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Solidarität und die Bremer Linke

Als am 13. Dezember 1981 sieben polnische Gewerkschafter am Bremer Bahnhof strandeten, wussten viele Bremer Linke diese nicht in ihr Freund/Feind-Schema einzuordnen. Von der schwierigen Annäherung erzählt ein neues Buch aus Bremen

Die Mitglieder des Bremer Solidarność-Büros vor dessen Eingang. Nicht alle waren spontan solidarisch Foto: Edition Falkenberg

Von Klaus Wolschner

Werftarbeiter, die sich für ihre gewerkschaftlichen Rechte engagieren und daher gegen den Sozialismus sind – das konnte nicht sein. Denn 1981 war die Welt noch streng geschieden nach „links“ und „rechts“, „fortschrittlich“ und „reaktionär“. Besonders in Bremen, sodass es Verunsicherung verursachte, als sich Gut und Böse der Block-Zuordnung offensichtlich entzogen. Das am Freitag im Rathaus vorgestellte Buch „Solidarität mit Schwierigkeiten“ des Bremer Historikers Rüdiger Ritter erzählt von einem solchen welthistorischen Moment in Bremen.

Am Abend des 13. Dezember 1981 standen auf dem Bremer Bahnhof sieben Vertreter der Gewerkschaft Solidarność, die in Polen für Freiheit und Demokratie und Gewerkschaftsrechte stritten – gegen das sozialistische Regime. Während sie mit der Bahn unterwegs waren, hatte der Armeegeneral Wojciech Jaruzelski, Ministerpräsident der Volksrepublik Polen und seit wenigen Wochen auch Vorsitzender der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, das Kriegsrecht ausgerufen und die führenden Gewerkschafter der Solidarność verhaftet. Das Militärs riegelte die Lenin-Werft ab. Die DDR-Grenzer hatten die Delegation mit dem Spruch verabschiedet, mit Solidarność-Gewerkschaftern werde nun in Polen kurzer Prozess gemacht. Die Delegation erfuhr nach der Ankunft in Bremen, was in ihrer Heimat passiert war.

Ein klarer Fall für Arbeiter-Solidarität? Keineswegs. Der DGB zierte sich über Wochen, die „freien“ Gewerkschafter aus Polen zu empfangen. Der Bremer Architekt Klaus Hübotter, verantwortliches DKP-Mitglied, ging auf Distanz mit der Begründung, die polnischen Arbeiter würden den Nato-Doppelbeschluss nicht ablehnen, sie stünden auf der falschen Seite der Geschichte. Die „bürgerlichen“ Bremer Parteien, CDU und FDP solidarisierten sich mit den Arbeitern, während die SPD hin- und hergerissen war zwischen dem Bekenntnis zu Freiheit und Streikrecht und der Sorge, eine deutliche Solidarität könnte die guten Beziehungen zu den sozialistischen Machthabern stören, mit denen man ja auf „Entspannungs“-Kurs war.

Die Grünen halfen mit Unterkunft und Büro

Dabei hatte Werner Franke, der Präsident der „Arbeiterkammer“, die Werftarbeiter eingeladen, um in Bremen die Arbeitsweise freier Gewerkschaften kennenzulernen – es gab seit 1976 eine diplomatische Städtepartnerschaft mit den sozialistischen Stadtoberen von Gdańsk. Nun standen sie da am Bahnhof und klar war: Wenn sie zurückkehren würden, liefen sie Gefahr, auch in den Gefängnissen des Sozialismus zu verschwinden.

Die deutschen Gewerkschafter konnten das Phänomen Solidarność nicht in ihr Weltbild einordnen und stellten sich taub. „Die wollten es sich mit dem neuen starken Mann in Polen, General Jaruzelski, nicht verderben“, erklärte später Christine Bernbacher, 1979 aus der SPD ausgetreten und Mitgründerin der Grünen, die Haltung von SPD und Gewerkschaftsspitze. Sie hatte die gestrandeten polnischen Gewerkschafter erst einmal zum Essen in ihre Schwachhauser Villa eingeladen. Dann gaben die Grünen den Solidarność-Leuten ihr kleines Büro „Auf den Häfen“. Bernbacher erinnerte sich: „Wir haben sie sechs Wochen lang beherbergt. So hat dieses kleine Büro historische Bedeutung bekommen.“ Denn die Solidarność-Leute wollten weltweite Solidarität mit ihren bedrängten und inhaftierten Kollegen zu Hause organisieren, sie brauchten nicht nur eine Unterkunft, sondern auch Telefone.

Nicht nur in Bremen kam es in den Wochen nach dem Militärputsch zu praktischen Hilfs-Aktionen, vom Bremer Theater über die Deutsch-Polnische Gesellschaft und die katholische Kirche bis zum Roten Kreuz wurden als Zeichen der Solidarität Tausende Päckchen für die notleidende Bevölkerung gepackt. Die Bundesregierung hatte die Post angewiesen, solche Hilfs-Päckchen portofrei zu befördern.

Aber der DGB sperrte sich. Der Widerwille ging so weit, dass an einem Sonntag, als Vertrauensleute des Weser-Kurier, die auf Initiative des damaligen Setzers Hermann Kuhn im Gewerkschaftshaus mit den polnischen Kollegen eine Diskussion veranstalten wollten, die Tür verschlossen vorfanden. Der Vulkan-Betriebsratsvorsitzende Fritz Bettelhäuser war verärgert und organisierte einen kleinen Protestmarsch von Werftarbeitern in die DGB-Zentrale, um Druck zu machen und die Unterstützung der polnischen Kollegen einzufordern. Im Februar 1982 hat sich der DGB dann doch zu einer finanziellen Unterstützung des Bremer Solidarność-Büros, durchgerungen – allerdings nur unter der Bedingung, dass die exilierten Gewerkschafter „keine Aktivitäten unternehmen, die dem DGB bei seinen Auslandsaktivitäten Probleme bereiten könnten“.

Monatelange ideologische Debatten

Rüdiger Ritter: „Solidarität mit Schwierigkeiten. Das Bremer Koordinationsbüro der polnischen Gewerkschaft Solidarność und das Engagement Bremens für Polen in den 1980er Jahren“, Edition Falkenberg, 332 Seiten,

€ 19,90.

Auch die linken Fraktionen lieferten sich derweil monatelang ideologische Debatten zur „Einordnung“ der Solidarność-Bewegung in ihr Weltbild. Die akademische „Marxistische Gruppe“ verkündete, Polen sei vom korrekten Aufbau des Sozialismus abgewichen, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung sei die Folge davon, nütze aber nur den Amerikanern, die Empörung über das Kriegsrecht sei daher „heuchlerisch“.

Der Präsident des Senats, Hans Koschnick, bemühte sich hinter den Kulissen um Hilfe für die Gewerkschafter, half ihnen auch bei der Beschaffung eines größeren Büros am Rembertiring, wollte sich aber öffentlich nicht allzu sehr exponieren. Jaruzelsi habe, so erläuterte Kosch­nik sechs Wochen nach Ausrufung des Kriegsrechts, „als Pole und nicht als Statthalter Russlands gehandelt“. Es wurde damals darüber spekuliert, ob das Kriegsrecht nicht einem sowjetischen Einmarsch – wie 1968 in Prag – zuvorgekommen sei. Koschnick sah das auch so: „Jaruzelski war eine Chance, hoffentlich bleibt er noch“, formulierte er.

Jaruzelski war eine schillernde Figur. Als 18-Jähriger war er von der sowjetischen Geheimpolizei NKWD zur Zwangsarbeit deportiert worden. Dennoch verpflichtete er sich nach 1945, als Zuträger dem Militärgeheimdienst zu dienen. Auf einer Historikerkonferenz wurde 1997 von hochrangigen sowjetischen Teilnehmern erklärt, man habe 1981 eine Anfrage Jaruzelskis erhalten, ob es militärische Hilfe geben könne – wie in Prag 1981. Die sowjetischen Militärs hätten das aber abgelehnt.

Auch die Bremer Universität, mit der Universität Gdańsk durch ein Kooperationsabkommen verbunden, hielt sich in ihren offiziellen Stellungnahmen damals zurück und schwieg selbst zu der Absetzung der Kooperationspartner an der Uni in Gdańsk. Im Mai 1982 erklärte die neue Universitätsleitung in Danzig dennoch die Zusammenarbeit für beendet mit der Begründung, dass es an der Bremer Uni ein Osteuropa-Institut gäbe, das illegale Untergrundliteratur sammle und eben auch Dokumente der Solidarność.

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