Verlegung – in anderen KZ starben, als auch diejenigen, die überlebten. Viele Namen finden sich nirgends in der Ausstellung. Auch im „Haus des Gedenkens“ sind nur 22.000 der 43.900 in Neuengamme Gestorbenen aufgeführt, weil man viele Namen immer noch nicht kennt. Oft suchen Angehörige vergebens danach. Andere legen Blumen, Briefe oder Bilder unter den Stoffbahnen nieder, die – nach Jahrgängen geordnet – die Namen der Toten aufführen. Als ehemaliger Mitarbeiter des Besucherservices habe ich das oft erlebt und gedacht, für diese Menschen fehlt ein noch persönlicherer Gedenkort.

Im Interview: Bernhard Esser

76, war lange im Besucherservice der Gedenkstätte aktiv und ist bis heute Mitglied des Freundeskreises sowie der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme.

Der „Ort der Verbundenheit“ war Ihre Idee?

Auch. Gemeinsam mit anderen Angehörigen von Häftlingen habe ich den Wunsch nach einer aktiveren Form des Gedenkens 2015 bei der Tagung „Forum Zukunft der Erinnerung“ formuliert. Wir haben dann eine AG gebildet, unterstützt unter anderem vom Internationalen Häftlingsverband Amicale sowie dem Freundeskreis der Gedenkstätte. Zusätzlich haben wir Studierende der Hamburger Hochschule für bildende Künste angesprochen, die das Projekt mit uns gemeinsam entwickelt haben. Bekannt gemacht haben wir es dann per Internet. Die Resonanz ist groß. Wir haben schon 71 Plakate erhalten, unter anderem aus Belgien, den Niederlanden, der Ukraine und sogar aus Südafrika.

Das erste Plakat haben Sie erstellt – für Ihren Vater, der das KZ Neuengamme überlebte.

Ja, er hat Glück gehabt. Er musste nicht mit auf den Todesmarsch zur „Cap Arcona“ in der Lübecker Bucht, die am 3. Mai 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, von britischen Alliierten bombardiert wurde, sodass 9.000 Häftlinge starben.

Warum blieb Ihr Vater verschont?

Weil er ein noch nicht abgeurteilter „Polizeihäftling“ war und ins Untersuchungsgefängnis am Hamburger Holstenglacis gebracht wurde. Dort haben ihn die Engländer wenige Tage später befreit.

Er war politischer Häftling?

Ja. Die ganze Familie war politisch. Mein Großvater war KPD-Abgeordneter, mein Onkel Alwin im kommunistischen Jugendverband und mein Vater – genau weiß ich es nicht – wohl KPD-Mitglied.

Wie kam es zu seiner Verhaftung?

Im November 1933 – mein Großvater war schon verhaftet – kam nachts die Gestapo, die damals noch „Kommando zur besonderen Verwendung“ hieß, in die Wohnung der Familie. Einer von ihnen – so erzählte es mein Vater – nahm einen Druckkasten aus seinem Mantel, ließ ihn in eine Wanne gleiten und rief: „Hier ist es!“ Dann haben sie meinen Vater, seinen Bruder Alwin und seine Schwester Luise verhaftet und ins Stadthaus gebracht.

Das Projekt

Infos über das Projekt "Ort der Verbundenheit" finden sich unter https://reflections.news/de/category/ort-der-verbundenheit/"

In den Verhör- und Folterkeller der Hamburger Gestapo.

Ja. Dort hat man Alwin die Losung „Nieder mit Hitler“ auf die Stirn gestempelt. Luise wurde entlassen, die Brüder ins KZ Fuhlsbüttel gebracht. Mein Vater kam in Einzelhaft. Alwin haben sie schwer misshandelt, in der Nacht erschlagen und es dann als Selbstmord hingestellt. Mein Vater wurde am 23. 12. 1933 entlassen und betrieb dann eine Schuhmacherei in Hamburg.

War Ihr Vater im Widerstand?

Ja. Immer wieder hat er in seinem Laden jüdischen Mitbürgern Lebensmittel zugesteckt – wofür er im Jahr 1999 in Israel geehrt wurde. Eine kleine Initiative in der Wüste Negev hat einen Baum für ihn gepflanzt.

Und wie kam er ins KZ Neuengamme?

1944 hatte sich ein Spitzel bei ihm eingeschlichen – ein früherer Kommunist, den man in der Haft umgedreht hatte. Er behauptete, er lebe jetzt im Untergrund. Mein Vater gab ihm Geld, aber er kam immer wieder. Nun trafen sich im Laden meines Vaters auch Genossen und Widerstandskämpfer. Eines Tages organisierten sie dort ein Treffen – ohne meinen Vater zu fragen, denn ich war ja ein Baby, und das wollte er nicht. Der Spitzel erfuhr es und ließ alle hochgehen – auch den Gesellen meines Vaters, der im Untergrund lebte. Man brachte sie ins Stadthaus und dann nach Neuengamme.

Wie erging es Ihrem Vater dort?

Er litt hat viel gelitten, wie alle anderen. Aber er hatte auch Glück: Da unter den kommunistischen Häftlingen eine gewisse Solidarität herrschte, sorgten sie dafür, dass er nicht in die schlimmen Arbeitskommandos am Stichkanal oder in den Torfgruben kam, sondern in die Kartoffelschäl-Küche. Dort hat er zwar schlimm die Ruhr bekommen. Aber da er seelisch robust war, hat er es überstanden. Im Mai 1945 haben ihn die Engländer aus besagtem Untersuchungsgefängnis befreit. Seine Schuhmacherei hat er auch zurückbekommen.

Nun gedenken Sie seiner auf einem Plakat mit Foto und Brief. Ist das Kapitel für Sie jetzt abgeschlossen?

Nein, es beginnt erst. Für mich ist es bewegend, dass irgendwann, wenn das Plakat „verwelkt“ ist und auch ich nicht mehr da bin, meine Kinder und Enkel für ihren Opa oder Uropa den Druckstock nutzen, um das Plakat zu erneuern. Es geht hier um die Erinnerung für die Nachwelt, damit die Leugner und Faktenverdreher der AfD in die Schranken gewiesen werden. Damit schließe ich auch den Brief an meinen Vater auf dem Plakat: „Damit so etwas nie wieder geschieht, verspreche ich dir: Wir bleiben wachsam, wir schweigen nicht, wir greifen ein.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Zitat: „Damit so etwas nie wieder geschieht, verspreche ich dir: Wir bleiben wachsam, wir schweigen nicht, wir greifen ein.“

    Bitte vergib ihnen, Vater des Interviewten, denn sie wissen manchmal nicht, was ganz genau sie tun. Wenn sie eingreifen, dann so, wie sie es gelernt haben von alten weißen Männern mit Macht: ohne Sinn und Verstand, vor allem aber ohne Herz und Mitgefühl. Mit denen, meine ich, die Aggressivität auch für einen Ausdruck von Stärke halten.