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Serie „Sløborn“ in ZDF-MediathekVorhersehbare Pandemie

In Christian Alvarts Miniserie bricht das Taubengrippevirus aus. Sie zeigt, wie vorhersehbar der Ablauf der Coronapandemie war.

Regisseur Christian Alvart bemüht sich in seiner neuen Miniserie nicht um Subtilität Foto: Stefan Erhard/ZDF

„Inzwischen ist die neue Grippe auch von Mensch zu Mensch hochansteckend, verbreitet sich in Indien, Asien und Südame­rika … Die USA verschärfen Kontrollen bei der Einreise. Anlass dafür ist das mysteriöse Taubengrippevirus, das in Indien oder China seinen Ursprung zu haben scheint … Maßnahmen wie Kontaktverbote und Ausgangssperren, die sich in Asien als erfolgreich zeigten, sollen durchgesetzt werden … Der Kampf gegen das Virus wird auch mit einer massiven Einschränkung der Bürgerrechte geführt …“

Das sind Fetzen aus den Radio-Nachrichten in der neuen, achtteiligen Miniserie „Sløborn“. Und die ist keine Dokumentation, es geht nicht um Corona, sondern um die „Taubengrippe“. Aber wir Zuschauer verstehen natürlich sofort, dass Christian Alvart (Buch, Regie, Kamera) schnell war, sehr schnell. Es war klar, dass die Coronapandemie Filmstoff werden würde und die Ersten schon daran sitzen. Aber dass Alvart bereits ein halbes Jahr nach dem Ausbruch die erste Corona-Serie parathat, ist wirklich schnell.

Ist es natürlich nicht. Weil so schnell nicht einmal ein Power­filmer wie Alvart sein kann. Wenn man um die jahrelange Vorlaufzeit so eines Projekts weiß, weiß man auch, dass es in „Sløborn“ nicht um Corona gehen kann.

Alvart ist ebenso wenig ein Prophet wie die Macher der Serie „Arctic Circle“, in der der deutsche Virologe Thomas Lorenz damit beschäftigt war, eine Viruspandemie in Lappland aufzuhalten, und die das ZDF ab Mitte Februar ausgestrahlt hat. Wirklich verblüffend aber ist die Erkenntnis, wie vorhersehbar – und vorher recherchierbar – offenbar der Ablauf so einer Pandemie war, offensichtlich bis in die Details: die Gesichtsmasken, deren Nutzen zunächst infrage gestellt wird; die Aufforderung, Abstand zu halten, und das gleichzeitige Bedürfnis, sich in den Arm zu nehmen; den virologisch gebotenen Umgang mit infektiösen Verstorbenen und die Unmöglichkeit einer Trauerfeier; die Sorge um das für die Altersvorsorge fest eingeplante und jetzt abgestürzte Aktien-Portfolio.

Subtil ist etwas anderes

Dennoch ist Alvart – Vorsicht, Spoiler! – für die Eskalation am Ende dann nichts Besseres eingefallen als so ein arg computerspieliges Versteckspiel zwischen Insulanern und von ihrem Schießbefehl Gebrauch machenden Bundeswehrsoldaten. Wir kennen Alvart ja als am amerikanischen (Action-)Kino vor allem der 1980er und 1990er Jahre geschulten Regisseur, der dem „Tatort“-Kommissar Til Schweiger auch schon mal eine Panzerfaust in die Hand drückt. Subtil ist anderswo. Und doch verwendet er nun in „Sløborn“ erst einmal, für seine Verhältnisse, unendlich viel Zeit darauf, sein – zahlreiches, erst später von der Pandemie dezimiertes – Personal einzuführen. Und auch dafür, den Mikrokosmos der fiktiven Nordseeinsel, der die Serie ihren Namen verdankt, auszubreiten.

Das Vater-Tochter-Gespann Wotan Wilke Möhring und Emily Kusche hat Alvart einfach aus seinem 2018er Actionfilm „Steig. Nicht. Aus!“ übernommen. Ebenso wie sie hatte auch die Buchhändlerin (Laura Tonke) einmal anderes mit ihrem Leben vor, als eine einengende Insel-Existenz zu führen. Jetzt ist es ihr immerhin gelungen, den Erfolgsschriftsteller Nikolai Wagner (hemmungslos exzentrisch: Alexander Scheer) zu einer Lesung auf die Insel zu locken. Der hat gerade nicht nur ein Schreib-, sondern auch ein Drogen- und Geldproblem.

Ach so, die Tochter ist schwanger, von ihrem Vertrauenslehrer. Einer ihrer Mitschüler wird von seinem Vater mit dem Ledergürtel verprügelt. Die von einem geläuterten Ex-Knacki zu ihrer Resozialisierung auf die Insel gebrachten kriminellen Jugendlichen sind natürlich auch nicht von schlechten Eltern.

Alvart gibt sich redlich Mühe – aber er bemüht sich eben nicht um Subtilität. Die psychologisch versierte Zeichnung eines Milieus in der bundesdeutschen Provinz, wie sie etwa Hans-Christian Schmid in seinem Vierteiler „Das Verschwinden“ gelungen ist, ist seine Sache nicht. Ganz bestimmt hat sich Alvart auch nicht seinen Landsmann Schmid zum Vorbild genommen, sondern einen Amerikaner wie David Lynch („Twin Peaks“).

Nur dass Lynch bei aller überbordenden Fantasterei eben durchaus subtil ist. So ist das Beste, was sich über „Sløborn“ sagen lässt: wie verblüffend präzise Christian Alvart den Ablauf so einer Viruspandemie antizipiert hat. Vielleicht weil es kaum etwas geben kann, das so wenig subtil ist wie eine Pandemie.

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