Bremer Pflegeheime ohne Kontrolle: Die Seuche als Krisenhelfer
Dank Corona wird Bremens Heimaufsicht aufgestockt. Deren Regelkontrollen sind weiterhin ausgesetzt – aber dieser Pflicht kommt sie eh nicht nach.
Dabei hätte er spannend werden können, denn Ende 2017 wurde das bremische Wohn- und Betreuungsgesetz (BremWoBeG) novelliert und auch eine neue Fachkraftquote wurde beschlossen. Was sich durch die Neuerungen in den Einrichtungen und der Arbeit der Heimaufsicht verändert hat, findet sich im Bericht aber nicht.
Stattdessen nur, was ohnehin Anfang 2020 durch eine Anfrage der CDU bereits ans Tageslicht gekommen war: dass die Heimaufsicht 2019 Pflege-Einrichtungen fast nur wegen Beschwerden und nur zweimal anlasslos kontrolliert hat. Und dass es im Jahr davor kaum besser aussah: 2018 gab es gerade mal vier Prüfungen ohne vorherige Beschwerde.
Das BremWoBeG schreibt aber vor, dass jede der insgesamt 190 stationären Einrichtungen in Bremen einmal im Jahr ohne Anlass durch die Heimaufsicht kontrolliert werden muss. Dass dieses Gesetz regelhaft missachtet wird, findet Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) freilich nicht so schlimm: „Wenn die Wohn- und Betreuungsaufsicht eine anlassbezogene Prüfung vornimmt, schätzt sie immer auch die Gesamtsituation in der Einrichtung ein und besucht Nutzerinnen und Nutzer, um sich einen unmittelbaren Eindruck von deren Wohlergehen zu verschaffen“, sagte sie in der Sozialdeputation.
Missstände im Verborgenen
Die anlassbezogenen Prüfungen – 234 waren es im Jahr 2019 und 218 im Jahr davor – gingen zum größten Teil auf Beschwerden wegen Mängel in der Pflege zurück. Beschwerden aufgrund freiheitsentziehender Maßnahmen wie beispielsweise die Fixierung dementer Menschen gebe es eher selten, sagte Stahmann. Das sei aber nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Vieles könne im Verborgenen stattfinden.
Das ist vor allem in Bremen leicht möglich, weil es ja eben keine unangekündigten Regelkontrollen gibt. Aber auch das scheint aus Behördensicht kein allzu großes Problem zu sein, denn wenn die Heimaufsicht anrückt, weil es bereits Beschwerden gab, nimmt sie „generell auch den Freiheitsentzug in den Blick“, so Stahmann.
Grund für die fehlenden Kontrollen ist – und auch das ist nichts Neues – die schlechte Personalausstattung der Heimaufsicht. Vier zusätzliche Vollzeitstellen wollte die Sozialsenatorin deshalb aus dem Haushalt finanziert bekommen, bewilligt wurde aber bloß eine. Jetzt bekommt sie nun doch die gewünschten Stellen – wegen Corona. In einer Tischvorlage für die Senatssitzung vom 23. Juni heißt es dazu: „Die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht kann ihre Aufgaben im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in den Pflegeeinrichtungen personell nicht erfüllen.“
Linke hatte zehn Stellen gefordert
Dass diese vier Stellen bereits vor der Pandemie dringend nötig waren, angesichts der derzeitigen Lage – neben ihrer normalen Arbeit muss die Heimaufsicht zurzeit auch engmaschig Hygieneberatungen und -kontrollen durchführen – also eigentlich noch mehr Mitarbeitende benötigt würden, monierte in der Deputation Sigrid Grönert, sozialpolitische Sprecherin der CDU: „Auch wenn es mich natürlich freut, dass die vier Stellen genehmigt worden sind.“
Dafür wurde sie von Sofia Leonidakis (Linke) angepfiffen: „Wir haben an dieser Stelle geliefert und das könnte man auch mal anerkennen“, sagte sie und: „Ob die vier Stellen ausreichen, kann sich ja erst zeigen, wenn der Normalzustand wieder da ist.“ Noch vor zwei Jahren hatte die Linksfraktion eine Aufstockung der Heimaufsicht um zehn Stellen gefordert – und das, obwohl damals noch weitaus mehr Regelprüfungen stattfanden.
Die sind jetzt wegen der Pandemie bis Ende September komplett ausgesetzt – ganz offiziell per Verfügung durch die Sozialsenatorin. Derweil soll laut Bericht „ein Verfahren entwickelt werden“, damit die Regelprüfungen künftig „deutlich gesteigert“ werden können.
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