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Erinnerungen aus dem ReisetagebuchGeister im Haus der Königin

Notizen vergangener Reisen können die Rettung sein, wenn man sein Fernweh nicht ausleben kann. So manches klingt dann aber doch sehr skurril.

Besuch erlaubt: Orango-Nationalpark auf dem Bijagos-Archipel in Guinea-Bissau Foto: Christian Guy/hemis/laif

M ein Vater war Gärtnermeister und liebte es, zu verreisen. Von jeder Tour brachte er ein volles Notizbuch mit nach Hause. „Geistige Notration für schlechte Zeiten“, erklärte er, und wir Kinder schüttelten den Kopf. Als er alt wurde, machten seine Beine nicht mehr mit – die schlechten Zeiten brachen an.

Doch nun saß er Tag für Tag an seinem Schreibtisch, studierte seine alten Aufzeichnungen und durchlebte glücklich jede Fahrt ein zweites Mal. Auch heute herrschen ungute Zeiten in Sachen Reisen. Doch auch ich habe über die Jahre Notrationen gesammelt. Und ich teile sie gern:

„Noch einmal spuckt der alte Augusto einen Schluck Schnaps aus der Shampooflasche über den Holzpflock und streicht jedem im Kreis mit einer Gerte über den Rücken. Dann holt er das Hühnchen aus dem Korb, klemmt es mit seinen Zehen auf ein Brett und säbelt ihm mit einem Messer den Kopf ab. Federn fliegen, panisch flattert das Tier und verspritzt sein Blut auf die Beine der Umsitzenden, ehe es wie ein auslaufendes Uhrwerk zuckend im Staub verendet.

Viele Blutspritzer, viel Glück, deutet Augusto das Ergebnis: Ab sofort sind die Geister der Insel den Besuchern wohlgesinnt. Die Spannung löst sich. Denn auch wenn zwei, drei der Jungs, die im Hotel arbeiten, sich das Lachen kaum verbeißen konnten – die übrigen haben das Geschehen ebenso gebannt verfolgt wie die Besucher aus Europa.

‚Wir machen den Weg frei‘ heißt die Zeremonie frei übersetzt. Seit alters werden alle Neuankömmlinge auf Orango damit willkommen geheißen. Sie ist weder Touristenspektakel noch ein besonders geheimer Ritus: Auch der Satellitenschüssel, dank deren das Hotel jetzt ans Internet angeschlossen ist, wurde diese Ehre zuteil.

Königin Pampas Haus

Orango ist eine der 77 Inseln, die das Bijagos-Archipel vor der Küste des westafrikanischen Guinea-Bissau bilden. 1931 erkundete der österreichische Ethnologe Hugo Bernatzik die Inseln und drang am Ende sogar dreist in das Haus der Königin Pampa ein.

‚An der Wand mir gegenüber thronte ein mächtiger Königsfetisch, unter dessen Vorhang die Seelenfiguren verstorbener Mitglieder der Königsfamilie aufgestellt waren. Reicher und kostbarer Hausrat war überall auf dem Boden, an den Wänden und an der Decke verteilt‘, berichtet er in seinem Bestseller ‚Geheimnisvolle Inseln Tropenafrikas‘.

Die Bijagos leben am Rande der Welt, aber sie sind nichtaus ihr herausgefallen

Heute ist ein Besuch im Haus der Königin durchaus erlaubt. Das Innere der dunklen Hütte weist keinen Schmuck mehr auf. Im Licht der Taschenlampe ragen ein paar Holzschilder aus flachen Lehmhügeln am Boden: Bancanhapan, Am-Me Landagha, Okinapampa, Paposseco – sieben Könige und Königinnen sind hier begraben. Immer noch werden die Toten im eigenen Haus bestattet.

Die Bijagos leben am Rande der Welt, aber sie sind nicht aus ihr herausgefallen. Der Wandel vollzieht sich langsam, aber stetig. Noch tagt der Rat der Alten Männer unter den heiligen Wandwurzelbäumen, und niemand beginnt zu arbeiten, ehe nicht die notwendigen Beschwörungen durchgeführt wurden. Noch klopfen alte Frauen die Rinde des Cajuco-Baums für die tradi­tio­nel­len Bastschürzchen, aber die Jungs ziehen Trikots von Beckham und Ballack vor.

Inzwischen leben auch Protestanten in den Dörfern, es gibt einfache ‚Discos‘ und plärrende Transistorradios. Noch achten die Menschen darauf, ihre Fetische, Pflöcke mit Tierschädeln etwa, nicht zu berühren, weil dies ihr Leben gefährden würde. Aber die wirklich ‚heiligen‘ Plätze sind für viele Jugendliche inzwischen ganz andere: die, an denen ihr Handy Empfang hat.“

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